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Titelträume mit Nebengeräuschen

Olivia Gerstenberger5. Juni 2016

Terror, Sexskandal, Rassismusvorwürfe - vor der EM im eigenen Land brodelt es in der Equipe Tricolore gewaltig. Dazu fällt ein Leistungsträger kurzzeitig verletzt aus. Dennoch gilt Frankreich als Favorit auf den Titel.

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Der französische Kader beim Freundschaftsspiel Niederlande - Frankreich (Foto: Getty Images/AFP/F. Fife)
Bild: Getty Images/AFP/F. Fife

Es hätte so schön werden können - die EM im eigenen Land mit einem französischen UEFA-Präsidenten und einer furios aufspielenden Nationalelf. Doch Frankreichs Fußball wird seit Monaten von Skandalen erschüttert. UEFA-Boss Michel Platini ist nach der Sperre des Internationalen Sportgerichtshofs CAS zurückgetreten und für die Stadien gesperrt, dazu gibt es einen Sex- und Rassismusskandal in der Equipe Tricolore, der bei der Kadernominierung zu einem unrühmlichen Höhepunkt kam.

Der nicht berücksichtigte Mittelstürmer Karim Benzema erhob dabei schwere Vorwürfe gegenüber Nationaltrainer Didier Deschamps. "Er hat sich dem Druck eines rassistischen Teils von Frankreich gebeugt", klagte der 28-jährige Sohn algerischer Einwanderer. Auch der ehemalige Nationalstürmer Eric Cantona hatte zuvor ähnliche Vorwürfe gegen seinen einstigen Nationalmannschaftskollegen Deschamps erhoben. Dieser schaltete die Anwälte ein.

Pikante Affäre

Benzema durfte nach der "Sextape-Affäre" bereits seit Dezember 2015 nicht mehr für die Nationalelf spielen. Auch der betroffene Mathieu Valbuena wurde nicht für die Heim-EM berücksichtigt. Dieser jedoch hatte nach seiner Nichtnominierung angekündigt, "aus Respekt vor seinen Mitspielern und der gesamten französischen Mannschaft" erst nach der Europameisterschaft eine Erklärung abzugeben.

Angeblich war der Mittelfeldregisseur von Bekannten Benzemas mit einem Sexvideo erpresst und dann von seinem Teamkollegen gedrängt worden, das geforderte "Schweigegeld" von 150.000 Euro zu zahlen. Valbuena zeigte Benzema daraufhin an, diesem drohen bis zu fünf Jahre Haft. Der Beschuldigte beteuerte jedoch, seinem Mitspieler nur habe helfen wollen. Mit 27 Toren in 81 Länderspielen ist Benzema, der bei Champions-League-Sieger Real Madrid spielt, derzeit der torgefährlichste Franzose im Dress der Equipe Tricolore. Für ihn soll nun Olivier Giroud auf Torejagd gehen, der immerhin 13 Treffer in 45 Länderspielen beisteuerte und beim FC Arsenal unter Vertrag steht.

Die französischen Nationalspieler Mathieu Valbuena und Karim Benzema bei der Nationalhymne (Foto: picture alliance/dpa/J. Zapata)
Werden so schnell keine Freunde und Teamkollegen mehr: Valbuena (l.) und Benzema (r.)Bild: picture alliance/dpa/J. Zapata

Für Negativ-Schlagzeilen sorgte zudem auch Verteidiger Mamadou Sakho vom FC Liverpool: Er war wegen einer positiven Dopingkontrolle wochenlang gesperrt worden, wurde dann aber wieder von der UEFA freigesprochen. Dennoch verpasste er zahlreiche Länderspiele und wurde für die EM nicht nominiert.

Ohne Ribery, dafür mit Coman

Bis zur endgültigen Kaderbekanntgabe rissen die schlechten Nachrichten nicht ab: In letzter Minute fiel auch noch Mittelfeldspieler Lassana Diarra von Olympique Lyon mit einer Verletzung aus, wie schon Jeremy Mathieu (FC Barcelona) und Abwehrchef Raphael Varane (Real Madrid) vor ihm.

Nun müssen es eben die anderen richten - Deschamps hat trotz der vielen Ausfälle noch immer international erfahrene Topleute an Bord. Die beiden größten Stars im Team sind zweifelsohne Juventus Turins Mittelfeld-Star Paul Pogba und Antoine Griezmann vom unterlegenen Champions-League-Finalisten Atletico Madrid. Der wurde in der Champions League im Halbfinal-Rückspiel in München zum Bayern-Schreck.

Eine sichere Bank im Tor ist Hugo Lloris von Tottenham Hotspur. Dazu kommen Stammspieler wie Kapitän Blaise Matuidi von Paris St. Germain und Patrice Evra von Juventus Turin. Einziger Bundesliga-Legionär im französischen Aufgebot ist Kingsley Coman vom deutschen Meister FC Bayern München, der als Flügelflitzer und Flankengeber auf Einsätze hoffen darf. Nicht dabei ist Comans Vereinskollege Franck Ribery. Er hatte nach der WM 2014 seinen Rücktritt erklärt, zuletzt aber mit einem Comeback geliebäugelt. Ribery spielte 81 Mal für Frankreich, stand dort aber vor allem wegen seines Verhaltens außerhalb des Platzes oft in der Kritik.

Fußball EURO 2016 Team Frankreich im Trainingslager in Österreich
Der Trainer und seine Stars: Deschamps (l.) mit Griezmann (2.v.l.) und Pogba (r.)Bild: picture alliance/M.i.S.-Sportpressefoto

Frankreich zählt zu den Top-Favoriten

Im Eröffnungsspiel messen sich die Franzosen am 10. Juni im Stade de France von Saint-Denis mit Rumänien. Weitere Gegner sind Albanien und die Schweiz. Die Hoffnungen der Fans auf ein erfolgreiches Abschneiden des Gastgebers sind groß, auch wenn die Erinnerungen an den Terroranschlag während des Länderspiels in Paris gegen Deutschland vor sieben Monaten noch gegenwärtig sind. Und so prägen Bilder von Gendarmen und Spezialeinsatzkommandos in schusssicheren Westen und Sturmhauben das Bild in Paris, dazu kommen die anhaltenden Streiks und Proteste gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform. Dennoch zeigen die Testspielsiege unter anderem gegen Russland (4:2), die Niederlande (3:2) und auch gegen Deutschland (2:0), dass sich die offensivstarken Franzosen durchaus zum Favoritenkreis zählen können.

Fußball WM 2014 Deutschland Frankreich Viertelfinale
Bei der WM 2014 hieß es für Frankreich: Aus im Viertelfinale - nach dem 0:1 gegen Deutschland durch Mats Hummels (r.)Bild: Reuters

Dazu kommt der Heimvorteil: Frankreich wurde sowohl 1984 im eigenen Land Europameister - damals schoss Michel Platini sein Team mit dem Rekord von neun Toren zum Titel - als auch 1998 vor heimischer Kulisse Weltmeister. Kapitän damals war der jetzige Nationaltrainer Deschamps, der als Spieler auch noch 2000 Europameister wurde. Seit 2012 zeichnet er für die französische A-Nationalmannschaft verantwortlich. Und er machte gegenüber der Kritik, dass die Abwehr zuletzt doch sehr viele Gegentore zuließ, deutlich, worauf es ihm wirklich ankommt: "Um ein Turnier zu gewinnen, ist die Defensive wichtig, aber essenziell ist es, ein Tor mehr zu erzielen als der Gegner."

Mit wagemutigem, ballsicherem Offensivzauber soll der dritte EM-Titel nach 1984 und 2000 eingefahren werden - auch wenn - wie zuletzt beim 0:1 bei der WM 2014 - bereits im Viertelfinale Deutschland als Gegner droht. "Der Abstand zu Deutschland ist nach der Weltmeisterschaft in Brasilien geringer geworden", erklärte Deschamps selbstbewusst. Die Chancen für den Titeltriumph stehen nicht mal schlecht - denn auch ohne ihren besten Stürmer Benzema haben die Franzosen einen der besten und talentiertesten Kader ihrer Fußballgeschichte. Nun müssen "Les Bleus" nur noch ihre Skandale überwinden.