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Leben vor den Toren Europas

Alexander Göbel14. Oktober 2013

Der Wald vor den Toren der marokkanischen Grenzstadt Oujda ist zum Symbol geworden für die Tragödie von Flüchtlingen aus Afrika. Unter schlimmsten Bedingungen harren sie aus und hoffen darauf, dem Elend zu entkommen.

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Ein afrikanischer Flüchtling im Wald von Oujda (Foto: ABDELHAK SENNA/AFP/GettyImages)
Bild: Abdelhak Senna/AFP/GettyImages

Mohamed weist den Weg durch dichten Pinienwald, in die Camps der Migranten aus Ghana, Mali und Burkina Faso. Alle hier sind Mitte Zwanzig, und sie haben alles hinter sich gelassen, um anderswo das Glück zu suchen, das sie zu Hause nicht finden konnten. Sie suchen Schutz unter grünen Plastikplanen, kochen an kleinen Feuerstellen, besitzen nur das, was sie am Körper tragen.

"Wenn du morgens hier im Wald aufwachst und du weißt, dass Europa so nah ist, dann denkst du an das gute Leben, das die Menschen dort haben", sagt Mohamed. Von der marokkanischen Stadt Nador und vom Berg Gurugú aus könne er sogar die europäische Exklave Melilla auf dem afrikanischen Festland sehen. Dann rieche er das Mittelmeer. "Das macht dich wahnsinnig. Du willst sofort gehen. Auch wenn es dein Leben kosten kann", flucht Mohamed vor sich hin. "Aber das ist vielleicht symptomatisch für Afrika: Du musst dein Leben riskieren, um etwas zu erreichen."

Das ganze Dorf spart für den Schlepper

Sein Leben hat auch Abdoullah riskiert - mehr als zwei Jahre war er unterwegs, Tausende Kilometer, von Ghana bis nach Marokko. Mehr als umgerechnet 3000 Euro hat sein Trip gekostet, gespart hat sein ganzes Dorf - für die Schlepper, die ihn durch die Wüste gebracht haben. Seine Eltern wissen nicht, dass er noch lebt. Aber Abdoullah ist sicher, dass sie für ihn beten. Profifußballer will er werden, am liebsten bei Real Madrid. Wenn er es geschafft hat, sagt er, dann will er zu Hause anrufen und Geld schicken. Damit seine Eltern stolz auf ihn sind. "Ich war schon mal auf Gran Canaria. Es war toll dort, doch leider wurde ich verhaftet und zurückgeschickt." Insgesamt drei Monate war Abdoullah auf der Ferieninsel, doch seit einem Jahr schon steckt er in Oujda fest - im Wartesaal nach Europa, wie so viele afrikanische Migranten und Flüchtlinge.

Eine Gruppe illegaler Migranten aus dem Senegal unterwegs in Richtung Oujda, Marokko. (AP Photo/Remy de la Mauviniere)
Afrikanische Migranten hoffen auf eine bessere ZukunftBild: picture alliance/AP Photo

Tagsüber lungern sie in der Stadt herum, betteln Passanten an. Ein paar marokkanische Dirham für die nächste Mahlzeit, für Wasser, Seife, Kleidung, Medikamente, Milchpulver und Windeln für die Babys. Arbeiten dürfen die Migranten in Marokko offiziell nicht. Viele verdingen sich als Tagelöhner bei Bauern. Manche handeln mit Drogen, um irgendwie an Geld zu kommen. Vielen Frauen bleibt nichts anderes übrig als Prostitution. Im Wald von Oujda vegetieren Hunderte Menschen, die Afrika nicht will, Marokko nicht und Europa erst recht nicht.

"Jedes Mal, wenn die Polizei kommt, stecken die Beamten die Zelte an", berichtet Abdoulaye aus Burkina Faso von nächtlichen Polizeiaktionen auf ihre Schlafstätten. "Oft werden wir im Schlaf überrascht." Einige Flüchtlinge seien dabei schon verletzt worden. "Wir müssen dann immer wieder von vorne anfangen und uns Material zusammensuchen. Bis zur nächsten Polizeirazzia, danach sieht es hier wieder so aus wie vorher", schildert Abdoulaye die Zustände resigniert.

Ein Hund der mehr wert ist

Viele junge Malier landen in Oujda - die Krise im Norden ihrer Heimat trieb sie hierher - und nach Europa. Menschen wie Abou, 20 Jahre alt. Er ist am äußeren Grenzzaun von Melilla hängen geblieben und hat sich den linken Fuß aufgerissen - die marokkanische Polizei hat ihn geschnappt, verprügelt und im Wald abgeladen. Eiter kommt aus der offenen Wunde, der Fuß ist stark geschwollen, wegen der Schmerzen kann Abou kaum noch sprechen.

Grenzzaun in Melilla zwischen Spanien und Marokko. Copyright: Alexander Göbel
Der Grenzzaun in MelillaBild: A. Göbel

Die anderen setzen ihn auf den kalten Boden in die Runde um einen großen zerbeulten Topf - die Männer essen mit den Händen, was Camp-Chef Ismael zusammengerührt hat: einen Brei mit Reis und Gemüse. Sie essen, so viel sie können. Sie müssen stark bleiben, um nicht zu verzweifeln, an Afrika und Europa. "Die Menschen wollen doch nur Freiheit, Frieden und Menschenrechte", sagt Abou. "All das gibt es aber nicht für uns, sondern nur für die Menschen in den reichen Ländern. Sogar Hunde haben in Europa einen Ausweis, stell dir das mal vor - ein europäischer Hund ist mehr wert als ich!"