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Lang: "Mischung aus Sorge und Wachsamkeit"

Marcus Lütticke23. März 2014

Die Spannungen zwischen Kiew und Moskau dauern an. Der Politologe Kai-Olaf Lang über die Angst vor weiteren russischen Gebietsansprüchen in Osteuropa und die Maßnahmen, die der Westen ergreifen kann.

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Kai-Olav Lang SWP
Bild: SWP

DW: Nach der Übernahme der Krim durch Russland gibt es die Sorge, Moskau könnte auch in der Ostukraine den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung als Vorwand für eine Truppenentsendung nehmen. Bundesaußenminister Steinmeier reiste deshalb zu Gesprächen nach Donezk. Was kann der Westen tun, um so etwas zu verhindern?

Lang: Relativ wenig. Wenn Moskau tatsächlich fest entschlossen wäre, in der Ostukraine destabilisierende Maßnahmen im großen Stil zu lancieren und auch mit Gewalt vorzugehen, dann wäre man wohl nicht in der Lage, das zu verhindern. Allerdings kann der Westen vorab Signale der Entschlossenheit senden und versuchen, den Preis einigermaßen hoch zu treiben.

Dabei kann der Westen drei Dinge tun: Zunächst kann er die Übergangsregierung in Kiew unterstützen. Dann kann er selektive - auch wirtschaftliche - Sanktionen gegen Russland durchsetzen. Und wir brauchen effektive Mechanismen der Solidarität in der Europäischen Union - zum einen im Bereich der Energie, zum anderen muss die Sicherheitsgemeinschaft des Nordatlantischen Bündnisses verbessert werden. Insbesondere Polen und die baltischen Staaten brauchen effektive Sicherheitsgarantien.

Auch in den baltischen Staaten gibt es die Sorge vor einer Expansion Russlands. Für wie gefährdet halten Sie Litauen, Estland und Lettland, die ja EU- und NATO-Mitglieder sind?

Ich glaube nicht, dass sie direkt gefährdet sind. Die russische Interessenlage ist gegenwärtig eine andere: Es geht um den großen geostrategischen Zusammenhang und das Kräftegleichgewicht zwischen dem Westen und Russland im post-sowjetischen Raum. Die Ukraine ist das Herzstück der großen strategischen Konstruktion. Das ist bei den baltischen Staaten anders, da sie bereits in EU und NATO sind. Man möchte keine offene Konfrontation mit den baltischen Staaten, aber man ist durchaus bereit, das Schicksal der russischsprachigen Minderheit auch dazu zu verwenden, aktiv zu werden.

Welche Stimmung gegenüber Russland herrscht im Baltikum?

Das ist eine Mischung aus Sorge und Wachsamkeit. Man schaut mit einiger Beunruhigung nicht nur auf die Ukraine, sondern auch auf das, was die russischen Gemeinschaften in den eigenen Ländern machen, und wie sich Moskau dem gegenüber verhält. Die Balten haben immer gemahnt, wir sollten auch sicherheitspolitische Eventualitäten vor unserer Haustür im Osten nicht ausschließen. Darin sehen sie sich jetzt bestätigt.

Was wären die Folgen eines militärischen Eingreifens Russlands im Baltikum?

Das ist aus jetziger Sicht sehr unwahrscheinlich und es wäre der "worst case". Das wäre ein echter Belastungstest für die NATO. Militärisch wären die baltischen Staaten Russland hoffnungslos unterlegen. Der lettische Verteidigungsminister hat kürzlich gesagt, wie die Verteidigungsstruktur aussehen würde. Man setzt darauf, im Ernstfall eine Art Partisanenkrieg zu führen, so dass man fünf bis sechs Tage durchhalten könnte. In dieser Zeit müssten die Verbündeten vor Ort sein. Eine große Invasion mit offenen Feldschlachten hieße, man wär einen Schritt vom Dritten Weltkrieg entfernt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dazu jemals kommen wird. Es könnte aber auch so etwas geben wie eine estnische Krim. In Narva im Osten des Landes ist der übergroße Anteil der Bevölkerung russisch. Aber auch dann stellt sich für die NATO die Frage der Reaktion.

Welche Rolle spielt die Energieabhängigkeit der baltischen Staaten von Russland?

Die baltischen Staaten haben seit vielen Jahren erklärt, sie möchten sich andere Einfuhrmöglichkeiten schaffen. Hundert Prozent der Erdgaslieferungen kommen aus Russland, es gibt keine alternative Pipeline-Infrastruktur. Gazprom kontrolliert auch die Gasversorger. Da gibt es eine große Verwundbarkeit. Man hat es lange Zeit verschlafen, da die notwendigen Schritte zu unternehmen. Das ist noch eine offene Flanke.

Neben der Ukraine bilden auch Weißrussland und Moldau einen Puffer zwischen Russland und dem Westen. Wird Putin zukünftig versuchen, auch dort den Einfluss Moskaus noch weiter zu erhöhen?

Weißrussland ist faktisch schon jetzt weitgehend unter der Kontrolle Russlands. Das Lukaschenko-Regime hat sich selbst isoliert und sich vom Westen weitgehend abgekoppelt. Es ist wirtschaftlich, vor allem energiewirtschaftlich, von Russland abhängig. Auch militärisch hat Russland seine Präsenz dort verstärkt. Da muss man nicht noch mehr tun.

In Moldau dagegen zeichnen sich tatsächlich schon einige Dinge ab. In Transnistrien, einer Region, die sich faktisch von der Moldau abgespalten hat, gab es auch den Wunsch, sich an Russland anzuschließen. Es könnte sein, dass man auch im Fall der Moldau versucht, durch Destabilisierungsmaßnahmen es komplizierter zu machen, dass dieses Land ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet oder umsetzt.

Kai-Olaf Lang leitet die Forschungsgruppe EU-Integration bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Das Interview führte Marcus Lütticke.