Kritischer Zeitgeist: Der Regisseur Bernhard Sinkel
29. Juli 2011"Deutschland im Herbst" hieß ein legendäres Gemeinschaftsprojekt des deutschen Kinos aus dem Jahre 1978. Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Edgar Reitz und Volker Schlöndorff und ein paar andere noch hatten sich zusammengetan, um auf den Terror der RAF und die staatliche Hysterie filmisch zu reagieren. Auch der Jurist und Regisseur Bernhard Sinkel war damals dabei.
Politisches Kino
Es war die große Zeit des politisch engagierten Kinos, der "Neue Deutsche Film" erregte Aufmerksamkeit auf Festivals und im Kinoalltag. Bernhard Sinkel gehörte in diesen Jahren, seit seinem Debüt "Lina Braake" (1974), zu den auffälligsten Erscheinungen im deutschen Film. " 'Lina Braake' brachte einen neuen Ton in das kopflastige Kino der Filmautoren" schrieb ein Kritiker später.
In den 80er Jahren dann wechselte Sinkel das Metier, schrieb und inszenierte aufwendige Fernsehmehrteiler, darunter "Väter und Söhne - eine deutsche Tragödie" mit Hollywood-Stars wie Burt Lancaster und Julie Christie. Doch auch diese Episode ging zu Ende, Operninszenierungen folgten, später dann schrieb Bernhard Sinkel Kriminalromane. Eine sechsteilige DVD-Edition gibt nun noch einmal die Gelegenheit, die Kinofilme dieses wichtigen deutschen Regisseurs wiederzusehen.
"Der Mädchenkrieg" (1975)
Beim Wiedersehen die vielleicht größte Überraschung unter den sechs Sinkel-Filmen. Der Regisseur erzählt hier - nach einem Roman von Manfred Bieler - die Geschichte dreier Schwestern im Prag der 30er und 40er Jahre. Mit ihrem Vater, einem Bankdirektor (Hans Christian Blech), sind sie in die Hauptstadt der Tschechoslowakischen Republik gekommen, die dann 1938 von den Nazis besetzt und annektiert wird. Die drei Mädchen haben ganz unterschiedliche Lebensentwürfe. Während Christine heiratet und sich später den Nazis andient, folgt Katharina ihrem politisch engagiertem Freund in den Untergrund. Sophie dagegen, hin- und hergerissen zwischen zwei Männern, flüchtet ins Kloster. Was den Film heute noch sehenswert macht, ist der behutsame, unspektakuläre Umgang mit einer weniger bekannten Epoche deutsch-tschoslowakischer Historie. Hier wird Geschichte "von unten" erzählt, spannend, unterhaltsam und trotzdem differenziert. Dem gleichen Konzept vertraute ein paar Jahre später Edgar Reitz in seinem Welterfolg "Heimat".
"Kaltgestellt" (1980)
Bernhard Sinkels Politthriller "Kaltgestellt" lief 1980 im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes als deutscher Beitrag. Ein Beispiel für das damals politisch engagierte Kino der Bundesrepublik. Regisseure wie Reinhard Hauff, Volker Schlöndorff und eben Bernhard Sinkel griffen heiß diskutierte Themen wie Radikalenerlass, staatliche Willkür und Schnüffelei und den Kampf des Einzelnen dagegen auf und verpackten sie in melodramatische Stoffe. Das ging nicht immer gut, manche Film gerieten arg holzschnittartig. Doch Sinkel und sein Drehbuchautor Alf Brustelin schafften es immerhin, dass sich der populäre Spielfilm dem gesellschaftlichen Diskurs nicht verschloss. Wenn man Werke wie "Kaltgestellt" heute wiedersieht, weiß man auch, dass spätere Regiegenerationen weitaus weniger mutig und engagiert agierten.
"Der Kinoerzähler" (1992)
Nach aufwendigen Fernsehmehrteilern in den 1980er Jahren drehte Sinkel 1992 noch einmal einen Film für die große Leinwand, bevor er sich vom Regiesessel zurückzog. "Der Kinoerzähler" entstand nach einem populären Roman von Gert Hoffmann. Der Film erzählt die Geschichte eines Kinoerzählers (Armin Mueller-Stahl) - zu Stummfilmzeiten wurden in manchen Kinos die Filme vor der Leinwand noch erzählerisch begleitet - und seines achtjährigen Enkels. Aus dem Blickwinkel des Kindes erlebt der Zuschauer den herannahenden Nationalsozialismus. "Der Kinoerzähler" kann sich nicht recht entscheiden zwischen seiner jugendlichen, märchenhaften Perspektive und dem Blick auf die Schrecken der Zeit.
"Vielleicht ist der 'Kinoerzähler' eine Märchenfigur und ein Kinomärchen, das von einem alten Mann handelt, der nichts auf der Welt mehr liebte als sein Kino, das Apollo, und die Filme, deren feinere Struktur er seinem Publikum 'erzählen' durfte." (Bernhard Sinkel)
Bei "Studio Hamburg" ist eine Box mit sechs Filmen Bernhard Sinkels erschienen. Außer den drei erwähnten sind dort auch "Lina Brake", "Berlinger" und "Taugenichts" enthalten. Jede DVD ist mit einem Booklet mit einem Interview mit dem Regisseur ausgestattet.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Gudrun Stegen