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Politik

Libyen: Der Zorn der Araber auf die Türkei

17. Januar 2020

Das Bündnis zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und dem libyschen Premier al-Sarradsch sorgt fast in der gesamten arabischen Welt für Empörung. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erdogans Kalkül ist gewagt.

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Türkei | Libyen | Erdogan | al-Sarradsch
Bild: DHA

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab sich entschieden. Sein Land werde noch in diesem Jahr und "so schnell wie möglich" in einem mit Libyen vereinbarten Gebiet nach Erdgas suchen, erklärte er am Donnerstag. Erdogan bezog sich auf ein im November mit der libyschen Regierung in Tripolis geschlossenes Abkommen, das die zwischen beiden Staaten bestehenden Seegrenzen modifiziert. Teile der im Mittelmeer vor einigen Jahren entdeckten Erdgasfelder befinden sich dem Abkommen gemäß nicht mehr auf libyschem, sondern auf türkischem Seegebiet. Damit will sich die Türkei einen Anteil an der Ausbeutung der Gasfelder sichern.

Die Türkei: diplomatisch isoliert

Das Abkommen mit Libyen hat die Türkei in diplomatisch schwierigen Zeiten geschlossen. Insbesondere die Beziehungen zu den USA sind seit der türkischen Intervention im Norden Syriens belastet. Diese macht auch das Verhältnis zu Russland nicht einfacher. Im libyschen Bürgerkrieg stehen die beiden Staaten einander gegenüber, haben eine direkte Konfrontation bislang aber vermieden.

Auch zu den Nachbarn in der Region sind die Beziehungen angespannt. Das Verhältnis zu Saudi-Arabien ist derzeit eher schlecht - einerseits aufgrund der unterschiedlichen Positionen zu den Muslimbrüdern, andererseits wegen der Ermordung des regimekritischen Journalisten Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. Die politische Nähe der Türkei zu den Muslimbrüdern erschwert auch das Verhältnis zu Ägypten, ebenso wie der Streit um die Gasvorkommen im Mittelmeer. Dort gehört Ägypten zusammen mit Israel, Griechenland und Zypern zu einer Staatengruppe, die gemeinsam kürzlich entdeckte Gasfelder im östlichen Mittelmeer bewirtschaften und die Türkei dabei ausschließen wollen.

Libyen Tripolis Demonstration gegen die türkische Parlamentsentscheidung Truppen nach Libyen zu senden
Libyer demonstrieren in Bengasi gegen das militärische Engagement der Türkei in ihrem LandBild: Reuters/E. O. Al-Fetori

Die libysche Karte

Im Streit um die Gasvorkommen setzt die Türkei jetzt vor allem auf Libyen. Im Gegenzug für die Modifikation der Seegrenzen unterstützt die Regierung in Ankara das unter Druck geratene Kabinett von Ministerpräsident Al-Sarradsch, das sich wachsendem Druck durch die Truppen General Haftarsausgesetzt sieht.

Die von Haftar unterstützte Regierung in Tobruk ist aus den Wahlen von 2014 als Siegerin hervorgegangenen, wird international aber nicht anerkannt. Al-Sarradsch hingegen wird von den meisten westlichen Staaten sowie den Vereinten Nationen als legitimer Ministerpräsident gesehen. Dennoch hat er ein großes Problem: Er kann kaum auf militärische Unterstützung aus dem Ausland rechnen. Hilfe bieten ihm einzig die Türkei und das mit dieser politisch verbündete Emirat Katar.

Seit sich Katar im Sommer 2017 einem von Saudi-Arabien angeführten Boykott mehrerer Staaten gegenüber sah, wurde die Bindung zwischen Doha und Ankara immer enger. Ebenso wie die Türkei unterstützt auch Katar die Muslimbrüder. Aus der Perspektive Katars ist Libyen ein Land, in dem es Saudi-Arabien indirekt entgegentreten und dessen Pläne durchkreuzen kann. Damit versucht das Emirat die Kosten des Boykotts für seine Gegner auch strategisch nach oben zu treiben.

Kritik aus Riad 

Vor einigen Tagen hatte auch die saudische Regierung das türkische Engagement in Libyen kritisiert. Das Königreich verurteile "die jüngste türkische Eskalation in Libyen", hieß es in einer Pressemitteilung des Außenministeriums in Riad. Diese sei ein Verstoß gegen Entscheidungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

Das Königreich bestätigte, "dass diese türkische Eskalation eine Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität in Libyen und eine Bedrohung für die arabische und regionale Sicherheit darstellt. " Sie sei ein Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines arabischen Landes und damit "ein offensichtlicher Verstoß gegen internationale Prinzipien und Bündnisse."
Die Rolle der Muslimbrüder

Deutschland Compact with Africa Initiative in Berlin | Agyptischer Präsident al-Sissi
Entschiedener Gegner der Muslimbrüder: Ägyptens Präsident al-SisiBild: picture-alliance/AFP/J. Macdougall

Die Unterstützung der Muslimbrüder sei einer der wesentlichen Gründe, warum sich Ägypten vehement gegen die Präsenz türkischer Truppen im Nachbarland Libyen stemme, sagt Canan Atilgan von der Konrad Adenauer Stiftung in Tunesien. Die ideologischen Spannungen zwischen Ägypten und der Türkei hätten auch eine sicherheitspolitische Komponente: "Ägypten hat ein sehr starkes Interesse an militärisch garantierter Sicherheit in Libyen. Es geht dem Land vor allem um den Schutz der Grenzen, damit über sie keine Islamisten, Muslimbrüder oder andere religiöse Extremisten in das Land eindringen", so Atilgan im Gespräch mit der DW.

Neo-Osmanismus?

Entsprechend scharf kritisieren auch die - von der Regierung direkt oder indirekt kontrollierten - ägyptischen Medien die türkische Präsenz in Libyen. Diese sei "Teil eines Versuchs der türkischen Regierung, ihre Macht in Regionen auszuweiten, die einst zum ehemaligen Osmanischen Reich gehörten", heißt es etwa in der Zeitung "Ahram": Mit dem Engagement in Libyen geht Erdogan angesichts der internationalen Opposition ein enormes Risiko ein. Denn er muss nicht nur mit diplomatischen, sondern in Teilen auch militärischem Widerstand rechnen.

Infografik Karte Politische Akteure in Libyen  und regionale Akteure DE

Stellvertreterkrieg in Libyen?

Zieht der von der Türkei unterstützte al-Sarradsch im libyschen Machtkampf den Kürzeren, wird Erdogan auch das Pokerspiel um die Erdgasfelder im Mittelmeer verlieren. Denn Bestand werden die Verträge nur unter al-Sarradsch haben. Setzt hingegen Haftar sich durch, dürfte eine seiner ersten Handlungen darin bestehen, die mit der Türkei geschlossene Vereinbarung für ungültig zu erklären. Juristisch dürfte ihm das leicht fallen, denn das Parlament in Tobruk - es war an der Vereinbarung nicht beteiligt - hat dieser nicht zugestimmt. Zudem bestehen international erhebliche juristische Bedenken gegen die Vereinbarung zwischen Ankara und Tripolis.

"Alles kommt darauf an, was nun in Libyen geschieht", zitiert die Zeitschrift "Foreign Policy" den Türkei-Experten Soner Cagaptay vom "Washington Institute for Near East Policy". "Wenn diese Regierung fällt, ist der Mittelmeervertrag dahin. Darum ist Libyen eine so ernst zu nehmende Bühne für einen Stellvertreterkrieg." 

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika