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PolitikIran

Kritik nach Beileidsbekundungen zu Raisis Tod

22. Mai 2024

Staatstrauer, Beileids-Tweets, Schweigeminuten: Weltweit kondolierten Politiker dem Iran zum Tod von Präsident Ebrahim Raisi. Politische Gegner und Teile der iranischen Bevölkerung reagieren mit Unverständnis und Ärger.

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Eine Frau zeigt ein Plakat mit einem durchgestrichenen Porträt von Raisi
Exil-Iraner feierten den Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi vor der iranischen Botschaft in BerlinBild: FILIP SINGER/EPA

Offiziell herrscht im Iran eine fünftägige Staatstrauer wegen des Tods von Präsident Ebrahim Raisi. Doch in vielen Ländern jubeln Exil-Iraner - sie machen den ultrakonservativen Kleriker für religiös begründete Unterdrückung, die blutige Niederschlagung von Protesten und die Vollstreckung zahlreicher Todesurteile im Iran verantwortlich.

Allein im Jahr 1988 soll der "Schlächter von Teheran" als Mitglied der sogenannten "Todeskommission" Tausende außergerichtliche Hinrichtungen mitverantwortet haben. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schätzt die Zahl auf mehr als 5000 erdmordete angebliche Regimegegner. Raisi sowie der ebenfalls bei dem Hubschrauberunfall ums Leben gekommene iranische Außenminister Hossein Amirabdollahian waren zudem erklärte Israel-Feinde und unterstützten das Ziel des Regimes, den jüdischen Staat zu vernichten.

Raisis Tod und die Folgen für den Iran

Dass die Staatschefs Chinas, Russlands und anderer mit dem Iran verbündeten Staaten ihr Beileid umfänglicher ausgedrückt haben als westliche Politiker, ist Ausdruck erwartbarer Diplomatie. Andere Politiker dagegen haben mit ihren Reaktionen überrascht - und auch Menschen aus dem eigenen Land irritiert und verärgert.

Staatstrauer für Raisi in der Türkei

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat Staatstrauer für diesen Dienstag angeordnet. Die mehrheitlich sunnitische Türkei und den fundamental schiitischen Iran verbindet keine ideologische Nähe, wohl aber mehrere wirtschaftliche und geopolitische Interessen in Nahost. Dazu gehören der Kampf gegen kurdische Rebellengruppen, die Hegemonialkonkurrenz mit Saudi-Arabien, die Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen sowie der bilaterale Handel. Raisi und Erdogan hatten sich mehrfach getroffen, zuletzt im Januar dieses Jahres in Ankara.

Ebrahim Raisi, Präsident des Iran und Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, schütteln Hände vor einem Militärspalier 2022  in Teheran
Im Juli 2022 empfing Präsident Ebrahim Raisi seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan in TeheranBild: Vahid Salemi/AP/dpa

Aus der türkischen Presse ist Verwunderung, Unverständnis und sogar Empörung über die Reaktion der Regierung zu vernehmen.

So forderte die TV-Journalistin Sirin Payzin, man solle besser das Leid der Unterrückten, der Ermordeten und ihrer Familien im Iran und im Exil betrauern als den Tod Raisis. Andere Stimmen führen an, dass die iranische Regierung ihrerseits auch keine Staatstrauer nach tödlichen Unglücken in der Türkei angeordnet hatte - etwa nach dem Grubenunglück in Amasra 2022 mit mehr als 40 Toten oder dem verheerenden Erdbeben 2023, als in der syrisch-türkischen Grenzregion mehr als 60.000 Menschen starben.

Dreitägige Staatstrauer im Libanon

Auch die libanesische Regierung ordnete Staatstrauer an - und zwar gleich für drei Tage. "Dies dürfte den wachsenden Einfluss Irans im Libanon spiegeln", vermutet DW-Nahost-Experte Kersten Knipp. Dieser habe über die vergangenen Jahre deutlich zugenommen. "In dem politisch stark fragmentierten Staat ist die Regierung immer stärker auf die Zustimmung der Schiiten-Miliz angewiesen."

Die islamistische Hisbollah bildet im Libanon eine Art Parallelregierung und regiert de facto ganze Regionen vor allem im Süden des Landes. Die schiitischen Islamisten haben - wie das Mullah-Regime in Teheran - die Vernichtung Israels zum erklärten Ziel und werden vom Iran maßgeblich unterstützt: politisch, finanziell und mit teils hochentwickelten Waffen. Zahlreiche Staaten - darunter Israel, Deutschland und die USA - stufen die Hisbollah Terrororganisation ein.

Die libanesische Flagge über dem libanesischen Regierungspalast in Beirut auf Halbmast
Staatstrauer im Libanon: Ausdruck von Irans zunehmendem Einfluss im Regierungspalast in Beirut?Bild: WAEL HAMZEH/EPA

Lange Zeit bildete die gewählte Regierung in Beirut einen politischen Gegenpol zur Hisbollah. Doch der amtierende Premierminister Najib Miqati ist unter anderem mit Stimmen der Islamisten gewählt worden. Außenminister Amirabdollahian ist seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 insgesamt sechs Mal zu Gesprächen nach in die libanesische Hauptstadt Beirut gereist - laut Medienberichten, um das weitere Vorgehen mit Vertretern von Hisbollah und Hamas zu koordinieren.

Einige Beobachter erinnerten daran, dass die Regierung nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut, die rund 6500 Menschen das Leben kostete und ganze Stadtteile in Trümmer legte, lediglich ein Tag Staatstrauer geherrscht habe.

Polens Präsident mit großer Empathie für Raisi

In Polen sorgte die ausführliche Beileidsbekundung von Präsident Andrzej Duda für harsche Kritik. Das Staatsoberhaupt schrieb auf Twitter: Den Polen sei nach dem Absturz eines polnischen Regierungsflugzeugs 2010 bei Smolensk in Russland das Gefühl des Schocks und der Leere bekannt, das "in den Herzen der Menschen und im Staat" nach dem plötzlichen Verlust der politischen und gesellschaftlichen Elite zurückbleibe. 

Bei dem Absturz starben 96 Personen, darunter der damalige Präsident Lech Kaczynski und weitere polnische Politiker. Kaczynski ist Gründer der aktuellen Oppositionspartei PiS, der Duda nahesteht.

Bartosz Wielinski, Chefredakteur der Zeitung "Gazeta Wyborcza" nannte den Vergleich mit Smolensk "zutiefst unangemessen". Auch der polnische Premierminister Donald Tusk ließ vernehmen, dass Duda mit seinen Worten zu weit gegangen sei. Während Polen die Ukraine im Krieg gegen Russlands Invasionskrieg unterstützt, liefert der Iran unter anderem Drohnen an Russland, mit denen es die Ukraine angreift.

Kritik an Beileidsbekundungen der EU und Vereinten Nationen

Auch EU-Ratspräsident Charles Michel und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell stehen wegen ihrer Beileidsbekundungen Richtung Iran in der Kritik. So twitterte etwa der christdemokratische Europaabgeordnete David Lega aus Schweden unter dem Hashtag #NotInMyName: "Können Sie den tapferen Frauen und Freiheitskämpfern des Iran jemals wieder in die Augen sehen? Können Sie den Familien von Floderus oder Djalali jemals wieder in die Augen sehen? Ich kann es. Schande über Sie!"

Internationale Kritik erntete auch der UN-Sicherheitsrat mit einer Schweigeminute für Raisi. UN-Generalsekretär António Guterres drückte den Familien, sowie der Regierung und den Menschen im Iran sein "aufrichtiges Beileid" aus. Zudem senkten die Vereinten Nationen ihr Flagge am Dienstag auf Halbmast.

Scharfe Kritik dafür kam vom israelischen Botschafter bei den Vereinten Nationen Gilad Erdan. Mit Blick auf Raisis Rolle bei Tausenden Hinrichtungen fragte er den Sicherheitsrat rhetorisch auf X: "Was kommt als Nächstes? Eine Schweigeminute am Jahrestag von Hitlers Tod?" Und kommentierte: "Der Sicherheitsrat ist zu einer Gefahr für den Weltfrieden geworden."

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.