Lieber kein Kind mit Down-Syndrom?
21. März 2017Immer, wenn Philipp Peters seinen jüngeren Bruder trifft, wird er herzlich begrüßt. "Mein Bruder freut sich jedes Mal sehr und zeigt das auch", erzählt Peters der DW. Philipp Peters' Bruder hat Down-Syndrom, auch Trisomie 21 genannt. Die Genommutation geht mit verringertem Wachstum, Organfehlbildungen und leichter bis mittelschwerer geistiger Beeinträchtigung einher.
Aber die Mutation bringt auch andere Eigenschaften mit sich: "Menschen mit Down-Syndrom sind unheimlich herzliche Menschen", sagt Peters. Er arbeitet für die Organisation Lebenshilfe NRW, die sich dafür einsetzt, Menschen mit geistiger Behinderung an unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen.
Trotz intellektueller Einschränkung sei sein Bruder ein vollwertiges und geliebtes Familienmitglied, sagt Peters. "Wir hatten ein ganz normales Geschwisterverhältnis."
Experten pflichten Peters bei, dass die meisten Menschen mit Down-Syndrom - je nach Schwere der körperlichen Beeinträchtigung - ein glückliches und gesundes Leben führen können und ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft sind. Viele schwangere Frauen aber scheinen das anders zu sehen.
Pränatale Tests leichter durchzuführen
Wissenschaftler schätzen, dass sich in Europa knapp neun von zehn Frauen für eine Abtreibung entscheiden, wenn sie erfahren, dass sie ein Kind mit Down-Syndrom erwarten. Und in Erfahrung zu bringen, ob ein Ungeborenes die Mutation hat, ist viel leichter geworden als früher.
Ein relativ neuer, nicht-invasiver Test, der in Deutschland vor fünf Jahren auf den Markt kam, analysiert das Blut der Mutter auf Erbgut des Embryos. Er kann mit recht hoher Zuverlässigkeit sagen, ob der Embryo vermutlich Trisomie 21 hat. Ist er positiv, kann die Mutter danach eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen, um sicherzugehen.
Die neue Screening-Methode ist zuverlässiger als frühere Tests, die sich auf eine Blutanalyse und eine Ultraschalluntersuchung stützten. Aber schon diese früheren Untersuchungen haben die Zahl der Abtreibungen von Kindern mit Down-Syndrom in die Höhe getrieben, sagt Gert de Graaf von der niederländischen Down-Syndrom-Stiftung.
Mehr Screening, mehr Abtreibungen
Im Jahr 2003 entschieden die niederländischen Behörden, dass jede schwangere Frau aktiv von ihrem Arzt über die Möglichkeit eines Screenings informiert werden soll. Seitdem sind in den Niederlanden viel weniger Babys mit Down-Syndrom zur Welt gekommen.
De Graaf weist allerdings darauf hin, dass es noch immer viele Eltern gibt, die nicht an einem Screening teilnehmen möchten - "einfach, weil sie gar nicht wissen wollen, ob ihr Kind das Down-Syndrom hat. Das ist für sie sowieso kein Grund zur Abtreibung. Warum also den Test machen?"
Aber auch wenn man berücksichtigt, dass sich nur ein Drittel aller schwangeren Frauen in den Niederlanden für das Screening entscheidet, ist das Ergebnis deutlich: Ohne Pränataltests und Abtreibungen kämen alleine in den Niederlanden doppelt so viele Kinder mit Down-Syndrom zur Welt.
Eine Frage des Landes
Die Datenbank EUROCAT (European surveillance of congenital anomalies) zeigt, wie viele Kinder mit Down-Syndrom tatsächlich zur Welt kommen und wie viele eigentlich geboren würden. Die Zahlen für Deutschland sind ähnlich wie die für die Niederlanden: Insgesamt kommen etwa die Hälfte aller Kinder mit Down-Syndrom nicht zur Welt, weil sich ihre Eltern gegen sie entscheiden.
In anderen Ländern sind die Zahlen noch viel dramatischer, sagt de Graaf - abhängig davon, wie viele schwangere Frauen jeweils am Screening teilnehmen. In Dänemark beispielsweise sei das Screening umsonst, und etwa 90 Prozent aller Frauen nähmen daran teil. "Es gibt sogar einen subtilen gesellschaftlichen Druck, das Screening machen zu lassen", sagt de Graaf. Als Konsequenz kommen in Dänemark heutzutage fast keine Kinder mit Down-Syndrom mehr zur Welt.
In den USA ist die Situation weniger dramatisch. Studien schätzen, dass hier statt 90 Prozent nur etwa 67 Prozent aller schwangeren Frauen ein Kind mit Trisomie 21 abtreiben lassen. Aber auch in den USA werden dadurch insgesamt ein Drittel aller Babys mit Trisomie 21 abgetrieben, weil sie nicht erwünscht sind.
Warum eigentlich eine Abtreibung?
Gert de Graaf wünscht sich, dass sich die Menschen besser über das Down-Syndrom und seine Konsequenzen informieren. "Das Down-Syndrom ist weniger eine Katastrophe, als die Leute denken", sagt er. "Ich persönlich würde es nicht als Grund für eine Abtreibung sehen." Allerdings fügt er hinzu, dass diese Wahl jedem einzelnen überbleiben sein sollte.
Die Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden inzwischen über 80 Prozent 50 Jahre alt oder mehr. Jedes Jahr werden weltweit etwa 3000 bis 5000 Kinder mit der Genommutation geboren, sagt die WHO. Körperliche Herausforderungen sind Schwerhörigkeit, Herzfehler und Darmprobleme. Gerade Organfehlbildungen lassen sich inzwischen aber recht gut behandeln.
Trotzdem haben viele Frauen vermutlich Angst, was sie erwartet, wenn sie ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, sagt Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Ulm. Er meint, hier sei es die Aufgabe der Gesellschaft, den Frauen unter die Arme zu greifen. "Wir dürfen Mütter mit einem Down-Syndrom-Kind nicht alleine lassen."
Auch Steger betont, dass jede Frau selber entscheiden dürfen muss, was das Beste für sie ist, sprich, ob sie am Screening-Test teilnimmt und ob sie notfalls einen Schwangerschaftsabbruch durchführt.
Allerdings lege es auch in der Verantwortung jeder Frau, sich gut zu informieren und selbstbestimmt eine Entscheidung zu treffen. Und eben nicht blind dem Ratschlag eines Arztes, der eigenen Mutter oder dem, was die Gesellschaft vielleicht von ihr erwarten mag, zu folgen. "Einige Frauen unterliegen möglicherweise der Rollenerwartung, dass sie ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen haben."
Je später, desto wahrscheinlicher
Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Down-Syndrom zu empfangen, ist etwa 1:200. Das Risiko steigt allerdings rapide an, wenn die Mutter über 30 oder sogar über 35 Jahre alt ist.
Laut US-Gesundheitsbehörde hat die Zahl der Babys, die mit Down-Syndrom zur Welt kommen, zwischen 1979 und 2003 um etwa 30 Prozent zugenommen. Das ist höchstwahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass viele Frauen heutzutage die Geburt ihres ersten Kindes nach hinten schieben, bis sie sesshaft sind - und eben älter.
Die Folge ist offensichtlich nicht ein Umdenken in der Gesellschaft, sondern stattdessen eine Zunahme von Abtreibungen.
Und ja, es stimmt: Nicht jedes geborene Kind mit Down-Syndrom kann am Ende ein glückliches Leben führen. Es gibt durchaus schwere Fälle mit vielen körperlichen Problemen. Auch bedeutet ein Kind mit Down-Syndrom für die Mutter mehr Arbeit, sagt Gert de Graaf. "Mit so einem Kind verändert sich das eigene Leben."
Aber Gert de Graaf erinnert daran, dass es niemals eine Garantie für ein gesundes Kind gibt - auch ohne Trisomie 21 nicht.