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Umstrittener Festspielstart in Bayreuth

25. Juli 2010

Die Bayreuther Festspiele sind mit einer apokalyptischen Neuinszenierung des "Lohengrin" eröffnet worden. DW-WORLD.DE sprach mit Regisseur Hans Neuenfels, der im Alter von 69 Jahren auf dem "Grünen Hügel" sein Debüt gab.

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Szenenausschnitt aus 'Lohengrin', Bayreuther Festspiele 1999 / Foto: David Ebener dpa/lby +++(c) dpa - Bildfunk+++
Bild: picture alliance/dpa

DW-WORLD.DE: "Nie sollst du mich befragen" ist der zentrale Satz im "Lohengrin". Herr Neuenfels, Wolfgang Wagner hat von seinen Regisseuren gefordert, dass sie Richard Wagner immer wieder neu befragen sollen. Mit welcher Frage sind Sie an den "Lohengrin" herangegangen?

Hans Neuenfels: Mit der Frage beispielsweise, was uns dieses Märchen, voll gespickt mit Mythen und unglaublichen Forderungen im Sinne von Belastungen auch durch die deutsche Geschichte, uns direkt sagt? Was bedeutet es für mich? Wie kann es mich neu interessieren? Was ist die zentrale Frage? Und das ist für mich die Mann-Frau-Geschichte, die so weitergeht, dass ein Mann von der Frau verlangt, ihm vollkommen "zu sein" und die eigene Identität aufzugeben.

Wollten Sie mit dieser Inszenierung sagen, dass diese "nie-sollst-du-mich befragen"-Situation zwischen Lohengrin und Elsa nur hypothetisch ist?

Das ist die erste Frage. Die erste Voraussetzung ist: "das kann nicht sein", es ist eine These mit Antithese, und es gibt leider keine Synthese. Die Synthese ist die Zerstörung, die Aufgabe, das Versagen. Aber ganz wichtig ist, glaube ich, die grundsätzliche gesellschaftliche Irritation. Wir haben keine Entwürfe mehr, wir haben keine großen Themen und Thesen mehr. Wir haben Material: das Material der Denker, des Mao Zedong, wir haben Jesus, Marx. Aber wir haben nichts, was unser Leben so zentral bestimmt, das wir außerhalb unseres "Ichs" das Gefühl haben, wir sollten dem nachgehen. Und deswegen finde ich es so aufregend, dass jemand dem nachgeht: was gibt es für offene Fragen, die einen interessieren?

Sie sind zum ersten Mal in Bayreuth als Regisseur. Alle reden hier vom Mythos. Wie haben Sie den erlebt? Gibt es ihn wirklich?

Ja, ich denke, es gibt einen Mythos, der darin besteht, dass man die Erinnerung hier spürt, die Erinnerung an alle Dinge, an die Geschichte. Das ist ein geschichtsträchtiger Ort. Aber ich empfinde den Mythos nicht als Belastung und auch nicht als Zwang. Ich denke, dass es eine Arbeitsstätte ist mit sehr viel Konzentration und mit sehr viel Auseinandersetzung, Aufbruch und im Widerspruch. Und ich bin absolut nicht der Meinung, dass es hier bleiben sollte, wie es ist. Ich lasse mich von dem Mythos weder knechten noch ersticken.

Sie sind noch von Wolfgang Wagner engagiert worden. Die Regisseure konnten sich mit ihm reiben, um es positiv auszudrücken. Sie konnten auch viel von seiner Erfahrung mit dem Werk Richard Wagners hier mitbekommen. Wie ist es bei Ihnen? Mit wem haben Sie sich hier gerieben?

Ich reibe mich mit den zwei Frauen! Eine Frau ist sehr jung, die Katharina, die andere Frau ist älter, das ist die Eva, und wir reiben uns. Da ich hier der älteste bin von den dreien, sind die Reibungspunkte mannigfaltiger Art. Deswegen würde ich sagen: die Reibung ist geblieben, aber ist ein bisschen verschoben.

Worüber haben Sie sich gestritten?

Über Haltungen, über Sätze, über Verhaltensweisen, über Perspektiven, über sich Ausdrücken, über sich Benehmen, über Generationen (meine Assistenten sind zum Beispiel sehr jung) und über Unverständlichkeiten, also auch Elterngespräche und Generationengespräche, Gespräche, die weit ab von der Wagnerschen Musik liegen.

Das Publikum hier in Bayreuth ist ein besonderes Publikum.. Die kommen gerne hierher nach dem Motto "Ach, die Regie! Da mache ich die Augen zu und kann die Musik wenigstens genießen". Stört Sie das?

Ja, das stört mich deshalb, weil ich glaube, dass die Musik, die Andries Nelsons und ich da empfinden, sehr zusammenhängend ist. Ich glaube, dass das Tempo, die Schnelligkeit oder die Lebendigkeit und Aufgerissenheit und die Impulsivität, dass die teils optisch bedingt ist, und auch der Dirigent empfindet das so. Er muss die Inszenierung schon bejahen und verstehen, um das zu tun und machen zu wollen. Insofern gibt es einen Konsens zwischen ihm und mir, was nicht selbstverständlich ist, denn er ist 31 und ich bin 69.

Mit Hans Neuenfels sprachen Anastassia Boutsko und Hans-Christoph von Bock