Küche als Kulturerbe?
10. Oktober 2008Konkurrenz kommt seit diesem Sommer aus Italien, Griechenland, Spanien und Marokko. Die vier Länder kündigten gemeinsam an, dass sie die Einschreibung der mediterranen Küche wünschen. In einem Jahr müssen alle Bewerbungen fertig sein.
Im "Café le Nemours" hinter dem Louvre balancieren zwei Kellner die ersten Mittagsgerichte durch die schmalen Gänge. Pierre Sanner sitzt vor einem Espresso und braut in Gedanken sein eigenes Süppchen: Er will den Wert der französischen Küche offiziell bei der UNESCO bestätigen lassen und kümmert sich seit drei Jahren um einen Ehrenplatz auf der Liste des immateriellen Kulturerbes.
Genuss mit Tradition
Pierre Sanner schätzt auch die mediterrane Küche aus Italien und Griechenland, doch sein Leibgericht bleibt ein gutes Cassoulet aus dem Südwesten des Landes. Es ist kein Geheimnis, dass die heimischen Gaumenfreuden in Frankreich nicht einfach nur verspeist, sondern geradezu zelebriert werden.
Das hat Tradition: 1826 schrieb der Richter, Schriftsteller und Hobby-Gastronom Brillat-Savarin in seiner "Physiologie des Geschmacks" dass die Feinschmeckerei eine Tugend sei und „ganz gewiss die Quelle unserer reinsten Genüsse“.
Kein gläsernes Museum
Doch ob die Wertschätzung des eigenen Geschmacks heute eine Bewerbung für die UNESCO-Liste des immateriellen Weltkulturerbes rechtfertigt, ist umstritten.
Zwar stehen Starköche wie Paul Baucuse und Alain Ducasse hinter der Kandidatur, jüngere Küchenchefs fürchten aber, die französische Küche könne in Stein gemeißelt werden.
Pierre Sanner versucht, zu beruhigen. Er wolle kein gefährdetes "Kunstwerk" unter einer Glasglocke konservieren. „Bei unserem Kampf geht es nicht darum, die Küche ins Museum zu bringen.“ Im Gegenteil wolle er sicherstellen, dass sie lebensfähig bleibe.
Man könne ein kulturelles Erbe auf die UNESCO-Liste setzen, wenn es lebendig sei, so Sanner. Also wenn es von Generation zu Generation weitergegeben und ständig neu erschaffen werde.
Feldzug für den Genuss
Ursprünglich wurde die neue UNESCO-Liste für Völker mit mündlicher Kultur-Überlieferung eingerichtet, um ihr nicht materielles Erbe zu schützen. Den Franzosen ist’s egal: Sie halten an ihrem Feldzug für die französische Küche fest.
Doch dabei sind sie nicht die einzigen in Europa. Spanien und Italien bemühen sich seit diesem Sommer gemeinsam mit Griechenland und Marokko bei der UNESCO um die Anerkennung ihrer mediterranen Küche. Für die französischen Feinschmecker sei das kein Problem, sagt Pierre Sanner.
Die Gastronomie mache einen Teil der französischen Kultur aus, und das sei wahrscheinlich bei anderen Nationen, Gemeinschaften und Völkern nicht anders. Dennoch sehen sich die Franzosen als Vorreiter : Sie kamen als erste auf die Idee, eine durch die moderne Lebensmittelindustrie gefährdete Überlieferung aus Omas Küche bewahren zu wollen.
Der Präsident schwärmt
Dem Präsidenten Nicolas Sarkozy gefällt diese Idee. Im Februar bestätigte er bei der Landwirtschaftsmesse noch einmal öffentlich die UNESCO-Kandidatur und schwärmte dabei vollmundig, die französische Küche sei die beste der ganzen Welt.
Einspruch kommt allerdings von Pierre Sanner. „Natürlich wollen wir unsere Küche nicht auf die Liste setzen, weil sie die beste ist, das wäre lächerlich.“ Aber sie schaffe bei den Franzosen ein starkes Identitätsgefühl.
"Sage mir, was du isst und ich will dir sagen, was du bist" der Aphorismus von Feinschmecker Brillat-Savarin aus dem 19. Jahrhundert hat in Frankreich auch heute noch ungebrochene Gültigkeit. Ob die kulinarischen Höhenflüge des Hexagon als Kulturerbe offiziell anerkannt werden, darüber entscheidet die UNESCO in genau einem Jahr.