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Die Lawine und der Flüchtlingsstreit

Richard A. Fuchs, Berlin 12. November 2015

Die Bundesregierung sucht einen Weg, den Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland zu begrenzen. Dabei wird viel über die richtige Wortwahl und über die richtigen Konzepte gesprochen. Noch sind diese aber Mangelware.

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Flüchtlinge vor einer Erstregistrierungsstelle in Passau (Foto: Weigel/DPA)
Dürfen Flüchtlinge auch künftig ihre Familen nachholen? Und bremst ein Verbot den Zustrom nach Deutschland wirklich?Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat mit seiner Bezeichnung des Flüchtlingszustroms als "Lawine" für Furore gesorgt. Während die einen Schäubles Warnung vor einer Eskalation der Flüchtlingskrise als verbale Entgleisung kritisieren, sehen andere in dem CDU-Parteikollegen von Kanzlerin Angela Merkel bereits einen potenziellen Nachfolger für die Kanzlerin, die sich für einige in ihrer Partei zu flüchtlingsfreundlich zeigt.

Schäuble hatte den Lawinen-Vergleich am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin gezogen. Weder SPD-Chef Sigmar Gabriel noch SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas wollten auf Nachfrage am Donnerstag die Wortwahl Schäubles bewerten. Gabriel sagte nur soviel: "Ich würde einen solchen Vergleich nicht wählen." Scharfe Kritik kam dagegen von der Opposition wie auch von Menschenrechtsgruppen. "Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten", sagte beispielsweise der Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation Pro-Asyl, Günter Burkhardt.

Sigmar Gabriel bei einer Pressekonferenz; Foto: Carstensen/dpa
Sigmar Gabriel will keine Scheindebatten um FamiliennachzugBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Flüchtlinge als "neue Gemeinschaftsaufgabe"

Vizekanzler Gabriel reagierte am Donnerstag betont sachlich. Er rückte praktische Fragen eines besseren Umgangs mit der hohen Zahl an Flüchtlingen in den Mittelpunkt. So traf er sich mit 100 Vertretern von Städten und Kommunen aus ganz Deutschland, um sich über Fragen der Finanzierung von Flüchtlingshilfe und der Verteilung von Flüchtlingen auszutauschen. "Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass wir eine neue Gemeinschaftsaufgabe Integration und Demografie brauchen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden", sagte Gabriel. Dazu gehöre, erhöhten Finanzbedarf im Bereich Wohnen, bei Kindertagesstätten, bei Schulen und bei der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt auch gemeinsam zu schultern.

Mit Blick auf den Koalitionspartner CDU/CSU, der derzeit viel über einen Stopp des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge debattiert, sagte der Vizekanzler, er wolle jetzt keine Scheindebatten führen: "Wir haben im laufenden Jahr 18.000 Menschen, die im Familiennachzug kommen. Es ist ziemlich albern, jetzt öffentlich den Eindruck zu erwecken, durch eine Änderung des Familiennachzugs würden wir dazu beitragen, dass wir weniger Flüchtlinge im gleichen Zeitraum bekommen."

Gabriel betonte, dass es jetzt auf die richtigen Prioritäten ankomme. Dazu gehöre, die Sicherung der EU-Außengrenzen als vordringlichste Aufgabe zu begreifen. Es müsse gelingen, die Zahl und die Geschwindigkeit der hierzulande ankommenden Flüchtlinge im nächsten Jahr deutlich zu reduzieren. Gelinge dies nicht mit den EU-Partnern gemeinsam, kann er sich auch vorstellen, dass Deutschland finanziell "in Vorleistung" geht, um Länder wie die Türkei, Libanon oder Jordanien bei der besseren Unterbringung der Flüchtlinge zu unterstützen.

Finanzminister Wolfgang Schäuble in Berlin; Foto: AP Images/M. Schreiber
Hat eine Lawine losgetreten: Wolfgang SchäubleBild: picture alliance/AP Images/M. Schreiber

Dabei sprach er sich für "große Kontingente" einer geordneten Zuwanderung aus, was die Schleuserkriminalität bekämpfen würde. Vertreter einzelner Kommunen und Städte betonten, dass ihre größte Herausforderung der nächsten Wochen sei, ausreichend Wonhraum zur Verfügung zu stellen. In Nordrhein-Westfalen hatten sich zuletzt 19 Kommunen als überlastet gemeldet, wodurch sie eine weitere Zuweisung von Flüchtlingen umgehen wollen. "Wir können nicht wirklich jede Turnhalle vollmachen", sagt der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski.

"Einreisekriminalität" und Hasspropaganda

Aber auch an anderer Stelle im politischen Berlin bestimmte das Flüchtlingsthema die Agenda. Bei der Herbsttagung der Justizminister wurden vor allem die rechtlichen Konsequenzen der Flüchtlingskrise in den Mittelpunkt gerückt. So beschlossen die Justizminister gemeinsam zu prüfen, ob künftig für jeden einzelnen Flüchtling der illegal nach Deutschland eingereist ist, ein offizielles Strafverfahren einzuleiten sei. "Bislang ist es so, dass Polizei und Staatsanwaltschaft verpflichtet sind, zu ermitteln", erläuterte der baden-württembergische Justizminister Rainer Stickelberger.

Weil das für die Behörden eine Kette von staatlichem Handeln in Gang setzt und weil die überwiegende Mehrzahl der Verfahren ohnehin später eingestellt wird, soll jetzt über Alternativen nachgedacht werden. Berufen Flüchtlinge sich beispielsweise auf die Genfer Flüchtlingskonvention, werden die Verfahren ohnehin meist eingestellt. Für den Justizminister Bayerns, des Bundeslandes, in dem die meisten Flüchtlinge ankommen, wäre ein solcher Schritt allerdings das "absolut falsche Signal". Justizminister Winfried Bausback forderte, den Tatbestand der "Einreisekriminalität" nicht abzuschwächen. Bundesjustizminister Maas sagte, für die Bundesregierung habe eine solche Neuregelung derzeit ohnehin "keine Priorität".

Bei der Bekämpfung von Hasspropaganda im Internet vereinbarten die Justizminister der Länder ein gemeinsames Vorgehen. Bundesjustizminister Heiko Maas begrüßte, dass beispielsweise Facebook nach öffentlichem Druck im Frühjahr deutlich stärker gegen Hassbotschaften in seinem sozialen Netzwerk vorgeht. Eine von Maas einberufene "Taskforce" soll jetzt Vorschläge für ein Beschwerdemanagement erarbeiten. Durch zertifizierte Meldestellen sollen dann User in der Lage sein, fremdenfeindliche Hetze oder rechte Propaganda zu melden und Netzwerke wie Facebook, Google, Twitter oder andere zur Löschung aufzufordern.