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Lateinamerika im Franziskus-Fieber

Astrid Prange12. März 2014

Ein Jahr nach der Wahl des ersten Papstes aus Lateinamerika herrscht bei den Katholiken dort Aufbruchsstimmung. Mit Stolz beobachten sie den zunehmenden Einfluss lateinamerikanischer Würdenträger im Vatikan.

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Papst Franziskus Amtseinführung
Bild: Reuters

Gebete im Stundentakt. Knapp 5000 Gläubige sind am Aschermittwoch in Südamerikas höchstem Gotteshaus zusammengekommen. Es ist die bereits zweite Messe zum Auftakt der Fastenzeit in der 124 Meter hohen Kathedrale in der brasilianischen Stadt Maringá. Erzbischof Dom Anuar Battisti und drei weitere Pfarrer teilen die Kommunion im Akkord aus.

"Wir haben vier Gottesdienste gefeiert, eine Messe sogar um 12 Uhr mittags, und alle waren brechend voll", sagt Bischof Battisti. Für den brasilianischen Oberhirten ist das der "Franziskus-Effekt". "Seit der neue Papst im Vatikan wirkt, kommen viele Katholiken, die zu evangelikalen Gemeinden abgewandert sind, wieder zurück", freut er sich.

Lateinamerika im Franziskus-Fieber: die Kirchen sind voll, die Volksfrömmigkeit blüht und die Befreiungstheologie feiert ein fröhliches Comeback. "Papst Franziskus hat der römischen Kirche ein neues, lateinamerikanisches Gesicht gegeben", sagt Dom Anuar Battisti. "Die Institution Kirche hatte weltweit kaum noch Ausstrahlung, jetzt ist sie wieder lebendig und dynamisch."

Wilkommene Aufbruchstimmung

Auch Leonardo Boff feiert den geistigen Klimawandel auf dem Kontinent. "Vorher war die Stimmung finster und ernst, die Kirche wurde als Albtraum wahrgenommen. Nun herrscht Erleichterung und Fröhlichkeit", erklärte der deutsch-brasilianische Befreiungstheologe, den der Vatikan 1992 mit einem Lehrverbot belegte. Pfarrer und Bischöfe seien seit der Wahl von Franziskus ins Papstamt offener und toleranter.

Brasilien bereitet sich auf Papst-Besuch vor
Begeisterte Argentinier verfolgen am 19.03.2013 die Amtseinführung "ihres" Papstes in Buenos AiresBild: Reuters

Lateinamerika kann die neue katholische Euphorie gut gebrauchen. Denn in der Region herrscht gravierender Priestermangel. Außerdem kehrten zwischen 2000 und 2010 Millionen von Gläubigen der katholischen Kirche den Rücken und schlossen sich evangelikalen Gemeinden an. Papst Franziskus scheint diesen negativen Trend gestoppt zu haben.

Grund für die katholische Aufbruchsstimmung ist die gefühlte Nähe zum Vatikan und die wieder erlaubte Debatte über Reformen innerhalb der katholischen Kirche. Außerdem scheint sich der "Latino" in Rom für längst überfällige Anliegen aus der Region einzusetzen, zum Beispiel die Heiligsprechung des Gründervaters von Sao Paulo, José Anchieta, der 1553 als Missionar nach Brasilien kam.

Auf der Liste der lateinamerikanischen Märtyrer steht auch der ehemalige Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, der 1980 im Gottesdienst von ultrarechten Todesschwadronen erschossen wurde. "Ich glaube, dass Romero bald heiliggesprochen wird, denn Papst Franziskus bewundert ihn sehr", verriet kürzlich der Weihbischof von San Salvador, Gregório Rosa Chavez, der lokalen Presse.

Im Vatikan nimmt nicht nur die Zahl der bisher unterrepräsentierten Latinos zu, sondern auch die der Befreiungstheologen. Katholische Hilfswerke sind von dieser Entwicklung begeistert. "Ich habe das apostolische Schreiben Evangelii Gaudium gelesen, da erwachen befreiungstheologische Träume wieder", schwärmt Pirmin Spiegel, Geschäftsführer des katholischen Hilfswerkes Misereor aus Aachen. "Wir bei Misereor fühlen uns in unserer Arbeit gestärkt."

Buenos Aires Papst Franziskus I. Amtseinführung
Nicht minder begeisterte Brasilianer erwarten den Papst Ende Juli 2013 zum Weltjugendtag in Rio de JaneiroBild: Reuters

Geschickte Personalpolitik

Herausragender Repräsentant aus Lateinamerika ist der honduranische Erzbischof Óscar Kardinal Rodríguez Maradiaga. Papst Franziskus berief ihn kurz nach seiner Wahl zum Koordinator der achtköpfigen Kardinalskommission, die den Vatikan bei der Leitung der Weltkirche und künftigen Reformen beraten soll. Als Privatsekretär verpflichtete Franziskus einen engen Vertrauten aus seiner Heimat Buenos Aires: den argentinischen Kirchenrechtler Fabian Pedacchio Leaniz.

Auch die Organisation der außerordentlichen Bischofssynode zum Thema Familie im Oktober in Rom liegt in lateinamerikanischer Hand. Zu den Koordinatoren gehört Raymundo Kardinal Damasceno Assis, Vorsitzender der brasilianischen Bischofskonferenz.

Hinter dem scheinbar harmlosen Thema "Familie" verbirgt sich katholischer Sprengstoff, nämlich die Debatte über die kirchliche Sexualmoral. Eine im Herbst von Papst Franziskus in Auftrag gegebene weltweite Umfrage innerhalb der katholischen Kirche zeigt den dringenden Handlungsbedarf. Die Mehrheit der Gläubigen, so das eindeutige Ergebnis, halte die Vorgaben aus dem Vatikan für lebensfeindlich und befolge sie nicht.

Drängendes Thema

Nicht nur in Lateinamerika, sondern weltweit ruft insbesondere die Behandlung von wiederverheirateten Geschiedenen Unverständnis und Empörung hervor. Weil die Ehe nach katholischer Lehre ein unauflösliches Sakrament ist, wird die Gruppe der Wiederverheirateten bis jetzt von allen Sakramenten ausgeschlossen.

Mögliche Nachfolge von Papst Benedikt XVI
Erzbischof Óscar Kardinal Rodríguez MaradiagaBild: AFP/Getty Images

Bei einem Gespräch mit der DW in Bonn räumte Kardinal Maradiaga kürzlich ein, dass dieses Thema Papst Franziskus sehr beschäftige. "Ich bin sicher, dass es auf der Synode Fortschritte geben wird", sagt er. Die Kirche könne nicht einfach an Lösungen aus dem letzten Jahrhundert festhalten. Maradiaga: "Damals waren viele unserer heutigen Probleme noch gar nicht bekannt. Die Lage in den Familien hat sich komplett verändert. Wir müssen das Evangelium befolgen, aber zeitgemäß."

Bischof Anar Battisti setzt darauf, dass die Familien-Synode der Auftakt zu einem großen Reformpaket ist, mit dem strukturelle Probleme wie Priestermangel gelöst und die Stärkung von Frauen und Laien innerhalb der Kirche angeschoben werden. "Wir hoffen, dass Franziskus endlich diese Reformen in die Praxis umsetzt", so Battisti. "Wir wollen konkrete Antworten für Familien, das ist für uns wichtiger als die Lösung der wirtschaftlichen Probleme im Vatikan."