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Liberia seit dem Abgang des Diktators Taylor

Reinhold Meyer 2. März 2004

Aus Haiti ist der ungewollte Präsident Aristide gerade geflohen. Liberia ist seinen Ex-Diktator Taylor schon fast ein halbes Jahr los. Was kam danach? Die UN muss hier ihren Willen zur Friedenssicherung beweisen.

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Liberianische Flüchtlinge vor Taylors Rücktritt im Herbst 2003Bild: AP

Als Ex-Diktator Charles Taylor im Oktober 2003 aus dem Land floh, war die Freude in Liberia groß. Vergleichbar mit der in Haiti in diesen Tagen nach dem Abgang von Präsident Jean-Bertrand Aristide. In Liberia muss sich seitdem die Übergangsregierung mit dem Problem auseinandersetzen, zwischen den Bevölkerungsgruppen über die ethnische Identifikation und egoistische Interessen hinaus eine nationale Identität herzustellen sowie Loyalitätsgefühle gegenüber dem Staat zu entwickeln. Ähnlich wie in anderen Krisengebieten in Afrika gilt es, den Frieden und den Wiederaufbau langfristig zu sichern. Obwohl Bürgerkriege anhaltende Aufmerksamkeit erregen, die äußerst mühseligen Friedens- und Aufbauanstrengungen hingegen nicht.

Labile Lage

Auch für Liberia kann es nach 14 Jahren Bürgerkrieg keine schnellen Lösungen geben. Die Versöhnung der Bürgerkriegsgegner, deren sichtbare Zeichen das im August 2003 in Accra/Ghana unterzeichnete Friedensabkommen sowie die Bildung der Übergangsregierung im Oktober 2003 waren, ist weiterhin labil. Noch immer können die Rivalitäten und Interessengegensätze zwischen den Anhängern des gestürzten Taylor-Regimes, der Bewegung "Liberian United for Reconciliation and Democracy" (LURD), der Bewegung "Movement for Democracy and Elections in Liberia" (MODEL) sowie den Gefolgsleuten von Präsident Gyude Bryant wieder zum Auflodern von Kämpfen führen.

Diese Situation macht die Wiederherstellung der Verwaltungsautorität im gesamten Land für die Übergangsregierung ungemein schwierig. Die in Brüssel ansässige "Internationale Krisengruppe" (ICG) charakterisiert Liberia als "einen zusammengebrochenen Staat, der in der Wirklichkeit zu einem UN-Protektorat geworden ist". Diesen Zustand muss Präsident Bryant schnell verändern, will er überhaupt eine Chance haben, die nationale Aussöhnung zu schaffen, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie durchzusetzen und eine stabile wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu bringen.

Treue gegen Waffen und Geld

Gelingt dies nicht, bleibt das Abkommen von Accra in der Praxis ein bedeutungsloses Stück Papier. Doch die Übergangsregierung stand von vornherein auf tönernen Füßen. Es geht nicht um politische Programme, sondern um Machtstellungen, nicht mehr um die Verwirklichung von Demokratie und Reformen, sondern um egoistische Interessen. In einem Land wie Liberia bedeutet Macht die Kontrolle über die wichtigsten Ressourcen wie Holzvorräte, Diamanten- und Goldvorkommen. Macht bedeutet aber auch Zugang zu den Geldern der internationalen Geberländer, zu Ämtern und politischen Pfründen. Die Führer der in der Übergangsregierung vertretenen Kriegsparteien wissen, dass die Treue ihrer Milizen nur solange dauert, wie sie Waffen und Geld erhalten.

Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass die Vereinten Nationen (UN) den 2001 verhängten Boykott gegen liberianische Diamanten sowie den 2003 gegen liberianisches Holz zunächst aufrechterhält. Ebenso ist es erforderlich, dass sie streng kontrolliert, ob die Anfang Februar 2004 von einer internationalen Geberkonferenz zugesagte 520-Millionen-Dollar-Starthilfe sinnvoll eingesetzt wird. Zugleich muss die UN-Mission in Liberia (UNMIL) Präsident Bryant bei der Realisierung von drei Vorhaben helfen, damit seine Regierung überhaupt eine Erfolgschance hat.

Wie ernst meinen es die UN?

Es geht um die Entwaffnung und Eingliederung der etwa 50.000 Kämpfer in die Zivilgesellschaft, vor allem auch die Eingliederung der geschätzten 20.000 Kindersoldaten sowie die Erneuerung der Sicherheitsdienste. Aber auch Hilfe für die Abertausenden von Flüchtlingen und den Aufbau der desolaten Infrastruktur des Landes sind nötig. Fortschritte in diesen Bereichen sind ebenso der Schlüssel zum Erfolg der UNMIL wie die wirksame Ausdehnung der vorgesehenen 15.000 UN-Blauhelmsoldaten auf das gesamte Land.

Liberia war wie andere afrikanische Regionen ein zu lange vernachlässigter dringender Notfall mit verheerenden Folgen. Afrikanische Konfliktregionen scheinen einer kollektiven Vergesslichkeit zum Opfer zu fallen. Seit vielen Jahren schon mahnt UN-Generalsekretär Kofi Annan, dass die Situation in Afrika nicht ignoriert werden könne. Liberia ist eines der afrikanischen Länder, wo sich beweisen wird, ob sich das geändert hat.