Lateinamerika trocknet aus
20. Juli 2022Die Böden sind völlig ausgetrocknet, die Stauseen fast leer: Mehrere Jahre in Folge hat es in Mexiko kaum geregnet. Die Lage ist mittlerweile so schlimm, dass die Nationale Wasserkommission (Conagua) den Dürre-Notstand ausgerufen hat. Mit dieser Maßnahme hofft sie, einem Szenario begegnen zu können, das insbesondere den Großraum Monterrey im Norden des Landes betrifft. Die Reserven des zweitgrößten Ballungsraums nach Mexiko-City sind schon jetzt auf einem historischen Tiefstand.
Die Dürre ist jedoch ein Phänomen, das den ganzen Kontinent im Griff hat. Argentinien, Brasilien, Uruguay, Bolivien, Panama und einige Regionen Ecuadors und Kolumbiens sind mit einem Problem konfrontiert, das zwar viel mit dem Klimawandel zu tun hat, aber auch mit dem Mangel an Maßnahmen zur Bewältigung dieser Herausforderung.
"Dürren und Wüstenbildung gibt es schon seit mindestens zwei Jahrzehnten, aber die Entwicklung wird immer extremer", sagt Pablo Pérez Leiva, Wissenschaftler und Geschäftsführer des chilenischen Start-ups Innspatial, das den Wassermangel bekämpfen will, gegenüber der DW. "Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um Lösungen zu finden, die auf Innovationen beruhen, wie etwa die Verarbeitung von Satellitenbildern, die effiziente Verwaltung von Bewässerungskanälen mit Sensoren oder die Wiederaufbereitung von Grauwasser", fügt er hinzu. Als Grauwasser bezeichnet man nur leicht verschmutztes, einfach wieder zu reinigendes Abwasser aus Privathaushalten.
Nachhaltiger Umgang mit Wasser
Carlos Álvarez Flores, der Präsident der Nichtregierungsorganisation México, Comunicación y Ambiente AC, erklärt gegenüber der DW, dass die Krise von Monterrey das Ergebnis einer Summe von Faktoren ist. "Das Bevölkerungswachstum hat dazu geführt, dass wir immer weniger Wasser zur Verfügung haben. Vor 40 Jahren hatten wir 5.000 Kubikmeter pro Einwohner und Jahr, heute sind es nur noch 1.400. Die UNO spricht ab einer Unterschreitung der Marke von 2.000 Kubikmetern von Wassermangel", so der Klimaexperte.
Die Prognosen sind in einigen Fällen katastrophal. In Monterrey ist bereits von einer drohenden "Stunde Null" die Rede, die dann eintritt, wenn es überhaupt kein Wasser mehr für die Einwohner gibt. Auch in Chiles Hauptstadt Santiago droht nach mehr als zehn Jahren Dürre eine strenge Wasserrationierung. Hier haben die Behörden mittlerweile das Erscheinungsbild der Stadt angepasst, indem sie auf den Grünflächen, die vor allem die wohlhabenden Viertel schmücken, Zierpflanzen den Vorzug geben, die weniger Wasser verbrauchen.
In Uruguay wurde Anfang 2022 der landwirtschaftliche Notstand ausgerufen, während in Panama mehr als 500 Brunnen gebohrt werden sollen, um die seit 2019 anhaltende Dürre zu bekämpfen. Anfang 2022 waren 400.000 Menschen in Kuba ohne Wasser, und in Paraguay rechnet man bereits mit Millionenverlusten, die durch die ausbleibenden Niederschläge entstanden sind.
Die Internationale Union für die Bewahrung der Natur (IUCN) warnt vor dem Zusammenbrechen ganzer Ökosysteme und der Zunahme von Waldbränden, zudem litten auch die Landwirtschaft, die Flussschifffahrt und die Wasserkraftnutzung unter dem Wassermangel. Die Abholzung der Wälder, so Alvarez Flores, ist ein weiterer Faktor, der das Dürrerisiko erhöht.
Die Regierungen arbeiten mit Nachdruck daran, die unmittelbaren Probleme zu lösen, sich auf künftige Herausforderungen vorzubereiten - und dabei lange Versäumtes nachzuholen. "Wasserrecycling und die effektivere Nutzung von Regenwasser sind Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, die wir bislang so gut wie gar nicht ergriffen haben", mahnt Álvarez Flores. Der chilenische Start-Up-Unternehmer Pérez Leiva glaubt dabei an das Innovationspotential der Menschheit: "Glücklicherweise gibt es ein bedeutendes menschliches und technologisches Kapital, mit dem neue Technologien getestet werden können. Es ist aber auch wichtig, dass die Behörden kurz- und langfristige Pläne prüfen und konkrete Maßnahmen ergreifen, denn wir dürfen nicht vergessen, dass es um das Leben der Menschen geht."