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Im Kino: Das Kongo-Tribunal

Jochen Kürten
14. November 2017

Der Film dokumentiert ein aufsehenerregendes Projekt zwischen Kunst und Politik. Der Schweizer Milo Rau hatte sich 2015 mit dem Krieg im Kongo beschäftigt und die Frage nach Gerechtigkeit in den Mittelpunkt gestellt.

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Filmstills - DAS KONGO TRIBUNAL von Milo Rau mit fiktivem Gerichtssaal
Bild: realfictionfilme

Was macht man als politisch interessierter Künstler, wenn man ein Thema an die Öffentlichkeit bringen will? Einen Film drehen, ein Theaterstück inszenieren, Bilder oder Skulpturen schaffen, ein Lied oder ein Buch schreiben - es gibt unterschiedliche Formen der künstlerischen Auseinandersetzung. Viele dieser Projekte basieren auf einem guten Willen, verpuffen aber nicht selten in der Öffentlichkeit und bleiben ohne nachhaltige Wirkung. Vor allem, wenn sie in Europa an die interessierte Kunst-Öffentlichkeit gelangen, sich eigentlich aber mit einem Thema beschäftigen, dass sich fern der Heimat abspielt.

Unübersichtliches Krisengebiet: der Osten des Kongo

Der Schweizer Theatermacher und Allroundkünstler Milo Rau hatte anderes im Sinn, als er vor ein paar Jahren mehrfach in die "Demokratische Republik Kongo" reiste. Dort herrscht seit rund zwei Jahrzehnten ein brutaler Krieg, auf den die Bezeichnung "Bürgerkrieg" schon gar nicht mehr passen will, weil die Lage so unübersichtlich ist. In den Ost-Provinzen des riesigen Landes stehen sich Regierungstruppen, Rebellen und verschiedene Milizen gegenüber. Weitere Akteure der Auseinandersetzungen sind: die UN, Vertreter diverser afrikanischer und internationaler Organisationen sowie große Firmen, die die Bodenschätze der Region ausbeuten.

Milo Rau bei seiner jüngsten Aktion am 7.11. vor dem Berliner Reichstag
Milo Rau bei seiner jüngsten Aktion am 7.11. vor dem Berliner ReichstagBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Der Osten Kongos gilt als eine der an Bodenschätzen reichsten Regionen der Welt: Gold, Coltan, Kobalt und andere seltene Mineralien und Rohstoffe, die auf dem Weltmarkt heiß begehrt sind, locken ausländische Investoren und Geschäftsleute in den Kongo. Insbesondere der boomende Markt für Batterien für Mobilfunkgeräte will bedient werden. Das Land steht somit seit Jahren im Zentrum der globalisierten Weltwirtschaft mit all ihren verschiedenen Akteuren. Für Milo Rau war nicht zuletzt dies ein Grund, sich mit der Region zu beschäftigen.

Massaker an der Zivilbevölkerung ohne Aufklärung

Rau wurde während seiner Recherchereisen vor Ort mit grausamen Massakern an der Bevölkerung konfrontiert, stieß auf Verbrechen ungeahnten Ausmaßes. Der seit Jahren anhaltende Konflikt in dem Land hat bereits sechs Millionen Tote gefordert, Experten nehmen die Begriffe "3. Weltkrieg" oder "Afrikanischer Weltkrieg" in den Mund, um die Dimensionen der brutalen Auseinandersetzung einzuordnen. Das Fatale an der Situation: Es kommt so gut wie überhaupt nicht zu Verurteilungen von Tätern, eine reguläre Justiz und damit Gerechtigkeit existieren in der umkämpften Region nicht.

Filmstills - DAS KONGO TRIBUNAL von Milo Rau mit Leichenberg unter Plane
Ausgangspunkt von Milo Raus "Kongo-Tribunal" ist ein besonders grausames Massaker an der Zivilbevölkerung Bild: realfictionfilme

Für Milo Rau, der sich in den letzten Jahren mehrfach mit den juristischen Folgen politischer Konflikte künstlerisch auseinandergesetzt hat, war das der Ansatzpunkt: Er rief 2015 das sogenannte "Kongo-Tribunal" ins Leben, einen fiktiven Gerichtshof, bei dem ausschließlich tatsächlich am Konflikt beteiligte Akteure mitmachten. Weil kein ordentliches nationales oder internationales Gericht tätig war, sorgte der Schweizer so für die "künstlerische" Inszenierung eines Justizverfahrens - mit realen Akteuren!

"Größenwahnsinnigste Kunstprojekt unserer Zeit"

"Ein Wahnsinnsprojekt! Wo die Politik versagt, hilft nur die Kunst", titelte die deutsche Wochenzeitschrift "Die Zeit" damals. Der britische "The Guardian" schrieb: "Eines der ambitioniertesten Stücke des politischen Theaters, das jemals aufgeführt wurde." Und "Radio France International" kommentierte: "Das größenwahnsinnigste Kunstprojekt unserer Zeit". Diesen "Prozess", der 2015 kurz hintereinander im Kongo und mit anderen Akteuren und Akzentsetzung auch in Berlin stattfand, dokumentiert der Film "Das Kongo-Tribunal". Nach seiner Weltpremiere beim Festival in Locarno kommt er nun in die Kinos.

Filmstills - DAS KONGO TRIBUNAL von Milo Rau mit Gerichtsszene
Beim Kongo-Tribunal gibt es - wie bei ganz realen Gerichtsverhandlungen - Angeklagte und Staatsanwälte, Zeugen und VerteidigerBild: realfictionfilme

Zu seinen Beweggründen für das künstlerisch-politische Projekt ohne Vorbild äußerte sich Rau 2015 in einem Gespräch mit der Deutschen Welle: "Was mich politisiert hat, ist schlicht und einfach die Realität, in der wir leben - die völlig unterschiedlichen Wertmaßstäbe, die für Europa und Afrika gelten. Aber der Kongo ist kein ferner Planet, auf dem Wesen leben, die keinen Anspruch haben auf Glück. Ich muss mich engagieren, ich kann mich nicht abgrenzen, sonst würde ich verrückt."

Europäische Mitverwantwortung für den Krieg im Kongo

Insbesondere haben ihn die Verstrickungen außerafrikanischer Akteure in den Konflikt interessiert. Für Milo Rau bildet der Kongo-Konflikt die Probleme der eng verzahnten globalisierten Wirtschaft ab: "In Regionen wie dem Ost-Kongo zahlen die Menschen die Rechnung für das, was wir hier in Europa an Lebensqualität dazu gewinnen, wenn wir Rohstoffe wie Coltan abbauen, wenn wir Monokulturen für Biodiesel pflanzen."

Dies sei auch seinem ganz persönlichen Interesse geschuldet: "Ich denke, es ist notwendig, zum Akteur zu werden. Wenn man mich später fragt: 'Was hast du getan, als sechs Millionen Menschen im Kongo gestorben sind?', dann will ich nicht sagen müssen: 'Ich habe in Paris einen Roman von Michel Houellebecq dekonstruiert.'" 

Filmstills - DAS KONGO TRIBUNAL von Milo Rau mit zwei knieenden Frauen vor zelten
Zwischen die Szenen vom Gerichtsprozess hat Milo Rau Gespräche mit der betroffenen Bevölkerung vor Ort montiertBild: realfictionfilme

Wer ein "bisschen moralischen Restanstand" habe, der müsse aktiv werden, müsse sich einmischen, so das Credo des umtriebigen Schweizer Theatermannes mit politischem und moralischem Anspruch: "Die globalisierte Wirtschaft verlangt nach global agierender Kunst."

Milo Raus jüngste Aktion

Dieser Anspruch an Kunst und eigene Moralvorstellungen wurde auch vor ein paar Tagen bei Milo Raus jüngster Kunst-Aktion wieder sichtbar. In Berlin hatte der Schweizer mit anderen Aktivisten drei Tage ein "Weltparlament" ins Leben gerufen, eine Aktion, die in einem symbolischen "Sturm auf den Reichstag" mündete. Abgeordnete aus 20 Ländern hatten zuvor in der "Berliner Schaubühne" über die Zukunft der Menschheit debattiert. Eine für den Schluss der Aktion angekündigte "Charta für das 21. Jahrhundert" wurde allerdings erst einmal vertagt. Es gebe noch Diskussions- und Abstimmungsbedarf, so eine Sprecherin der Aktion. Es scheint, als ob auch in der Kunstwelt des Milo Rau nicht immer alle an einem Strang ziehen.

Sturm auf den Reichstag - Aktion in Berlin vor Reichstag
Milo Raus Anspruch an die Kunst ist fest verankert im politischen Geschehen: Der "Sturm auf den Reichstag" am 7.11.2017 in BerlinBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Seinen jetzt in den Kinos startenden Film "Das Kongo-Tribunal" sieht Milo Rau hingegen als gelungene künstlerische und politische Performance: "In dem Film sind alle meine Interessen, aber auch alle meine Formate versammelt, die mich in den letzten 15 Jahren umgetrieben haben." Es sei ein "theatrales Tribunal, bei dem aber alles echt ist: vom Minenarbeiter über den Rebellen und zynischen Minister bis zum Anwalt aus Den Haag spielen sämtliche Teilnehmer nichts anderes als sich selbst." So sei etwas entstanden, "was eigentlich dokumentarisch gar nicht darstellbar ist: ein Porträt der Weltwirtschaft, eine sehr konkrete Analyse all der Gründe und Hintergründe, die dazu führen, dass der Bürgerkrieg im Ost-Kongo seit über 20 Jahren nicht aufhört. Und wer ein Interesse daran hat, dass das auch so bleibt."

Der Film startet am 16.11. bundesweit in den Kinos. Das Interview für die Deutschen Welle im Jahre 2015 führte Dirke Köpp. Die aktuellen Statements von Milo Rau erschienen zum jetzigen Filmstart.