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Kursschwenk: deutsche Waffen für Saudi-Arabien

10. Januar 2024

Die deutsche Regierung vollzieht eine Kehrtwende beim Rüstungsexport. Sie will die Lieferung von Iris-T-Lenkflugkörpern und Eurofighter-Kampfjets an Saudi-Arabien zulassen.

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Deutschland | Bundeskanzler Olaf Scholz besucht die Luftwaffe in Jagel
Olaf Scholz vor Iris-T: Den Lenkflugkörper (mit gelber Kappe) trägt hier ein Tornado-KampfjetBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Es war die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im Oktober 2018 den Export von Waffen nach Saudi-Arabien einschränkte. Grund: der Mord am Journalisten Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul und die Beteiligung Saudi-Arabiens am Jemen-Krieg. Unter saudischer Führung kämpft eine Allianz arabischer Staaten im Jemen gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen. Dieser Krieg hat eine der schlimmsten humanitären Krisen weltweit ausgelöst.

Nun, etwas mehr als fünf Jahre später, bewertet die vom Sozialdemokraten Olaf Scholz geführte Regierungskoalition das saudische Herrscherhaus neu. Nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober trage Saudi-Arabien maßgeblich zur Sicherheit Israels bei, sagte Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen am 7. Januar bei einem Jerusalem-Besuch. "Und es trägt dazu bei, die Gefahr eines regionalen Flächenbrands einzudämmen."

Zwei Eurofighter vor blauem Himmel
Eurofighter der saudischen Luftwaffe über RiadBild: Fayez Nureldine/AFP/Getty Images

"Eng abgestimmt innerhalb der Bundesregierung"

Deshalb rückt Baerbock, wie auch ihre Koalitionspartner von SPD und FDP, vom Export-Stopp ab. Bereits Ende Dezember hat die Bundesregierung die Ausfuhr von 150 Iris-T-Lenkflugkörpern nach Saudi-Arabien genehmigt. Das bestätigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am 10.1. in Berlin. Zudem will sie dem Verkauf europäischer Kampfflugzeuge nach Riad nicht weiter im Weg stehen. Bereits 72 Eurofighter fliegen unter der Flagge des saudischen Königshauses. 48 weitere würde Großbritannien gerne liefern. Doch dafür braucht es die Zustimmung der Bundesregierung. Denn der Eurofighter, auch als Typhoon bekannt, stammt aus gemeinsamer Produktion.

"Die saudi-arabische Luftwaffe hat, auch mit Eurofightern, Raketen der Huthi, die auf dem Weg nach Israel waren, abgeschossen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am 8. Januar in Berlin. "Und im Lichte all dieser Entwicklungen ist die Positionierung der Bundesregierung, was die Eurofighter angeht, zu sehen. Und das ist eng abgestimmt innerhalb der Bundesregierung."

Abkehr vom Koalitionsvertrag

Die größte Oppositionsfraktion im Bundestag, die konservative CDU/CSU, begrüßt die neue Linie der Bundesregierung. Widerstand regt sich jedoch im eigenen Lager:  bei Abgeordneten der Grünen, die von der Ankündigung ihrer Außenministerin überrascht wurden. 

"Die Frage von Rüstungsexporten war für die grüne Identität immer sehr wichtig", sagt Sara Nanni, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Die Partei ist einst aus der deutschen Friedensbewegung hervorgegangen. Und die Außenpolitik der Grünen will von Werten, nicht Interessen geleitet sein. Nicht umsonst habe man im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen vereinbart, keine Lieferung von Rüstungsgütern an Staaten zu genehmigen, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.

Sara Nanni, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, schaut in die Kamera
Lehnt Waffenlieferungen an Saudi-Arabien ab: die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sara NanniBild: Stefan Kaminski

"Das gilt für mich in jedem Fall noch", so Nanni im Gespräch mit der DW. Zwar habe sich die Rolle Saudi-Arabiens im Jemen-Konflikt leicht geändert, "das ist für mich aber kein Grund, Eurofighter freizugeben". 

Waffenlieferungen an die Ukraine hätten die Grünen zugestimmt, "weil es gute Gründe dafür gibt, einer Demokratie, die von einem imperialistischen Aggressor zum zweiten Mal überfallen wird, die Gelegenheit zu geben, sich zu verteidigen. Diese guten Gründe finde ich im Fall von Saudi-Arabien nicht." 

Saudi-Arabien gilt als riesiger Markt für Rüstungsgüter. Das Land, das in Menschenrechts- und Demokratie-Rankings regelmäßig weit hinten landet, gab 2022 etwa 75 Milliarden US-Dollar für Waffen aus

Deutschland zählt zwar zu den größten Waffenexporteuren weltweit - momentan steht es auf Platz fünf der Rangliste. Doch es gilt als zögerlich, was die Ausfuhr von Kriegsgerät außerhalb des NATO-Bündnisses und der EU angeht. Dabei wird oft auf die deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg verwiesen.

"Es ist nicht nur unsere historische Verantwortung", sagt Nanni, "sondern es ist auch das Verständnis Deutschlands dafür, was mit Krieg und Gewalt durch aggressive Akteure an Schaden angerichtet werden kann. Das ist vielleicht noch mal etwas ausgeprägter als bei anderen Nationen."

"German-free" als Ziel für Rüstungsprojekte?

Bei gemeinsamen Rüstungsprojekten wie dem Eurofighter sorgte diese Zurückhaltung in der Vergangenheit vielfach für Unmut bei Deutschlands Partnern. Denn die Bundesregierung verweigerte nicht nur deutschen Firmen die Ausfuhr, etwa nach Saudi-Arabien, sondern auch Partnerfirmen im Ausland.

Vertreter der Industrie warnten sogar, zukünftige Gemeinschaftsprojekte, etwa im Panzer- oder Flugzeugbau, seien gefährdet, weil potentielle Partner deutsche Exportbeschränkungen fürchteten. 

Ein Küstenschutzboot hängt an einem Kran im Hafen
Milliardenauftrag: 2017 lieferte die Bremer Lürssen-Gruppe Patrouillenboote an Saudi-ArabienBild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Die Kehrtwende der Bundesregierung dürfte nun Hoffnungen auf neue Milliardenprojekte wecken. "Ein Ende der deutschen Blockadehaltung ist richtig und notwendig", schrieb Matthias Wachter vom Industrieverband BDI auf X, vormals Twitter. "Sie hilft Israel und verhindert, dass Deutschland rüstungspolitisch in Europa isoliert wird. Mehr Europa in der Sicherheitspolitik geht nur mit Kooperation und Vertrauen und nicht mit Vetos." 

Dieser Artikel wurde am 09.01.2024 veröffentlicht und am 10.01.2024 aktualisiert.