Leben unterm Ascheregen
19. Mai 2015Ereignisse wie den Ausbruch des Mount St. Helena gibt es weltweit viele: Der Telico ist der aktivste Vulkan in Nicaragua. Immer wieder spuckt er Geröll in den Himmel und bedeckt die Städte in der Nähe mit feiner Asche. Auch im vergangenen Monat gab es Eruptionen, bis zu 30 innerhalb einer Woche. Laut den Messungen des Nicaraguan Geological Institute flogen "Steine, Gas und Asche bis in eine Höhe von 400 Metern." Ähnlich sah es kürzlich in Costa Rica aus. Facebook und Twitter lieferten die Bilder vom Ausbruch des Turrialba. Auch er spuckte Gas, heißen Dampf und Asche.
Spektakuläre Bilder, häufiges Ereignis
Meldungen von großen, wolkenartigen Gebilden, die sich in den Himmel schieben - oder heißer Lava, die in langsamen Strömen in Richtung Tal fließt - wirken. Einen, vielleicht zwei größere Ausbrüche gibt es im Schnitt pro Jahr. Sie geraten in den Fokus der Öffentlichkeit, weil ihr Schaden an Mensch und Umwelt groß genug war, schreibt der isländische Vulkanologe Olafur Arnalds. "Dabei gibt es über dem Nordpazifik alle 1,25 Monate Aschewolken ", so Arnalds weiter, "Island erlebt Eruptionen zum Beispiel innerhalb weniger Jahre." Der Smithonian Catalog of Active Volcanoes geht von 70 aktiven Vulkanen im Jahr aus. Er listet insgesamt 1545 Exemplare, die in den letzten 10.000 Jahren aktiv waren.
Darunter auch Hawaii. Die Inselgruppe bietet den aktivsten Vulkan der Erde: den Kilauea auf Big Island. Seine Lava fließt seit 1983 ununterbrochen. Er ist Teil einer Kette von Vulkanen, gewachsen über einem heißen Bereich unter der Erdkruste, einem Hotspot, erklärt Ceridwen Fraser, Vulkanologin an der Australian National University.
"Grundsätzlich", so Fraser, "finden wir eine Menge Vulkane am Rande von Kontinentalplatten. Diese Platten sind kalter, harter Stein, der auf einer flüssigen, sehr heißen Schicht sitzt. Wenn zwei dieser Platten aufeinandertreffen, rutscht eine unter die andere und beginnt zu schmelzen.
Wenn das passiert, kann einiges von der geschmolzenen Gesteinsmasse als Vulkanausbruch an die Erdoberfläche treten."
Erheblicher Einfluss auf die Natur
Und dieses geschmolzene Material hat den ersten und auch heftigsten Effekt auf das Ökosystem in der nächsten Umgebung. "Lavaströme, pyroklastische Ströme, Lahare und dicke Asche [...] sind die Ursache der Zerstörung der bestehenden Ökosysteme", sagt der isländische Vulkanologe Arnalds. Die Effekte reichen von einer zeitweisen Störung des Ökosystems um den ausgebrochenen Vulkan herum bis hin zu einer völligen Zerstörung der bisherigen Oberfläche. Für Sedimente von zehn bis 20 Zentimetern Dicke braucht das Ökosystem bis zu 150 Jahre, um sich zu regenerieren.
Sorgt der Ausbruch aber für Ablagerungen von mehr als 70 Zentimetern, wird der vorhandene Boden nachhaltig überlagert und neues Erdreich entsteht - über einen Zeitraum von mehreren 100 Jahren. Ähnlich sieht es aus, wenn Lava fließt.
Fließende Lava und verflüssigte Sedimente sind "auch Teil der verheerendsten Vulkanausbrüche der Geschichte", ergänzt der Vulkanologe. Beispielsweise der Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen 1991. Am 15. Juni des Jahres schoss Asche bis in eine Höhe von 34 Kilometern aus dem Krater, geschmolzenes Gestein floss bis in eine Entfernung von 16 Kilometern vom Gipfel. Der Ausbruch füllte das angrenzende Marelle-Tal stellenweise mit bis zu 200 Metern Sediment. Die Aschewolke verdunkelte den Himmel in der Region und der nachfolgende Ascheregen - begünstigt durch einen zeitgleichen Taifun - ging auf fast allen Inseln im Umkreis nieder, bis hinüber zum südchinesischen Meer, nach Vietnam, Kambodscha und Malaysia. Mindestens 875 Menschen kamen ums Leben.
Das Land ist nicht mehr dasselbe
Abgelagerte Sedimente, Asche oder Gesteine verändern nachhaltig die Bodenstruktur der Region. Sie haben damit einen erheblichen Einfluss auf den Ertrag, den die Landwirtschaft erwirtschaften kann oder den Bestand der Nutztiere in der betroffenen Region. Olafur Arnalds hat sich die negativen Folgen verschiedener Ausbrüche genauer angesehen: So habe der Ausbruch des Mount St. Helens 1980 für einen Ertragseinbruch von sieben Prozent auf den Feldern der Region gesorgt. "Fast 100 Quadratkilometer Ackerland war stark vom Ausbruch des Pinatubo in Mitleidenschaft gezogen", so Arnalds. Auch Tiere sterben - vor allem, weil sie Vulkanasche eingeatmet haben.
Diese Effekte betreffen auch Flussläufe, Insektenbestände und andere wildlebende Arten. "Ablagerungen", schreibt Arnalds, "können die Eigenschaften des Flussgrundes beeinflussen, aber auch die Versorgung mit Nährstoffen." Sprich: In von Vulkanasche verunreinigten Flüssen können für lange Zeit Fische nicht existieren. Das gleiche gilt für Weidegründe, nicht nur bei Nutztieren. Höhleneingänge von Nagetieren werden genauso verschüttet wie angestammte Nistplätze von Vögeln. Der Einfluss kann sich über Jahre hinweg ziehen.
"Kleine Säugetieren kehrten nach Jahren an die Ausbruchsstelle am Mount St. Helens zurück, sie machten sich da das neu entstanden Ökosystem zunutze, mit all den Überbleibseln des Ausbruchs", wie Arnalds weiter schreibt.
Der ewige Mythos vom Massensterben
Vulkanausbrüche sollen sogar am massiven Artensterben vor 252 Millionen Jahren schuld gewesen sein. Tatsächlich, fanden Forscher in einer aktuellen Studie des Wissenschaftsmagazins Science heraus, hatten sie einen Anteil daran.
Demnach brachen Vulkane an der Zeitengrenze zwischen Perm und Trias im heutigen Sibirien aus. Die Kette dieser Ausbrüche allein löschte eine beträchtliche Anzahl von Arten aus. Das bei den Eruptionen freigesetzte Kohlendioxid aber überforderte die Aufnahmefähigkeit der Weltmeere. Innerhalb von nur 10.000 Jahren sank ihr pH-Wert so stark ab, dass noch weit mehr Spezies nicht überlebten. Zwischen Perm und Trias starben allein 96 Prozent aller Meereslebewesen aus.
Doch nicht immer ist der Einfluss von Vulkanausbrüchen auf die Umgebung so verheerend. Die Menge und Art des ausgestoßenen und abgelagerten Materials ist entscheidend. Geringe Mengen Asche beispielsweise können sich sehr wohl positiv auf den Nährstoffgehalt des Bodens und damit auf die Vegetation und ihre Bewohner auswirken.
"Oder", sagt Ceridwen Fraser, "denken wir noch einmal an Hawaii. Jede Insel ist ein Vulkan aus einer anderen Zeit, und die ältesten haben in der Regel die größte Vielfalt an Leben. Die Arten hatten auf den alten Vulkanen mehr Zeit sich zu entwickeln als auf den jungen. Ohne sie würden die Inseln nicht existieren und auch nicht die komplexen und vielfältigen Ökosysteme."
In kälteren Regionen aber, ergänzt sie, könnten die Hitze und der Dampf von Vulkanen dafür sorgen, dass Schnee und Eis schmelzen und so die Gegenden wirtlicher machen für Arten, die hier einen Platz zum Leben finden. "In der Antarktis profitieren vor allem Pflanzen und wirbellose Tiere. Die relativ warmen Stellen in den ansonsten kalten Regionen sind ein bisschen wie die Arche Noah, sie bieten Raum zum Überleben. Arten können von hier aus sogar ganz neue Bereiche bevölkern, wenn diese einmal eisfrei sein sollten."