Liedermacher Wolf Biermann: Radikal und kritisch
6. Juli 2023Wenige Biografien sind so eng mit der deutsch-deutschen Zeitgeschichte verwoben wie die vom Liedermacher Wolf Biermann. Und so ist die Ausstellung, die ihm das Deutsche Historische Museum in Berlin widmet, gleichzeitig eine Reise durch das geteilte Deutschland, mitsamt seinen Höhen und Tiefen: Ausreise in die DDR, Bespitzelung durch die Stasi, Auftrittsverbote im Osten, heimliche Auftritte im Westen. Als Künstler und Persönlichkeit ragt Wolf Biermann heraus, weil er sich seine kritische Stimme nie nehmen ließ.
Ein legendäres Konzert
„1976, Köln. Die blau-weißen Hemdsärmel aufgekrempelt, schnauzbärtig, auf einem Barhocker sitzend, bewaffnet mit seinem Holzschwert: der Gitarre. So säuselt, singt und poltert Wolf Biermann am 13. November 1976 in sein Mikrofon.
Elf Jahre lang hat das repressive DDR-Regime ihm verboten, aufzutreten und zu publizieren. Dass er nun aus dem eingemauerten Osten Berlins nach Köln reisen und vor 7000 Besuchern in einer Sporthalle spielen darf, erstaunt den 39-Jährigen. Viereinhalb Stunden spottet er klampfend und singend über das DDR-Regime. Zuhause darf Biermann zwar längst keine Zeile mehr verbreiten, doch im Westen sind seine Lieder so populär, dass sie - heimlich kopiert - sogar wieder den Weg in die DDR finden.
DDR schmeißt Liedermacher Wolf Biermann raus
Noch immer auf West-Tournee erfährt Biermann am 16. November 1976 aus dem Autoradio, dass er in der DDR nicht mehr erwünscht ist. Ihm sei "das Recht auf den weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen", liest der Nachrichtensprecher vor. Biermann habe die DDR verraten und verleumdet. "Ich war wie in die Tonne getreten. Mir wurde elend vor Angst, dunkel vor Augen", schreibt Biermann in seinen Memoiren, die zu seinem 80. Geburtstag erschienen. In denen nimmt der Liedermacher seine Leserinnen und Leser mit auf die anekdotenreiche und poetische Reise durch sein bewegtes Leben als einer der berühmtesten DDR-Dissidenten.
Intellektuelle protestieren gegen Ausbürgerung
Seine Ausbürgerung löst wütende Proteste aus: In einer Petition an die Regierung erheben führende Intellektuelle der DDR ihre Stimme, darunter Stephan Hermlin, Christa Wolf, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller und Jurek Becker. Das Regime wird nervös, weitet die Überwachung der Aufmüpfigen aus, erteilt Berufsverbote, inhaftiert. Prominente wie die Schauspieler Manfred Krug und Armin Mueller-Stahl verlassen das Land. "Auf den wütenden Medienkrach im Westen waren die SED-Oberen gefasst, aber nicht darauf, dass zum allerersten Mal eine Gruppe von anerkannten Schriftstellern und Künstlern aus der DDR einen Protest, als Bittbrief kaschiert, öffentlich macht", schreibt Biermann.
Was er damals nicht weiß: Er hätte genauso gut "Hänschen klein, ging allein" singen können - seine Ausbürgerung war schon längst beschlossene Sache. Die DDR, seine Wahlheimat, in die er aus Begeisterung für den Kommunismus von Hamburg aus übergesiedelt war und in der er 23 Jahre gelebt hatte, hat ihn wieder ausgespuckt.
Eltern machen Biermann zum Kommunisten
Seinen Eltern verdankte es Biermann, dass er zu einem glühenden Verehrer des Kommunismus wird. Sein Vater Dagobert, Werftarbeiter, Kommunist, Jude, hat den Nationalsozialisten Widerstand geleistet und mit dem Gefängnis bezahlt. Die Mutter, Emma, will, dass sich der Junge an seinen inhaftierten Vater erinnert und versteckt jeden Morgen eine Kleinigkeit in dessen Namen: mal ein kleines Spielzeug, mal eine Süßigkeit. Der Papa habe ihm das Geschenk "über den Mondstrahl geschickt", erklärt sie, wenn der kleine Wolf es findet. Als der Vater vom Gefängnis nach Auschwitz deportiert und 1943 dort ermordet wird, landet seine Sterbeurkunde ohne Briefmarke im Briefkasten der Biermanns. Ein "absurder Witz aus dem Holocaust", wie Biermann schreibt.
Biermann soll den Vater rächen
Quasi-religiös werden Wolf Biermann Kommunismus und Antifaschismus eingetrichtert. Mit sechseinhalb Jahren entgeht Biermann dem "Feuersturm von Hamburg", dem Flächenbombardement der Alliierten. "Meine Mutter hatte seit den finsteren Zeiten nur ein Ziel", erinnert sich Biermann, "ich sollte durchkommen, damit ich, wie sie es pathetisch nannte, später mal meinen Vater rächen kann. Und ich sollte den Kommunismus aufbauen."
Die DDR, die ihn als 16-Jährigen aufnimmt, wird ein Hoffnungsland. Die Chance auf ein Paradies auf Erden. Sein Vater bleibt als Mahner des wahren Kommunismus, als "Schicksalsmacht" allgegenwärtig.
In Ost-Berlin studiert Biermann politische Ökonomie, Mathematik und Philosophie. Bertolt Brecht wird zu seinem großen Vorbild. "Ich leckte, ich kaute, ich schluckte und genoss den großen Dichter", schreibt Biermann. Als Regieassistent fängt Biermann am Berliner Ensemble an, das Theater wird zum "Drehpunkt" seines Lebens. Als er beginnt, eigene Lieder zu spielen, gefallen diese auch dem Komponisten Hanns Eisler, dem musikalischen und politischen Weggefährten Bertolt Brechts.
Vom Brecht-Verehrer zum Politbarden
Biermann lässt sich einen Schnurrbart wachsen - anfangs muss er etwas nachhelfen und färbt ihn schwarz. Er spielt das "Spiel der Geschlechter", schart Frauen "wie ein Schmetterlingssammler" um sich - insgesamt wird Biermann Vater von zehn Kindern. Die anfängliche Liebesbeziehung zur DDR verfliegt schnell. Als er 1963 das Theaterstück "Berliner Brautgang" aufführen will, das vom Mauerbau handelt, schließt das Regime sein gerade erst gegründetes "Arbeiter- und Studententheater". 1965 verbieten ihm die DDR-Behörden aufzutreten und zu publizieren.
Biermanns verwanzte und überwachte Ost-Berliner Wohnung in der Chausseestraße 131 wird bald zum Treffpunkt der Kritischen - sie sei ihm wie die "Wartehalle für die Weltrevolution zwischen den Welten" vorgekommen, schreibt Biermann über damals. Da gibt er noch Konzerte. Seine bitterbösen Lieder spenden den Dissidenten Hoffnung, sein Lied "Ermutigung" wird in der DDR zur Hymne der Unterdrückten.
Liedtext von "Ermutigung"
"Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich. Und brechen ab sogleich.
Du, lass dich nicht verbittern in dieser bitteren Zeit. Die Herrschenden erzittern, sitzt du erst hinter Gittern, doch nicht vor deinem Leid. Doch nicht vor deinem Leid.
Du, lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit. Das wollen sie doch bezwecken, dass wir die Waffen strecken schon vor dem großen Streit. Schon vor dem großen Streit.
Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit. Du kannst nicht untertauchen, du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit. Grad deine Heiterkeit.
Wir wollen es nicht verschweigen in dieser Schweigezeit. Das Grün bricht aus den Zweigen, wir wollen das allen zeigen, dann wissen sie Bescheid. Dann wissen sie Bescheid."
Abkehr vom Kommunismus
Blinde Systemtreue zur DDR ist für ihn Verrat am Kommunismus und an der Revolution. Das Ministerium für Staatssicherheit, die Stasi, fürchtet den Einfluss seiner frechen Texte - Biermann hat bereits sechs Langspielplatten und mehrere Gedichtbände in Westdeutschland veröffentlicht - und erarbeitet einen Plan zur "Zersetzung" seiner Person. Ein Teil davon: "Alle Liebesverhältnisse zerstören." Allein seine Popularität schützt Biermann vor der Haft.
Auch nach seiner Ausbürgerung glaubt Biermann noch an den Kommunismus - aber nicht an die DDR. Endgültig bricht er 1983 mit der Ideologie. "Und das war der entscheidende Sprung in meinem Leben", weiß er rückblickend. Der Kommunismus, "ein Weg in die Hölle, um das Paradies auf Erden zu erzwingen", nehme für eine soziale Idylle auch Unterdrückung und Ausbeutung in Kauf.
Noch lange kein Ruhestand
Bis heute steht Biermann auf der Bühne und meldet sich zu politischen Streitthemen zu Wort. So gab er 2021 seinen Ovid-Preis für sein Lebenswerk an die belarussische Aktivistin Maria Kolesnikowa weiter - als Zeichen seiner Solidarität mit der Widerstandskämpferin und seine Form des Protests gegen das Regime von Alexander Lukaschenko. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat er im Lied "Vaterseelenallein" verarbeitet, das den Bogen vom Spanischen Bürgerkrieg ins Heute schlägt. Da singt er etwa: "Und jetzt wedelt mit dem russischen Hund/ manch deutschnational-pazifistischer Schwanz."
Biermann ist inzwischen 86 Jahre alt. Auf das fortschreitende Alter angesprochen, erklärt er, er wolle noch ein "paar eckige Runden drehen", mit dem Tod habe er es nicht eilig. Und dann zitierte er den jüdischen Schlagerpoeten Robert Gilbert: "Bloß nich drängeln zu die Engeln!"
Dieser Artikel ist ein aktualisiertes und ergänztes Portrait vom 15.11.2016.
Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin läuft vom 7.7.2023 bis 14.1.2024.