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Politik

Verl - eine Region im Lockdown

Miodrag Soric z. Zt. Verl
30. Juni 2020

Nach dem Corona-Skandal in der Fleischfabrik Tönnies ist eine ganze Region im Ausnahmezustand. Ganze Wohnblöcke stehen unter Quarantäne. Eine DW-Reportage von Miodrag Soric aus Verl.

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Mit Hilfe der Bundeswehr werden in Verl täglich bis zu 700 Einwohner auf Corona getestetBild: DW/M. Soric

"Haben Sie beides dabei - Personalausweis und gute Laune?" Der Bundeswehrsoldat im Corona-Testzentrum in Verl bei Gütersloh strahlt eine junge, dreiköpfige Familie an, die sich testen lassen will. Den Personalausweis haben sie dabei. Die gute Laune will sich nicht so recht einstellen. Sie sehen sich ängstlich um.

Die Bundeswehr hat die Teststelle in einer jetzt in den Sommerferien leeren Schule eingerichtet. Die Kosten für die Kontrolle trägt die öffentliche Hand und die Großschlachterei Tönnies, wo die Pandemie in diesem Teil Westfalens ihren Anfang nahm. Die junge Familie braucht die Bescheinigung Corona-frei zu sein. Nur so kann sie in Urlaub fahren. Es gibt immer noch Feriengebiete, die Gäste aus der Region Gütersloh nicht aufnehmen, weil es dort zu viele Corona-Fälle gibt.

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Verls Bürgermeister Michael Esken vor dem Quarantäne-ViertelBild: DW/M. Soric

Michael Esken, CDU-Bürgermeister in Verl, findet das ungerecht. "Wir haben hier außerhalb der Werksarbeiter, die bei Tönnies tätig sind, kaum Corona-Fälle", erklärt er. Sicher: Bei den rumänischen und bulgarischen Werksarbeitern, die in Plattenbau-Siedlungen am Stadtrand leben, sieht das anders aus. Sie wohnen oft unter einem Dach mit Werksarbeitern, die für andere mittelständische Unternehmen tätig sind, sowie alteingesessenen Anwohnern.

Quarantäne-Zone hinter Gittern

Typisch ist beispielsweise der Wohnblock am Lerchenweg. Ein rund zwei Meter hoher Gitterzaun umgibt die Gebäude. Polizisten und andere Sicherheitsleute patrouillieren davor. In einem Container direkt vor dem Zaun kann jederzeit ein Arzt angesprochen werden. Dolmetscher pendeln hin und her zwischen den Ordnungskräften und Werksarbeitern. Viele aus Rumänien sprechen gar nicht oder nur unzureichend Deutsch, um sich zurecht zu finden.

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Der Wohnblock, in dem auch etwa 300 Tönnies-Werksarbeiter lebenBild: DW/M. Soric

In dem Betonblock am Rande der 25.000 Einwohner Stadt Verl leben rund 650 Menschen. Davon sind etwa 300 Rumänen, die für Tönnies arbeiten. Sie müssen auch weiterhin in Quarantäne bleiben. Etwa 60 von ihnen haben das Corona-Virus. Wer krank ist, hat Quartiere im hinteren Teil des Wohnblocks bezogen. Diese Zone umgibt ein weiterer Zaun. So soll verhindert werden, dann sich andere anstecken. "Das ist eine Art Quarantäne innerhalb der Quarantäne," meint Bürgermeister Esken. Mit einem Stab von Mitarbeitern des Ordnungsamtes, der Polizei und Hilfsorganisationen versucht er weitere Corona-Ausbrüche zu verhindern. Nur wenn das gelingt wird Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) den Lockdown für die Region Gütersloh, zu der Verl gehört, in ein oder zwei Wochen aufheben.

Anwohner können nach und nach die Quarantäne-Zone verlassen

Für Esken und viele Anwohner am Stadtrand ist heute dennoch ein guter Tag. Viele dürfen die Quarantäne-Zone verlassen. Voraussetzung ist, dass man nicht für Tönnies arbeitet und Corona-frei ist. Alle Anwohner in der Umgebung sind getestet worden. Doch die Ergebnisse der Untersuchungen trudeln nur nach und nach ein. Deshalb können auch die Anwohner nur nach und nach die Quarantäne-Zone verlassen. Der Bürgermeister macht sich nichts vor. "Bis die Verhältnisse wieder so sein werden, wie sie vor Corona waren kann es Monate dauern." Vielleicht dauere es sogar länger, je nachdem wann ein Impfstoff gegen die Krankheit verfügbar ist.

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Restaurant-Besitzerin Susanne Grund ist der öffentlichen Hand dankbarBild: DW/M. Soric

Ähnlich sieht es Susanne Grund, die mit ihrem kroatischen Mann ein Restaurant in Verl betreibt. Sie ist dankbar, dass ihr der Staat mit 9000 Euro Soforthilfe unter die Arme griff. Der Vermieter verzichtete ebenfalls auch eine Monatsmiete. "Alles das hilft natürlich", sagt die gut gelaunte Gastwirtin. Doch sollte im Herbst eine weitere Corona-Welle über das Land schwappen, könnte das das Ende ihres Betriebs bedeuteten, meint sie. Ihr Gesicht wird ernst. Seit über 30 Jahren sichert das Restaurant die Existenz der Familie. Sie ist gerne in Verl. Von den 20 Restaurants und Cafés in der Stadt haben derzeit nur ein Drittel geöffnet. Viele Bürger haben Angst auszugehen und sich anzustecken.

Für die schwierige Situation machen die meisten Anwohner Clemens Tönnies verantwortlich. In seinem Konzern herrschten unmögliche Arbeitsverhältnisse, so dass sich das Virus unter den Werksarbeitern schnell ausbreiten konnte. Doch sie beklagen auch das zögerliche Handeln der Politik. Sie hätte den Unternehmer früher und viel strenger kontrollieren müssen.

Alle hoffen, dass die Corona-Krise bald vorbei ist. Und doch wissen sie, dass sie bis auf weiteres mit dem Virus werden leben müssen, was die Stimmung in der Stadt drückt.