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Leipzig: Antisemitismus ist kein Einzelfall

6. Oktober 2021

In Leipzig soll dem Musiker Gil Ofarim aus antisemitischen Gründen der Zugang zu einem Hotel verwehrt worden sein. Der Fall sorgt für Aufsehen und eine Welle der Solidarität – ist aber nur die Spitze des Eisbergs.

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Deutschland Demonstration gegen Antisemitismus vor dem Hotel Westin Leipzig
Solidaritätskundgebung vor dem Westin Hotel in Leipzig am DienstagabendBild: Dirk Knofe/dpa/picture alliance

Ruhig ist es an diesem Mittwoch am Eingang des Westin Leipzig, einem Oberklasse-Hotel nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof der Stadt entfernt. Die Einfahrt vor dem fast 100 Meter hohen Betonklotz ist so gut wie leer. Wer näher tritt, wird von einem großen Banner willkommen geheißen.

Ganz und gar nicht willkommen hatte sich der Sänger Gil Ofarim gefühlt, als er hier am Montag einchecken wollte. In einem Video-Statement, das er am Bordstein vor dem Hotel aufnahm und auf Instagram postete, sprach der jüdische Musiker aus München von Antisemitismus am Empfang des Hauses.

Ofarim sagte, er sei von einem Gast und einem Hotelmitarbeiter aufgefordert worden, seine Davidstern-Kette zu verbergen, erst dann könne er einchecken. Auf Twitter haben sich seitdem Tausende zu dem Fall geäußert und ihre Anteilnahme ausgedrückt. Das Video Ofarims, in dem er sichtlich bewegt die Vorwürfe vorträgt, haben fast drei Millionen Menschen angesehen, es wurde mehr als 16.000 Mal kommentiert.

"Es ist nicht der erste Vorfall in meinem Leben, an dem ich konfrontiert worden bin mit Fremdenhass, mit Antisemitismus. Aber ich glaube: Es war einmal zu viel", sagte der 39-jährige Musiker am Mittwoch bei Bild TV.

Gil Ofarim
Erhebt Vorwürfe gegen Mitarbeiter eines Hotels: der Sänger Gil Ofarim Bild: dpa/picture alliance

Inzwischen ermittelt die Polizei. Die Justiz in Leipzig prüft mehrere Anzeigen. Es liege eine wegen Volksverhetzung vor, allerdings habe auch der beschuldigte Mitarbeiter Klage wegen Verleumdung eingereicht. Es gelte nun die Ermittlungsergebnisse abzuwarten, sagte Polizeisprecher Olaf Hoppe.

Am Dienstag Abend hatten sich nach Polizeiangaben rund 400 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung vor dem Hotel in Leipzig versammelt. Namenhafte große Organisationen wie der "Zentralrat der Juden" und Politiker und Politikerinnen verschiedener politischer Parteien äußerten sich ebenfalls. Was dabei deutlich wird: der Vorfall in Leipzig sorgt zwar für enorme Öffentlichkeit, ist aber womöglich nur der eine Fall, der das Fass zum Überlaufen brachte. "Der erschreckende Fall im Westin ist kein Einzelfall, antisemitische Gewalttaten nehmen kontinuierlich zu. Antisemitismus grassiert in Deutschland, es braucht einen Kraftakt der Zivilgesellschaft und der Politik", twitterte etwa die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Anfeindungen auf Demos und im Fußballstadion

Tatsächlich gab es allein in der vergangenen Woche zwei antisemitische Vorfälle, die ebenso drastisch sind wie der Fall, den Ofarim schildert, aber weitaus weniger Öffentlichkeit und Aufsehen erzeugten. In Hamburg wurde ein 16-Jähriger festgenommen, der Ende September einen 60-jährigen Juden am Rande einer Israel-Demonstration so stark verletzt haben soll, dass dieser ins Krankenhaus musste und beinahe sein Augenlicht verlor.

Vergangenen Donnerstag wurden Anhänger des israelischen Fußballteams Maccabi Haifa laut Augenzeugen im Stadion von Union Berlin antisemitisch beleidigt und angegangen. Die Uefa ermittelt inzwischen. Laut einer Studie der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Rias, die im Februar veröffentlicht wurde, kommt es allein im Bundesland Sachsen, in dem Leipzig liegt, im Schnitt pro Woche zu drei antisemitischen Vorfällen.

Angesichts dessen weisen jüdische Einzelpersonen, Aktivisten und Organisationen darauf hin, bei aller aktuell vorgetragenen Solidarität den Alltag vieler Juden und Jüdinnen nicht aus dem Blick zu lassen. So twitterte Laura Cazés, Referentin der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, dass es 2021 keinen Raum gebe, "der frei von Antisemitismus ist. Kein Klassenzimmer, kein Fußballstadion, keine Hotellobby." 

Und auch der ehemalige Vizepräsident der "European Union of Jewish Students", Ruben Gerczikow, merkte an: "Wenn es einen antisemitischen Vorfall gab, dann redet ihr über Antisemitismus und lasst den Hashtag trenden. Für uns ist das Alltag." 

Was den Vorfall in Leipzig angeht, äußerte sich auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, und forderte ebenfalls dazu auf, mehr Solidarität im Alltag zu zeigen: "Dass ein Mensch in der Öffentlichkeit einer gut besuchten Hotellobby antisemitisch diskriminiert und angefeindet wird, entsetzt mich", sagte Klein. Gleichzeitig zeige der Vorfall auch, dass es noch viel mehr Aufklärung in Deutschland zum Thema Antisemitismus bedürfe.