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PolitikAsien

Kritik an Ungleichbehandlung von Flüchtlingen

15. Juni 2022

Deutschland dürfe über der Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine die Not anderer Gruppen, etwa afghanischer Ortskräfte, nicht vergessen, fordern Aktivisten.

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Deutschland Migranten im Lager Friedland
Der Grad der Hilfsbereitschaft richtet sich oft nach der Herkunft der GeflüchtetenBild: Swen Pförtner/dpa/picture alliance

Hawa Kohestani hatte Glück. Sie lebt seit fünf Monaten als afghanische Geflüchtete in Deutschland. Bis zur Machtübernahme der Taliban im vergangenen August arbeitete sie für eine deutsche Organisation in Afghanistan. Sie sei die einzige weibliche Ortskraft gewesen, erzählt sie im Gespräch mit der DW. "Im Dezember habe ich es geschafft, mit meiner Mutter zuerst nach Pakistan zu fliehen. Von dort aus konnten wir zwei Wochen später nach Deutschland fliegen. Man hat sich ziemlich schnell uns gekümmert." Seit Januar leben Hawa und ihre Mutter in einer eigenen Wohnung in Bonn, bekommen Sozialleistungen und können an Sprachkursen teilnehmen. "Alles hat sehr gut geklappt. Wir sind sehr dankbar. Ich kenne viele Ortskräfte, die noch in Afghanistan sind und um ihr Leben fürchten", sagt Hawa Kohestani.

Seit der Machtübernahme der Taliban wurden laut Auswärtigem Amt rund 19.000 Visa für Ortskräfte, besonders gefährdete Personen, die eine Aufnahmezusage seitens der Bundesregierung erhalten haben, und deren Familienangehörige ausgestellt. Tausende weitere Schutzbefohlene sollen noch auf Hilfe aus Deutschland warten, zum großen Teil in Afghanistan, manche in Pakistan. Die Not und das Schicksal dieser Menschen scheint im Schatten des Krieges in der Ukraine etwas in den Hintergrund geraten zu sein. Seit Beginn des Krieges sind Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Wie viele von ihnen nach Deutschland gekommen sind, ist schwer herauszufinden.

Unbürokratische Hilfe für alle gefordert

Geflüchtete aus der Ukraine dürfen mit einem biometrischen Pass ohne Visum in Deutschland einreisen und sich hier bis zu 90 Tage frei aufhalten. Viele Schutzsuchende werden von Freunden und Verwandten aufgenommen und sind nicht registriert. Die Zahl der im bundesweiten Verteilungssystem "Free" registrierten Geflüchteten aus der Ukraine belief sich bis Mitte Mai auf 831.900 Personen. Die meisten davon sind Frauen und Kinder. Die Geflüchteten aus der Ukraine erfahren nicht nur viel Hilfsbereitschaft in der deutschen Gesellschaft, sondern auch die Behörden erleichtern für diese Gruppe bürokratische Hindernisse. Sabine Kaldorf von der Flüchtlingshilfe Bonn e.V. findet das richtig: "Wer aus der Ukraine geflüchtet ist und den richtigen Pass hat, wird ohne Asylverfahren anerkannt und bekommt vom ersten Tag an alle Rechte: Freizügigkeit, Integrationskurs, Arbeitserlaubnis, für die Kinder einen Platz in einer Regelschule, volle Hartz-IV-Leistungen, umfassende Gesundheitsversorgung".

Ukraine-Krieg - Flüchtlinge in Flüchtlingsunterkunft
Geflüchtete aus der Ukraine sitzen in einer Flüchtlingsunterkunft Bild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Sabine Kaldorf kritisiert jedoch: "Diese Rechte erhalten Geflüchtete aus anderen Ländern erst nach monate- oder jahrelangem Verfahren." Das sei falsch. Flüchtlingsorganisationen beobachten diese ungleiche Behandlung von Flüchtlingen mit Sorge. Sie warnen vor einer "Zwei-Klassen-Politik" mit weniger Rechten für Geflüchtete aus weiter entfernten Weltgegenden und aus "fremden" Kulturen. Aus der Ukraine kämen dagegen "weiße christliche Frauen, also Menschen wie wir, die vor russischen Soldaten und Bomben fliehen", sagt Sabine Kaldorf. Hinzu kämen aus der Zeit des Nationalsozialismus und Weltkriegs herrührende deutsche Traumata, die die Aufnahmebereitschaft für die Ukrainer verstärkten. Während Kaldorf den offenen Empfang für die Ukrainer nachvollziehen kann und gutheißt, bezieht sie hinsichtlich anderer Flüchtlingsgruppen ebenso dezidiert Stellung, wenn sie sagt: "Es ist falsch, Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern zwecks Abschreckung so schäbig wie möglich zu behandeln."

Konkurrenz um Wohnraum

Aufgrund begrenzter Kapazitäten der Länder und Kommunen Deutschland muss bisweilen zwischen ukrainischen Geflüchteten und solchen aus anderen Ländern entschieden werden, wenn es etwa um Wohnraum geht. So mussten in Berlin afghanische Geflüchtete Platz für solche aus der Ukraine machen. "In den letzten fünf Monaten sind wir zwei Mal umgezogen", sagt Samira im Gespräch mit der DW. Die Frauenaktivistin ist mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Töchtern im Alter von elf Monaten beziehungsweise fünf Jahren aus Afghanistan geflüchtet. Seit Januar lebt sie in Deutschland. "Zuerst wurden wir im Container einer Erstaufnahme-Einrichtung in Berlin untergebracht. Dort haben wir viele Leute aus Afghanistan kennengelernt, es war schön für mich und meine kleinen Kinder. Wir hatten sogar eine kleine Küche für uns. Im April mussten wir aber ausziehen, um für Personen aus der Ukraine Platz zu machen." 

Die 33-jährige Mutter und ihre Familie mussten in ein anderes Wohnheim umziehen; einige Wochen später wurden sie erneut woanders untergebracht. Was anstrengend mit zwei kleinen Kindern ist, Samira wolle sich nicht aber beschweren, sagt sie. "Wir sind dankbar. Meine ältere Tochter hat einen Platz im Kindergarten bekommen und mein Mann und ich können jetzt Sprachkurse besuchen. Wir wünschen uns nur mehr Privatsphäre. Zum Beispiel eine eigene Küche. In Berlin ist es nicht leicht, so etwas zu finden."

In eine andere Stadt ziehen kann Samira aber auch nicht so einfach. Nach Stellung des Asylantrags gibt es eine Reihe von Einschränkungen. Die Geflüchteten sind verpflichtet, die ersten drei Jahre ab Erteilung der Aufenthaltserlaubnis den Wohnsitz in dem Bundesland einzunehmen, dem sie zur Durchführung des Asylverfahrens zugewiesen worden sind. Das gilt nicht für die Geflüchtete aus der Ukraine. Sie dürfen sogar für eine Weile in die Ukraine zurückkehren, ohne dass ihre Ansprüche in Deutschland verfallen.