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Soll Kultur als Grundrecht geschützt werden?

Matthias Beckonert
17. Januar 2021

"Kultur ins Grundgesetz": Das wird schon seit Jahrzehnten gefordert - ohne Erfolg. Nun haben Künstler und Kulturschaffende eine eigene Petition gestartet.

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Zwei Männer halten bei einer Demonstration in München ein Banner mit der Aufschrift "Kultur erhalten" hoch.
Demonstrieren für den KulturerhaltBild: Lino Mirgeler/dpa/picture alliance

Es sind dramatische Worte, die Hans-Eckardt Wenzel einfallen, wenn er über die Lage der Kultur in Deutschland spricht. "Verheerend" sei der Umgang der Politik mit Kunst und Kultur, moniert der Liedermacher und Autor, der in der Lutherstadt Wittenberg aufwuchs. Die kulturelle Infrastruktur werde "ausgeblutet". Und die Gesellschaft gerate zunehmend in einen "Zustand der Verrohung".

Wenzel spricht hier als Mit-Initiator der Petition "Kultur ins Grundgesetz". Diese wurde im Dezember von zahlreichen Künstlern ins Leben gerufen und fordert etwas, das zunächst einmal weniger wie Daseinskampf als wie eine Denkaufgabe aus dem Jura-Studium klingt: Nicht nur die Freiheit, sondern auch der Schutz von Kunst und Kultur müsse verfassungsrechtlich gesichert werden.

Hans-Eckardt Wenzel singt bei einem Konzert in Berlin und spielt dabei Gitarre.
Sieht die Kultur dauerhaft gefährdet: Der Künstler Hans-Eckardt Wenzel, hier bei einem Konzert in Berlin.Bild: Eventpress Hoensch/picture alliance

Für Wenzel aber geht es hier nicht um juristisches Klein-Klein. Kultur sei in ihrer Existenz bedroht, sagt er: "Kultur hatte immer etwas Gesellschaftsstiftendes. Und das verliert sie gerade."

Was fordert die Petition genau?

Um Wenzels Position zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Forderungen. Das Hauptanliegen der Petition ist es, den "Schutz von Kunst und Kultur als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern". Dazu fordern die Initiatoren, dass sowohl ein Recht auf unbeschränkte Teilhabe am kulturellen Leben sowie "langfristige stabile Sicherungsinstrumente" in der Verfassung verbrieft werden, die Kunst- und Kulturschaffende vor unverschuldeten Verdienstausfällen schützen.

Blick in den leeren Saal der Semperoper in Dresden.
Die Semperoper in Dresden: Schon wieder befindet sich die Kultur- und Veranstaltungsbranche im Lockdown.Bild: picture-alliance/dpa/R. Michael

Eine Sache fällt dabei vor allem durch ihre Abwesenheit ins Auge: Obwohl Clubtüren und Museen aktuell geschlossen sind und Filmstarts oder Festivals auf ebenso unbestimmte Zeit verschoben wie Theaterpremieren, Konzerte oder Ausstellungseröffnungen, wird die Pandemie nicht explizit erwähnt.

Es geht um Anerkennung, Absicherung und Geld

Stattdessen heißt es in der Begründung unter anderem: "Kunst und Kultur können nur frei sein und ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen, wenn ihnen die dafür notwendige Achtung und Akzeptanz auf bundespolitischer Ebene entgegengebracht wird." Und später: Die grundrechtlich verankerte Kunstfreiheit "verkommt zur Phrase, wenn ihre materiellen Bedingungen ausgeblendet werden."

Übersetzt bedeutet das: Es handelt sich um ein strukturelles Problem. Kunst und Kultur würde schon lange Anerkennung, Absicherung und Geld fehlen, so die Kritik. Unterstützung erhält die Petition dabei von prominenten Erst-Unterzeichnern: Der Regisseur Wim Wenders ist zum Beispiel dabei, der Trompeter Till Brönner oder Liedermacher Konstantin Wecker. Große Namen allein reichen allerdings nicht: Erst wenn das Ziel von insgesamt 50.000 Unterschriften erreicht ist, muss sich der Bundestag mit dem Anliegen beschäftigen. 

Der Regisseur Wim Wenders mit Kamera in der Hand - hier in Cannes.
Unterstützt die Petition als Erst-Unterzeichner: der Filmemacher Wim WendersBild: Getty Images/AFP/F. Guillot

Schon 2009 von Kommission empfohlen

Interessant ist auch, dass die Petition eine Forderung wiederholt, die schon lange im Raum steht. So setzte der Bundestag 2009 selbst eine sogenannte Enquete-Kommission ein, die sich mit der Zukunft der "Kultur in Deutschland" beschäftigen sollte. Der Abschlussbericht der Kommission aus Experten sowie Abgeordneten verschiedener Fraktionen liest sich dabei unmissverständlich: Einstimmig forderte die Kommission, dass Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden müsse. 

Darauf bezieht sich nicht nur die Petition "Kultur ins Grundgesetz" ausdrücklich. Unterstützung erhält sie auch vom Deutschen Kulturrat, der in einer Pressemitteilung zur Petition "nachdrücklich" an die Empfehlung der Kommission erinnert. Denn: Die Empfehlung wurde bis heute nicht umgesetzt.

Was sagt die Politik zur Petition?

Auch, weil eine Veränderung des Grundgesetzes eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat braucht. Wie schwierig die politisch herzustellen ist, zeigte sich jüngst in der Diskussion um die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Das wird ebenfalls seit Jahren von fast allen im Bundestag vertretenen Parteien gefordert. Ob der nun vorgelegte Änderungsvorschlag durchkommt, ist aber trotzdem unklar. 

Katrin Budde bei einer Rede im Bundestag.
Begrüßt die Petition grundsätzlich: Katrin Budde (SPD), die Vorsitzende des Kulturausschusses.Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Für Katrin Budde kommt die Petition "Kultur ins Grundgesetz" aus zwei Gründen zum richtigen Zeitpunkt. "Ich glaube, dass viele Menschen durch die Pandemie auch gelernt haben, wie wichtig Kunst und Kultur für sie im alltäglichen Leben ist", sagte die Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Medien und Kultur im DW-Interview. Dadurch gebe es auf der einen Seite eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und Verständnis für die Forderung, ohne die keine Verfassungsänderung eine Chance hätte.

Auf der anderen Seite seien die Forderungen jetzt so nötig wie nie zuvor. Denn: Die aktuell hohen Ausgaben zur Bekämpfung der Pandemie würden dazu führen, dass der Bund in den kommenden Jahren seinen Haushalt konsolidieren müsse. "Die Logik einer Haushaltskonsolidierung ist, dass zuerst die freiwilligen Aufgaben weniger oder gar kein Geld mehr bekommen." Und genau das ist Kultur aktuell noch: eine freiwillige Aufgabe.

"Hände weg vom Grundgesetz"

Trotzdem gehöre Kultur nicht als Grundrecht, sondern allenfalls als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz, sagt Christoph Degenhart. Er ist emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und war bis zum letzten Jahr auch Richter am Sächsischen Verfassungsgerichtshof. Aber auch Kultur als Staatsziel sei juristisch problematisch: "Der Erfolg des Grundgesetzes beruht darauf, dass es im Wesentlichen wirklich nur konkrete juristische Aussagen trifft, die justitiabel und einklagbar sind", so Degenhart. Das sei bei Staatszielbestimmungen aber gerade nicht der Fall. Deshalb solle man das Grundgesetz mit ihnen auch nicht überfrachten. "Ich sage immer: Hände weg vom Grundgesetz."

Der Staats- und Verwaltungsrechtler Christoph Degenhart
Der Staatsrechtler Christoph Degenhart hält die Forderungen aus rechtlicher Perspektive für problematisch.Bild: privat

So klinge das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben zum Beispiel gut, sei aber eine unkonkrete Versprechung mit zu weitem Interpretationsspielraum. Hinzu käme, so Degenhart, dass Kultur in Deutschland zum größten Teil eine Aufgabe der einzelnen Bundesländer sei. 

Der Bund ist laut Gesetz nur für einen eng abgesteckten Bereich der Kulturförderung verantwortlich. Darunter fallen zum Beispiel Kultureinrichtungen in der Hauptstadt sowie Projekte oder Einrichtungen von nationaler Bedeutung: etwa Stiftungen, Bibliotheken oder Museen.

Hauptsache, es wird darüber gesprochen

"Wir wollen vor allem eine Diskussion anstupsen", antwortet Initiator Wenzel auf die vorgebrachten politischen und rechtlichen Hürden. Man müsse sich als Gesellschaft grundsätzlich darauf besinnen, was wirklich wichtig ist. "Wir brauchen in dieser Notsituation etwas mehr als nur die pastoralen Reden eines Bundespräsidenten, dass wir alle zusammenrücken müssen."

Insofern hofft Hans-Eckardt Wenzel jetzt vor allem darauf, dass die Petition von noch mehr Leuten unterstützt wird. "Damit wir beginnen, öffentlich wirklich darüber zu diskutieren." Denn nichts zu tun, sei das Schlimmste, was man gerade machen könne. Die Petition läuft noch bis zum 24. Januar.