Kulturrevolution in sieben Fragen
14. Mai 2016Worum ging es bei der Kulturrevolution im Kern?
Die Kulturrevolution war eine politische Kampagne, die der Parteiführer Mao Zedong 1966 einleitete, um den "Neuen Menschen" zu schaffen. Der "Neue Mensch" sollte jenes "selbstlose Gemeinschaftswesen in der herrschaftsfreien Gesellschaft sein, das seit jeher durch die Menschheitsutopien gegeistert war", so der Chinafachmann Oskar Weggel. Zur Erreichung dieses Ziels forderte Mao die Zerstörung der "vier Relikte". Damit gemeint waren: alte Gedanken, alte Kultur, alte Gebräuche und alte Gewohnheiten. An ihre Stelle sollten die Mao-Zedong-Ideen treten.
Außerdem forderte Mao die Neutralisierung sogenannter konterrevolutionärer und revisionistischer Elemente innerhalb der Partei, verkörpert in seinem politischen Gegenspieler Liu Shaoqi, der Mao als Vorsitzenden der Volksrepublik China wenige Jahre zuvor abgelöst hatte. Die Kulturrevolution war insofern auch ein Machtkampf innerhalb der Führung der Kommunistischen Partei Chinas.
Liu setzte wirtschaftlich stärker auf Marktkräfte (wie später Deng Xiaoping) und politisch auf Parteidisziplin. Für Mao hingegen waren Anreize zur Bereicherung Teufelszeug. Auch Parteifunktionäre gehörten für ihn zur "neuen Ausbeuterklasse". Dementsprechend sah er allein im permanenten Klassenkampf das Vehikel des gesellschaftlichen Fortschritts.
Inwiefern hatte die Kulturrevolution etwas mit Kultur zu tun?
Mao hatte Anfang der 60er Jahre einen erheblichen Teil seiner Macht eingebüßt und Peking, das Zentrum der Macht, verlassen, um von Shanghai aus seinen Einfluss geltend zu machen. Er konnte das Zentralkomitee nicht direkt angreifen, das Liu Shaoqi und seine Verbündeten dominierten. Blieb nur eine indirekte Attacke über die Bauern, die Arbeiter oder die Schüler und Studenten. Der "Große Sprung nach vorn" (1958-1961) hatte gezeigt, dass radikale Reformen des Agrar- und Industriesektors katastrophale Folgen mit Millionen Toten hatten. Blieb also nur der Angriff über die Kultur, insbesondere über die Literatur und die Zeitungen.
Nachdem Mao und seine Verbündeten im Vorfeld erfolgreich propagandistische Texte lanciert hatten, erfolgte der entscheidende Schlag gegen die Liu-Fraktion auf der "erweiterten Tagung des Politbüros" im Mai 1966. Mao gelang es, einen Großteil der Anhänger Lius aus dem inneren Zirkel der Macht auszuschließen. Dann rief er den Kampf gegen "Revisionisten" in den Reihen der Partei, Regierung, Armee und im Kulturbetrieb aus. Im August 1966 hatte Mao seine politischen Gegner ins Abseits gedrängt. Der große Vorsitzende kehrte nach Peking zurück.
Wie lief die Kulturrevolution ab?
Die Kulturrevolution dauerte von 1966 bis 1976.
Den Anfang bildete der Aufstand der Schüler und Studenten, die sich zu den sogenannten Rotgardisten zusammenschlossen, um gegen die "vier Relikte" zu Felde zu ziehen. Konkret ging es dabei aber vor allem um Lehrer und Professoren, die zu "Geständnissen" genötigt wurden. Wohnungen der Lehrer wurden verwüstet, Tempel, Pagoden und Bibliotheken zerstört. Nicht selten landeten vermeintliche Revisionisten vor dem Erschießungskommando. Bald schlossen sich auch Arbeiter und große Teile der Stadtbevölkerung der Revolution an. Es ging nun verstärkt gegen den lokalen Parteiapparat.
Das Land versank bald im Chaos. Weit mehr als die Hälfte aller Politbüro- sowie ZK-Mitglieder und Provinz-Sekretäre verloren in den ersten Monaten der Kulturrevolution ihre Posten. Das Regierungssystem brach zusammen. Schließlich kam es auch innerhalb der Roten Garden zu blutigen Fraktionskämpfen, denn jede Gruppe war überzeugt, die allein seligmachende Lehre zu vertreten.
Als die Dynamik der Kulturrevolution nicht mehr zu kontrollieren war, aktivierte Mao die Volksbefreiungsarmee unter der Führung seines Mitstreiters Lin Biao. Die Armee war als eine Art Staat im Staat vom Chaos weitgehend verschont geblieben. Das Militär übernahm bis 1968 fast überall im Land die Kontrolle. Rotgardisten, die sich nicht fügten, wurden zur Umerziehung aufs Land geschickt oder kurzerhand hingerichtet. Die angestrebte Massenherrschaft wurde bald zu einer Militärherrschaft.
1969 setzte die Restauration des Parteiapparates ein. Doch das Militär unter Lin Biao wollte seine Stellung nicht freiwillig aufgeben. Lin Biao plante mit dem berüchtigten "Projekt 571" die Ermordung Maos. Doch der Plan wurde bekannt und Lin Biaos Flugzeug stürzte unter bis heute nicht restlos aufgeklärten Umständen über der Mongolischen Volksrepublik ab.
Trotz Restauration der Partei dauerte es bis 1976, bis in China Ruhe einkehrte. Die sogenannte "Viererbande", zu der auch Maos Frau gehörte, versuchten die radikale Linie gegen die neuen starken Männer Zhou Enlai und Deng Xiaoping durchzusetzen.
Sie scheiterten endgültig als Mao am 9.9.1976 verstarb. Das Chaos der Kulturrevolution endete mit dem Tod ihres Initiators.
Welche Rolle spielte das "kleine Rote Buch"?
Das "kleine Rote Buch" oder die "Mao-Bibel" trägt eigentlich den Titel "Worte des Vorsitzenden Mao". Es handelt sich um eine Kompilation von Texten, Reden und Sinnsprüchen Mao Zedongs, die Lin Biao während des "Großen Sprungs nach vorn" zusammengestellt hatte. Während der Kulturrevolution sollte jeder aufrechte Revolutionär stets ein Exemplar bei sich tragen. Gerne begrüßten sich die Roten Garden mit Zitaten aus dem Buch. Bis heute wurden weltweit etwa eine Milliarde "Mao-Bibeln" aufgelegt.
Woran scheiterte die Kulturrevolution?
Die Kulturrevolution trug von Beginn an einen Widerspruch in sich, der nicht aufgelöst werden konnte. Mao wollte zugleich oberster Revolutionär sein, der alle Hierarchien einreißt, aber zugleich die totale Kontrolle behalten. Als sich dieser Widerspruch unter anderem in den Fraktionskämpfen innerhalb der Roten Garden Bahn brach und alle Aufrufe zur Disziplin nicht fruchteten, setzte Mao das Militär ein, um die Ordnung wieder herzustellen. Der Traum vom Neuen Menschen wurde begraben. An seine Stelle trat die "Macht der Gewehrläufe". Schließlich entstand erneut eine Kaderpartei nach leninistischem Vorbild - mit Hierarchie und Bürokratie. Viele Gegner Maos übernahmen nach dessen Tod wieder die Macht. So auch Deng Xiaoping an, der das Land mit wirtschaftlichen Reformen in eine neue Ära führte.
Was waren die Folgen der Kulturrevolution?
Heutige Schätzungen gehen davon aus, dass 1,4 bis 1,6 Millionen Chinesen während der Kulturrevolution getötet wurden. Der größte Teil kam dabei wahrscheinlich bei den "Säuberungskampagnen" des Volksbefreiungsarmee ums Leben, die mit aller Gewalt versuchte, die Ordnung im Land wieder herzustellen.
Zu den wenigen positiven Effekten der Kulturrevolution gehören die Einführung eines zumindest rudimentären Gesundheitssystem auf dem Land und Schulreformen für die Arbeiter und Bauern.
Wie wird die Kulturrevolution heute in China offiziell gesehen?
1981 ließ Deng Xiaoping die "Viererbande" in einem Schauprozess verurteilen und bezeichnete die Kulturrevolution als "große Katastrophe für Partei und Volk". Die offizielle Parteilinie sagt heute, dass Mao zu 30 Prozent falsch, zu 70 Prozent aber richtig lag. China hat Maos Konzept der permanenten Revolution lange hinter sich gelassen. Die Partei ist heute streng hierarchisch, verfügt über das Machtmonopol im Land und misst gesellschaftlicher Stabilität den höchsten Wert zu.