La Chaux-de-Fonds - Stadt der Uhrmacher
11. September 2018Umgeben von Wiesen und Weiden taucht sie plötzlich auf, die Uhrenmanufaktur Le Cartier, nur ein paar hundert Meter entfernt von den anderen großen Luxusmarken Tissot und Breitling. Daneben grasende Kühe.
Das Silicon Valley der Uhrenindustrie, so nennen die Bewohner von La Chaux-de-Fonds und Le Locle stolz ihr auf den ersten Blick so unscheinbar wirkendes Uhrenparadies. Hier, wo einst die Bauern in den langen und kalten Wintern mit Lupen und Pinzetten am Fenster saßen. Neben der Standuhr findet man in einem Bauernhaus von 1612, heute Museum, auch die Mistgabel. Und an einem Haken noch den alten Uhrmacherkittel.
Ungewöhnlich kalt ist es an diesem Sommertag in La Chaux-de-Fonds, das auf knapp 1000 Meter Höhe mitten im Jura liegt. Und so kann man sich die rauen Winter, in denen die Bauern ihrer Uhrmachertätigkeit nachgingen, förmlich vorstellen.
Industrie-Architektur als Weltkulturerbe
Schachbrettartig angelegt ist La-Chaux-de-Fonds, speziell auf die Bedürfnisse der Uhrenindustrie angepasst. Mit breiten Straßen für viel Licht, das wichtigste Utensil der Uhrmacher. Die Villen im Jugendstil der ehemals reichen Uhrmacherfamilien stehen neben Arbeiterwohnungen. Und überall findet der, der danach sucht, die großen und hellen Fenster der Uhrmacherwerkstätten und Uhrenfabriken. Diese außergewöhnliche Stadtlandschaft hat die UNESCO veranlasst, La Chaux-de-Fonds und Le Locle 2009 in die Welterbeliste aufzunehmen.
Anders als in London oder Genf wird hier Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Kunsthandwerk Industrie, aus dem Nebenerwerb der Bauern Arbeit für alle. So behauptet man sich gegen die Konkurrenz aus Amerika. Anfang des 20. Jahrhunderts kommen mehr als die Hälfte der weltweit verkauften Uhren aus La Chaux-de-Fonds, das da bereits 40.000 Einwohner zählt.
Blumen, Tannen und Mosaike
Auch die ehemalige Manufaktur Vulcain, bekannt für ihre Präsidentenuhr, die schon das Handgelenk von Eisenhower und Nixon zierte, wird 1858 in La Chaux-de Fonds gegründet. In der stillgelegten Fabrik sind schicke Lofts entstanden, aber den Eingangsbereich von damals kann man besichtigen: Holzvertäfelt ist er, mit kunstvoll verzierten Treppengeländern. "Das schöne Gebäude sollte zeigen, dass man Geschmack hat und war quasi Werbung", erläutert Stadtführerin Claudine Buehler, die den Schlüssel zu vielen anderen verborgenen Jugendstilschätzen in La Chaux-de-Fonds hat: den Treppenhausmalereien oder dem Krematorium mit seinen Ornamenten, Fresken und Urnen mit Tannenmotiv. Typisch für La Chaux-de-Fonds, das umgeben von Tannen ist.
Der berühmteste Uhrmachersohn der Stadt
Tannen zieren übrigens auch die Villa Fallet von Le Corbusier, hoch oben in La Chaux-de-Fonds. Um dorthin zu gelangen, muss man sich ein bisschen anstrengen, aber es lohnt sich. Gerade mal 18 Jahre alt ist Le Corbusier, als er das Jugendstilhaus 1906 entwirft. Wer davor steht, kann das Genie des später so berühmten Architekten schon erahnen. Auch Le Corbusier stammt aus einer Uhrmacherfamilie und weil der Sohn nichts zu taugen scheint, schickt man ihn mit 13 Jahren auf die Kunstgewerbeschule. Hier lernt er, wie man Uhren verziert, aber es wird auch seine Leidenschaft für die Architektur geweckt. Dass Licht wichtig ist, diese Weisheit der Uhrmacher fließt später in sein architektonisches Werk ein. Lichtdurchflutet ist auch die Villa Turque, ein weiteres Haus von Le Corbusier, das er 1916 im Auftrag eines wohlhabenden Uhrenfabrikanten aus La Chaux-de-Fonds realisiert.
Eine Schatzkammer voller Uhren
Fast jeder, mit dem man hier spricht, ist mit einer Uhrmacherfamilie bekannt oder verwandt. So wie Nathalie Marielloni vom Internationalen Uhrenmuseum. Ein Ort, wo man nur schwer die Zeit vergessen kann: Schon am Eingang wird via Lautsprecher sekundengenau die Zeit verkündet. Nathalie Marielloni ist ein absoluter Uhrenfan. Sie führt einen so beschwingt durch das Museum, mit seinen mehr als 3400 großen und kleinen tickenden Objekten, dass man regelrecht angesteckt wird von dieser Begeisterung. Von Uhren, die so dünn sind wie ein 1-Franken Stück, bis hin zu reich emaillierten Uhrengehäusen - alles kann man hier finden. Ein paar Millionen kostet die teuerste Uhr in diesem eindrucksvollen Uhrenkabinett. Welche das ist, wird allerdings nicht verraten. Auf die Frage, ob die Bewohner hier, umgeben von so viel Uhrwerk, besonders pünktlich seien, erhält man von Nathalie Marielloni ein Lachen. "Ja, das ist einfach kulturell bedingt."
Luxusuhren gegen die Krise
Es ist wohl auch dieser schon fast zärtlichen Liebe zur Uhr zu verdanken, dass La Chaux-de-Fonds und Le Locle die Uhrenkrise der 1970er Jahre überstanden haben, die die Menschen hier so schwer getroffen hat. Tausende wurden damals arbeitslos, die Maschinen, die nun plötzlich wertlos waren, aus den Fenstern geworfen. Heute ist das Geschichte, La-Chaux-de-Fonds und Le Locle haben sich im Luxussegment neu behauptet. Nur zwei bis drei Prozent der Uhren weltweit kommen aus der Schweiz, aber sie machen mehr als die Hälfte des Gewinns aus. Neue Uhrenfabriken etwa von Hermes und Dior sind deshalb in der Region entstanden, neben denen, die schon immer da waren.
Im Zenit der Zeit
Wie die Firma Zenith in Le Locle. 25.000 Uhren werden hier pro Jahr produziert, und mehr als 80 verschiedene Berufe arbeiten unter einem Dach. Sie alle braucht es für eine Uhr. Bevor man das Atelier betreten darf, heißt es Kittel und Plastikschuhe überziehen. Schuld daran ist der Staub. "Feind Nr. 1 der Uhrmacher", erklärt Timothée Flückiger, der heute die Führung leitet. 1865 wurde die Manufaktur in Le Locle gegründet, eine der ersten Uhrenfabriken weltweit. Irgendwo anders die Uhren zu produzieren, daran hat man hier, bei Zenith, noch nie gedacht.
Liebe auf den zweiten Blick
Denn auch wenn kaum jemand die Städte kennt, wo die großen Schweizer Uhrenmarken produziert werden und Le Locle und La Chaux-de-Fonds ein bisschen wie Dornröschen vor sich hinschlummern: Diejenigen, die hier leben, wissen um ihren geheimen Schatz. Es ist der Ort, wo das Herz der Schweizer Uhrenindustrie seit Jahrhunderten schlägt. Eigentlich kann man deshalb hier nicht ohne Uhr nach Hause fahren: Wem aber eine Breitling oder Tissot zu teuer ist, der kann ja zur Schokoladenvariante greifen. Schön süß und völlig zeitlos.