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PolitikAsien

LGBTQ+ in Ozeanien: Kulturell akzeptiert oder diskriminiert?

11. Dezember 2023

Der Jahresbericht der Nichtregierungsorganisation ILGA zeichnet ein komplexes Bild der Lage von LGBTQ+-Gemeinschaften auf den Pazifikinseln

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Rund 1000 Personen finden sich im Rahmen des Sydney Gay and Lesbian Mardi Gras vor dem Opernhaus der Stadt, Juni 2022
Buntes Sidney: Rund 1000 Personen zeigen Flagge für LGBTQ+ vor dem Opernhaus beim Sydney Gay and Lesbian Mardi Gras im Juni 2022Bild: Saeed Khan/AFP via Getty Images

200 Dollar mussten sie nach ihrer Verhaftung im November 2023 zahlen, dann kamen sie auf Bewährung frei. Ihr Vergehen: Die beiden Bürger von Papua-Neuguinea hatten homosexuelle Liebe praktiziert - ein in diesem Land strafbarer Akt, für den sie  juristisch zur Verantwortung gezogen wurden. Ihr Fall sollte im März dieses Jahres vor Gericht verhandelt werden. Ob es dazu tatsächlich kam, ist offen. Man habe keine weiteren Informationen zu dem Prozess erhalten können, heißt es in dem mit "Our identities under arrest" überschriebenen Lagebericht 2023 der für die Rechte sexueller Minderheiten eintretenden Menschenrechtsorganisation International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA).

Der Fall ist typisch für die Lage der LGBTQ+-Personen in Ozeanien, wie sie ILGA in ihrem Bericht dokumentiert. Sie sind rechtlich insgesamt noch nicht gleichgestellt. Homosexualität gilt in sechs der 14 UN-Mitgliedstaaten der Region einer weiteren ILGA-Studie zufolge als Straftat. Dem Report zufolge besteht zwischen der Rechtslage und Gerichtspraxis allerdings ein erheblicher Unterschied: Zwar könne homosexuelle Praxis in mehreren Ländern der Region - so etwa Kiribati, Samoa, Tonga, Tuvalu - mit teils sehr hohen Haftstrafen (in Kiribati und Tuvalu bis zu 14 Jahren) bestraft werden. Dem ILGA-Report zufolge werden entsprechende Urteile aber nicht ausgesprochen.

Tanzende auf der Gay- und Lesbenparade in Sidney
Szene vom Gay and Lesbian Mardi Gras in Sidney, Februar 2023Bild: Saeed Khan/AFP via Getty Images

Toleranz und verbale Ausfälle

Diese Zurückhaltung sei in der spezifischen Lebensweise der meisten Staaten Ozeaniens begründet, sagt Tuisina Yamania Brown, Co-Generalsekretärin bei ILGA und dort auch für die Beobachtung der Region zuständig. Sie selbst wurde auf Samoa geboren. Die meisten Länder der Region seien durch eine einfache Subsistenzwirtschaft geprägt, sagt sie im DW-Interview. "Man wacht auf, pflanzt sein Essen, geht zur Arbeit, geht fischen, sorgt sich um die Mahlzeiten. Im Vordergrund steht die Frage, was die einzelnen zur Gemeinschaft beitragen können: Wer kann sich um die Kinder oder die Älteren kümmern? Wer repariert das Haus, wer verdient Geld, um die Stromrechnung zu bezahlen?" Fragen dieser Art stünden für die meisten Menschen im Vordergrund. "Sie kümmern sich nicht groß um Phänomene wie das der LGBTQ+-Personen. Diese sind Teil der einzelnen Familien. Und wenn mich jemand attackiert, attackiert er meine Familie, denn ich bin ein Teil von ihr."

Das verhindert nicht, dass es zumindest in der Vergangenheit auch zu verbalen Anfeindungen insbesondere gegen Homosexuelle kam. So bezog der damalige Premierminister Samoas, Tuilaepa Sailele Mailielegaoi, im Jahr 2012 in der Diskussion um die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe deutlich Stellung. "Mein Standpunkt als Regierungschef von Samoa in der Frage der Homo-Ehe ist einfach", zitiert ihn die Zeitung Samoa Observer: "Auf keinen Fall, auf gar keinen Fall, wird diese Frage in Samoa jemals erwogen werden. Das samoanische Parlament würde sich niemals mit einem solchen Gesetzentwurf befassen, zumindest nicht zu meiner Zeit." Die Regierung von Samoa und die religiösen Konfessionen des Landes verträten diese Ansicht gemeinsam und mit Nachdruck, so der damalige Premier. Tatsächlich können in Samoa gleichgeschlechtliche Ehen bis heute nicht geschlossen werden.

Karte Inselstaaten im Südwest-Pazifik DE

Komplexe Geschlechterordnung

Druck auf Homosexuelle üben hauptsächlich konfessionelle Gruppen aus, sagt Brown. "Sie haben einen sehr strengen Moralkodex, den sie auch anderen Menschen aufzwingen wollen; ganz unabhängig davon, wie sie sich selbst verhalten."

Das bezeugen auch andere Quellen. "In diesen weitgehend sozialkonservativen Gesellschaften mit starkem christlichem Ethos kann es gefährlich sein, offen LGBTQ+ zu sein", heißt es in einer Studie des britischen Parlaments vom März 2022. "Zusätzlich zur rechtlichen Diskriminierung kommt es weiterhin zu teilweise gewalttätiger gesellschaftlicher Diskriminierung von LGBTQ+-Menschen."

Diesem Druck stehe aber eine komplexe Geschlechterordnung gegenüber, so Ymania Brown im DW-Interview. Während die Diskussion über die Zahl möglicher Geschlechter im Westen noch sehr jung sei, reiche sie in Ozeanien weit zurück. "In Samoa etwa lebt man seit uralter Zeit mit der Vorstellung, dass es mindestens vier Geschlechter gibt.  Es gibt Frauen, Männer, maskulin sozialisierte Frauen und die so genannten Faafafine, das sind Männer, die als Frauen erzogen wurden".  Das Phänomen der Faafafine ist auch in anderen Ländern der Region bekannt. In Tuvalu etwa werden entsprechende Personen als Pinapinaaine bezeichnet, in Tonga als Leiti, auf Fidschi als Vakasalewalewa oder Hijras. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

"Diese langjährigen Traditionen der Würdigung vielfältiger und fließender Geschlechteridentitäten sind ein wichtiger Bestandteil der Kulturen des Pazifikraums und bieten einigen LGBTI-Personen in der Region ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Sicherheit", heißt es in einem Report von Amnesty International aus dem Frühjahr 2022. "Mehrere dieser lokalen Kulturen schaffen einen sicheren Raum, der es Menschen mit unterschiedlichem Geschlecht ermöglicht, in ihren Gemeinden zu leben und zu arbeiten."

Allerdings gebe es durchaus Einschränkungen, heißt es in dem Report weiter: "Obwohl LGBTI-Rechte inzwischen im Pazifikraum anerkannt und in nationalen Gesetzgebungen verankert werden, zeigen Berichte, dass LGBTI-Personen weiterhin an den Rand gedrängt werden und täglicher Diskriminierung ausgesetzt sind."

Fortschreitende Liberalisierung

Auch ILGA dokumentiert in den letzten Jahrzehnten zumindest in Teilen der Region eine schrittweise Liberalisierung der Gesetzgebung zur Homosexualität. Im Jahr 2005 etwa wurde auf den Fidschi-Inseln das Gesetz gegen gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen vom Obersten Gerichtshof des Landes für verfassungswidrig erklärt. Doch es brauchte weitere fünf Jahre, bis die Kriminalisierung von Homosexualität endgültig aus der Rechtsprechung gestrichen wurde.

In Kiribati ist Homosexualität zwar illegal. Dennoch stimmte das dortige Parlament 2015 für ein Gesetz, das Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt aufgrund sexueller Orientierung unter Strafe stellt.

2016 hob der Inselstaat Nauru das Verbot homosexueller Handlungen unter Männern auf. Ein Jahr später entschloss sich auch Tuvalu zu diesem Schritt.

In diesem Jahr haben die Cookinseln einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen entkriminalisiert.

James Marape, Premier von Papua-Neuguinea
Möchte Rechte für LGBTQ+ nicht fördern: James Marape, Premier von Papua-NeuguineaBild: UNTV/AP/picture alliance

Verzögerungen

Teils verzögert sich die Liberalisierung der Homosexuellenrechte aber auch. So erklärte der Premierminister von Papua-Neuguinea, James Marape, im Juni dieses Jahres, es gebe keine Pläne zur Einführung von Gesetzen zur Legitimierung der Rechte von Lesben und Schwulen in dem Land. Die bestehenden Gesetze des Landes böten einen angemessenen Schutz für die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger bieten, einschließlich derjenigen der LGBTQ+-Gemeinschaft. Jede Person habe zwar das Recht, ihre sexuellen Präferenzen zu bestimmen. Seine Regierung beabsichtige aber nicht, die Rechte von Schwulen und Lesben zu fördern oder zu legitimieren, so Marape.

Taxi in Papua Neuguinea: Wo die wilden Kerle fahren

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika