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"Leviathan": Gefeiert und verteufelt

Markian Ostaptschuk (mit dpa)4. Februar 2015

Der mutige Kinofilm hatte die russische Öffentlichkeit polarisiert - angeheizt noch durch die Oscar-Nominierung als bester nicht-englischsprachiger Film. Nun läuft das kontroverse Werk auch in den deutschen Kinos an.

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Filmszene aus Leviathan
Bild: picture-alliance/AP

Der systemkritische Film "Leviathan" hat in Russland für heftige Diskussionen gesorgt. Die einen werfen dem Regisseur Andrej Swjaginzew vor, er ziehe Russland in den Dreck, nur um im Westen bei Festivals Trophäen von "Russenfeinden" zu erhalten. Andere hingegen loben den Mut des 50-Jährigen, Themen des russischen Alltags wie Machtmissbrauch, Justizwillkür und eine unheilige Allianz zwischen Kirche und Staat aufzugreifen.

"Leviathan" erhielt bereits viele Auszeichnungen, darunter bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Er wurde bei den Golden Globes in den USA als bester ausländischer Kinofilm gekürt und war in der Sparte "Bester nicht englischsprachiger Film" für einen Oscar nominiert. Swjaginzew erzählt die tragische Geschichte einer Familie aus der nordrussischen Küstenprovinz Murmansk , die in einem Konflikt mit einem korrupten Bürgermeister alles verliert. Schonungslos wird die von vielen Russen im Alltag empfundene Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit dargestellt.

Andrej Swjaginzew nimmt bei den Golden Globes die Auszeichnung entgegen (Foto: Paul Drinkwater/NBCUniversal via Getty Images)
Andrej Swjaginzew nimmt bei der Verleihung der Golden Globes seine Auszeichnung entgegenBild: Getty Images/Paul Drinkwater

Kritik von Regierung und Kirche

Dem russischen Kulturminister Wladimir Medinski geht der Film jedoch zu weit. Er bescheinigt Swjaginzew zwar Talent, kritisierte aber, "Leviathan" fehle es an positiven Helden. Der bekannte St. Petersburger Kommunalpolitiker Witali Milonow spricht sogar von einem "russenfeindlichen Machwerk". Der Regisseur solle die aus Steuergeldern unterstützte Filmförderung zurückzahlen. Milonow sieht zudem die russisch-orthodoxe Kirche beschmutzt: mit Szenen aus Gottesdiensten sowie dem Auftritt eines Geistlichen, der im Stil eines Mafia-Paten dem Bürgermeister zum harten Durchgreifen rät.

Russlands Kirchenführung wiederum bezeichnet den Film als "sehr pessimistisch". Wsewolod Tschaplin, zuständig für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft, kommentierte, es würden nur Klischees von Wodka-Gelagen, einem gruseligen Staat und einer schaurigen Kirche bedient . "Ich wundere mich nicht, dass der Film im Westen erfolgreich ist", so Tschaplin im russischen Fernsehen.

Swjaginzew selbst zeigte sich in einem Interview des Staatsfernsehens erstaunt darüber, dass "Leviathan" so "mikroskopisch ernst wie ein Dokumentarfilm" genommen werde. Es gehe gar nicht speziell um Russland, sondern um "den kleinen Menschen, über sein Stolpern über das System". Es sei eine universelle Geschichte, so der Regisseur.

Nur eine Frage der Konjunktur?

Den Erfolg des Films führt der bekannte russische Regisseur und Vorsitzende des Kulturausschusses in der Staatsduma, Stanislav Goworuchin, vor allem auf die derzeitige Konjunktur zurück. Im Ausland seien solche Filme besonders gefragt. "Aber um eine Auszeichnung zu bekommen, reicht es natürlich nicht, unser Land in einem schlechten Licht zu zeigen und die Russen als Betrunkene und Verbrecher darzustellen", so Goworuchin. Der Film sei durchaus professionell gemacht, auch wenn zu wenig über seine Schwächen gesprochen werde.

Anton Dolin, einer der führenden Filmkritiker Russlands, glaubt, vor allem ein Faktor beeinflusse die gegenwärtige Debatte über den Film: der zunehmende Antagonismus zwischen Russland und dem Westen. "Viele meinen, man müsse Russland beschimpfen, um im Ausland erfolgreich zu sein. Aber das stimmt nicht", betonte auch Dolin.

Ein Film über die russische Realität

Dass sich Swjaginzew und andere Regisseure nur darauf konzentrieren würden, wie man vor allem im Westen Erfolg haben könne, glaubt der bekannte russische Filmkritiker Andrej Plachow nicht. "Leviathan ist ein absolut zeitgemäßer Film über die heutige russische Realität, nicht geschönt, sehr hart und offen", so Plachow. Swjaginzew sei es gelungen, einen sozialkritischen und zugleich philosophischen Film zu drehen.

Auch der St. Petersburger Schriftsteller und Literaturforscher Andrej Astwazaturow hält "Leviathan" für ein Meisterwerk. Swjaginzew habe verdient den Golden Globe erhalten und sollte auch einen Oscar bekommen. Ihm gelinge es, sowohl das russische als auch das internationale Publikum anzusprechen. "Aber manche wollen Russland und sich selbst eben nicht so wahrhaben, wie Swjaginzew sie skizziert. Im Film gibt es viele Metaphern und Symbole. So das Skelett eines Wals als Parabel für den Zustand des Staates, der gebrechlich ist und sich in ein Skelett verwandelt hat", sagte Astwazaturow.

Das Skelett eines Wals an der Küste der nordrussischen Küstenprovinz Murmansk (Foto: Festival de Cannes)
Das Skelett eines Wals an der Küste der nordrussischen Küstenprovinz MurmanskBild: Festival de Cannes

Viele großzügige Fans

Im Internet gab es eine Spendenaktion zu Gunsten der Macher des Films. Die Sammlung organisierte der unabhängige Produzent Wjatscheslaw Smirnow als Reaktion auf Internet-Piraten. Sie stellten Anfang Januar bereits alle Filme ins Internet, die für einen Oscar nominiert waren, darunter auch Swjaginzews Streifen. Die Filmemacher haben jedoch bereits angekündigt, die gesamten Spenden wohltätigen Zwecken zukommen zu lassen.