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Kurden und Aleviten zweifeln an Erdogans Reformpaket

Nalan Sipar / Hülya Topcu28. September 2013

Eine "zweite stille Revolution" nennen regierungsnahe Medien das von der Regierung angekündigte Demokratisierungspaket. Doch viele Kurden und Aleviten befürchten, dass sich kaum etwas ändert.

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Der türksiche Premier Recep Tayyip Erdogan auf einer Konferenz in Istanbul (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Die religiöse Freiheit, die Meinungsfreiheit und die Rechte von Minderheiten sollen in der Türkei gestärkt werden: Nach Berichten türkischer Medien sind das zentrale Inhalte eines Reformpakets von Recep Tayyip Erdogans (Foto) konservativer AKP-Regierung, das voraussichtlich nächste Woche vorgestellt werden soll. Regierungsnahe Zeitungen wie Sabah und Yeni Safak bezeichnen es als "Zweite stille Revolution".

Dieser Begriff spielt auf eine Broschüre an, die vor kurzem vom Untersekretariat für öffentliche Ordnung und Sicherheit, einer Abteilung des türkischen Innenministeriums, publiziert wurde - mit dem Titel "Die stille Revolution". In der Publikation "haben wir festgehalten, welche Schritte die AKP-Regierung in den vergangenen elf Jahren im Namen der Demokratisierung unternommen hat", sagt Vizepremier Beşir Atalay, der an der Kommission beteiligt ist, die das Reformpaket ausarbeitet.

Kurden erwarten "keine Wunder"

Doch die im Vorfeld bereits an die Öffentlichkeit durchgesickerten Punkte aus dem Paket werden von der Kurdenpartei BDP ("Partei des Friedens und der Demokratie") eher skeptisch aufgenommen: Die angekündigte Erweiterung der Rechte für Minderheiten - zum Beispiel der Zugang zu Bildung in der eigenen Muttersprache - wirke für sie nicht glaubwürdig. Man erwarte "keine Wunder" für die Kurden, erklärten Sprecher der Partei vor der Presse.

Selahattin Demirtaş, der Vize-Parteivorsitzende der kurdischen Partei des Friedens und der Demokratie, auf dem Kurdischen Festival in Dortmund (Foto: DW/Sipar)
Erwartet keine Wunder: Selahattin Demirtaş von der Kurdenpartei BDPBild: DW/N. Şipar

Die Skepsis der Kurden war auch auf einem kurdischen Kulturfestival in Dortmund am 22. September zu spüren. Selahattin Demirtaş, Vize-Parteivorsitzender der BDP, erklärte dort: "Sowohl Premier Erdogan als auch seine Sprecher sagen: 'Das von uns vorbereitete Paket ist wie ein Wunder und voller Überraschungen. Alle werden verblüfft sein." Doch er erwarte stattdessen eher, "vom mangelnden Demokratieverständnis der Regierung verblüfft zu werden".

Der in Deutschland lebende Kurde Yaşar Akangün hat der Rede von Demirtaş aufmerksam zugehört und teilt seine Zweifel: "Wie alle Menschen auf der Erde wollen auch wir in Frieden leben", sagt er. "Aber von dem Demokratisierungspaket erhoffen wir uns nicht allzu viel."

Stille in Kurden-Hochburg Diyarbakir

Viele Kurden in der Türkei befürchteten, dass ihre hohen Erwartungen an Reformen durch das "Demokratiesierungspaket" der türkischen Regierung nicht ausreichend erfüllt werden können, meint Mehmet Kaya, Vorsitzender des Tigris-Zentrums für Sozialforschung in Diyarbakir.

Mehmet Kaya, Vorsitzender des Tigris Instituts für Sozialforschung in Diyarbakir (Foto: DW/Nalan Sipar)
Der Sozialforscher Kaya aus Diyarbakir sieht Erdogans Reformen überwiegend positivBild: DW/N. Şipar

Das Paket sei trotzdem sehr wichtig - damit der Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und den Kurden fortgesetzt wird, gibt Kaya zu bedenken. Obwohl er die Skepsis der Kurden nachvollziehen könne, sieht er es positiv: Er betont, dass die Fortschritte der Regierung in der Kurdenfrage in den letzten zehn Jahren durchaus Anerkennung verdienen.

Enttäuschung bei den Aleviten

Auch die Aleviten, die sich im Gegensatz zu den Sunniten als benachteiligte und vernachlässigte islamische Gemeinschaft in der Türkei sehen, sollen vom angekündigten "Demokratiesierungspaket" in der Türkei profitieren. Es wird erwartet, dass die Regierung den alevitischen Glaubenshäusern den Status eines ‘Glaubens- und Kulturzentrums' verleihen wird. Dies bedeutet beispielsweise, dass der Staat die alevitischen Glaubenshäuser (Cemevi) von den Abgaben für Wasser und Strom befreien könnte und alevitische Geistliche, die sogennanten Dedes, ein staatliches Gehalt beziehen würden.

16 alevitische Organisationen aus der Türkei, Europa, Nordamerika und Australien haben der türkischen Regierung in einer offiziellen Stellungnahme vorgeworfen, dass sie das Alevitentum wie eine Sekte betrachte - trotz des geplanten "Demokratisierungspakets". Dies käme dadurch zum Ausdruck, dass die alevitischen Glaubenshäuser als "Tekke" bezeichnet werden: Das sei der türkische Begriff für Versammlungshäuser von Sekten .

Hüseyin Mat, Vorsitzender der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. (Foto: privat)
Hüseyin Mat fordert gleiche Rechte für alle Religionsgemeinschaften in der TürkeiBild: privat

"Betroffene wurden nicht angehört"

Hüseyin Mat, Vorsitzender der 'Alevitischen Gemeinde Deutschland', zweifelt außerdem an der Ehrlichkeit der Demokratisierungspläne der türkischen Regierung. Die Regierung habe während des gesamten Prozesses keine Vertreter der betroffenen Gemeinschaften angehört, kritisiert er. "Weder Organisationen, die die Interessen der Aleviten vertreten, noch die Organisationen anderer Minderheiten, wie zum Beispiel der Kurden, wurden über das geplante Paket informiert."

Ein staatlicher Lohn für alevitische Geistliche reiche nicht aus: Wichtig sei die vollständige Anerkennung und Gleichberechtigung des Alevitentums und aller anderen Glaubensgemeinschaften in der Türkei, so Hüseyin Mat. Auch İzzettin Doğan, Vorsitzender der in der Türkei ansässigen alevitischen Organisation Cem Vakfı, verlangt von der konservativ-islamischen AKP-Regierung, die sunnitisch geprägt ist, dass die alevitischen Geistlichen die gleichen Rechte erhalten wie Imame. Außerdem lege er großen Wert darauf, dass an Schulen in der Türkei auch alevitischer Religionsunterricht erteilt wird.