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Verzweiflung auf allen Seiten

Maryline Dumas/ Hilke Fischer2. Mai 2015

Zehntausende Migranten wagen die Überfahrt von Libyen nach Lampedusa. Die libysche Küstenwache ist schlecht ausgestattet, ebenso wie libysche Gefangenenlager, in denen die Reise vieler Flüchtlinge endet.

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Flüchtlinge im libyschen Auffanglager Kararim bei Misrata (Foto: DW)
Flüchtlinge im libyschen Auffanglager Kararim bei MisrataBild: DW/M. Dumas

Nahezu täglich brechen kaum seetüchtige Boote von der libyschen Küste in Richtung Europa auf, dicht an dicht drängen sich die Flüchtlinge an Deck - Verzweifelte auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Die Schreckensmeldungen über katastrophale Schiffsunglücke mit hunderten Toten mehren sich. Doch statt emsiger Betriebsamkeit herrscht auf dem Gelände der Küstenwache in Libyens Hauptstadt Tripolis eine merkwürdige Stille, kaum jemand scheint zu arbeiten. Am Anleger macht Einsatzleiter Shubi Bisher die Bestandsaufnahme. Doch statt der Boote, die ihm zur Verfügung stehen, zählt er, wieviele repariert werden müssen. Es fehle an Ersatzteilen, klagt er. Der Küstenwache stehe momentan ein funktionsfähiges Schlauchboot zur Verfügung. "Ich besitze privat einen kleinen Schlepper. Den benutzen wir manchmal. Wir machen die Arbeit mit unseren privaten Mitteln!"

Seit Januar 2015 patrouilliert die libysche Küstenwache nicht mehr. Die Einsatzkräfte rücken nur dann aus, wenn ihnen gemeldet wird, dass sich gerade ein Flüchtlingsboot auf den Weg zur italienischen Insel Lampedusa macht. Die rund 1800 Kilometer lange libysche Küste macht es Schleppern leicht, Flüchtlingsboote unentdeckt auf die Reise nach Italien zu schicken, knapp 300 Kilometer sind es bis nach Lampedusa. Unter der früheren Regierung von Muammar al-Gaddafi gab es eine enge Zusammenarbeit mit Europa. Libyen überwachte die Küste, hinderte die Flüchtlinge daran, libysches Gebiet zu verlassen und sperrte sie in Gefangenenlager, in denen Vergewaltigung und Folter an der Tagesordnung waren. Doch seit dem Sturz Gaddafis zerfällt der libysche Staat zusehends, Milizen kontrollieren weite Teile des Landes, Schlepper können nahezu ungestört Migranten durch das Land und auf die Boote in Richtung Europa schleusen.

Libyen Küstenwache - Shubi Bisher (Foto: DW)
Shubi Bisher von der Küstenwache: "Wir machen die Arbeit mit unseren privaten Mitteln!"Bild: DW/M. Dumas

"Drei von uns fahren mit dem Boot los", erzählt Mohamed Baithi, Chef der Küstenwache. "Wir rücken bewaffnet aus, um die Migranten zu stoppen." Denn diese wollten nicht zurück nach Libyen: "Sie wollen nach Europa. Wenn wir sie zurückbringen, dann weinen sie manchmal, oder sie versuchen, das Boot zu zerstören." Oftmals rufe die Küstenwache beim Abfangen von Flüchtlingsbooten Handelsschiffe zur Hilfe, die sich gerade in der Nähe befänden. Diese seien nach internationalem Seerecht dazu verpflichtet, bei der Rettung Unterstützung zu leisten, so Baithi. "Sie müssen dann all diese Menschen an Bord nehmen."

Unhaltbare Zustände in den Gefangenenlagern

Nach Schätzungen der EU-Kommission warten in Libyen bis zu eine Million Menschen auf die Überfahrt nach Europa. Werden sie währenddessen von der Polizei ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung aufgegriffen, endet ihre Reise vorerst in libyscher Gefangenschaft. Barfüßig sitzt Lamin Kébé im Hof des Gefangenenlagers in Zawiya, rund 50 Kilometer westlich von Libyens Hauptstadt Tripolis. Der Senegalese ist einer von rund 8000 Migranten, die sich laut dem derzeitigen libyschen Innenminister Khalifa Gwell zurzeit in einem solchen Lager befinden sollen. Vor einem knappen Jahr kam Kébé nach Libyen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben: "Ich wollte arbeiten, mir eine Zukunft aufbauen." Wenn es damit in Libyen klappen sollte, dann wollte Kébé dableiben. "Wenn nicht, dann wollte ich versuchen, mich außer Landes schleusen zu lassen."

Im Gefangenenlager von Zawiya könnten Kébé und die rund 420 anderen Inhaftierten von den Hoffnungen, mit denen sie nach Libyen gekommen sind, entfernter nicht sein. Über Wochen, manchmal Monate, werden sie von den libyschen Autoritäten festgehalten, dürfen weder arbeiten noch das Land verlassen. "Tagsüber schließen sie uns in unseren Zimmern ein, sie behandeln uns wie Hunde", berichtet der 19-jährige Boubaker Bari aus Guinea. Wächter würden sie schlagen und beleidigen. "Sie tragen Atemschutzmasken, weil sie sagen, dass wir stinken." Fünf Duschen gibt es für mehr als 400 Insassen.

Gefangenenlager in Surman (Foto: DW)
Tausende Flüchtlinge harren in Gefangenenlagern aus, wie hier in SurmanBild: DW/M. Dumas

Die schlechten Bedingungen in dem Lager sorgen für Spannungen. Die Migranten würden zum Teil gewalttätig, berichtet Oberleutnant Khaled Attumi, Leiter der Einrichtung. "Ständig versuchen sie, zu fliehen. Und gestern haben sie versucht, einen Polizisten zusammenzuschlagen." Dabei scheint Attumi den Missmut der Migranten durchaus nachvollziehen zu können: "Das Essen ist schlecht - mal gibt es Brot, mal gibt es keines." Woran das liege? "Es ist jetzt das dritte Jahr in Folge, in dem die Regierung dieser Einrichtung kein Geld zur Verfügung stellt - nicht einen einzigen Dinar! Was kann ich da machen? Wenn das so weitergeht, dann werde ich sie alle laufen lassen!"

Kein Geld für Leichensäcke

Den Migranten würde das eine neue Möglichkeit eröffnen, zu versuchen, nach Europa zu kommen. Auf einem völlig überladenen Boot, unentdeckt von Shubi Bishers Küstenwache. Die Flüchtlinge wüssten, dass sie dabei ihr Leben riskieren, sagt er. "Im Januar hat ein Fischerboot seine Netze eingeholt. Zwischen den Fischen hingen vier Leichen im Netz." Die Küstenwache habe nicht einmal Geld für Leichensäcke, so Bisher. "Es ist ein Desaster."