Lieferkettengesetz - viel Frust in der deutschen Wirtschaft
20. Oktober 2023Die Zahlen sind erschreckend: Weltweit arbeiten rund 1,4 Milliarden Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Dazu kommen rund 160 Millionen Kinder, die zu Arbeit gezwungen werden. Seit zwei Jahrzehnten untersucht die Universität Chicago im Abstand von fünf Jahren, wie viele Minderjährige auf den Kakaoplantagen der mit Abstand größten westafrikanischen Kakao-Nationen Elfenbeinküste und Ghana arbeiten. Zuletzt waren es knapp 1,6 Millionen.
Wissen deutsche Unternehmen, die ihre Rohstoffe und Vorprodukte auf der ganzen Welt einkaufen, unter welchen Umständen sie produziert werden? "Wer darauf achten kann, dass die Produktqualität eingehalten wird, der kann das auch bei den Menschenrechten tun", sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), als der Bundestag das sogenannte Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (LKSG) auf den Weg brachte.
"Bürokratischer Wahnsinn"
Seit Anfang 2023 müssen Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern nachweisen, dass in ihren Lieferketten Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte und Umweltschutzregeln eingehalten werden. Ab 2024 gilt das auch für Betriebe mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Die Verpflichtung gilt für den eigenen Geschäftsbereich, für das Handeln eines Vertragspartners und das Handeln weiterer (mittelbarer) Zulieferer.
Die Dokumentationspflichten sind klar geregelt. Formulare müssen ausgefüllt und Berichte geschrieben werden. Alles muss lückenlos und nachvollziehbar sein. In der Wirtschaft wird das vor allem als zusätzliche Belastung empfunden. Von "bürokratischem Wahnsinn" sprach Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger auf dem Arbeitgebertag in Berlin.
Für etwas haften, was man nicht wissen kann?
Der "Wahnsinn" trifft aber oft die Falschen, nämlich die kleinen und mittleren Unternehmen, die gar nicht von dem Gesetz betroffen sind. Er könne hunderte Beispiele nennen, wo große Unternehmen ihre Dokumentationspflichten einfach durchreichen und ihre Zulieferer mit Formularen und Forderungen "überfluten" würden, klagte Antonin Finkelnburg, Hauptgeschäftsführer des Außenhandelsverbands BGA, auf dem Deutschen Lieferkettentag in Berlin. "Da kommt die Aufforderung, zu unterschreiben - oder ihr seid raus."
Dabei gehe es aber um Haftungsverpflichtungen, die viele Unternehmer gar nicht unterschreiben könnten, "weil sie die Angaben gar nicht haben".
Pigmente aus Indien - mit Kinderarbeit?
Was das bedeutet, schildert Gundula Ullah, die bei der Funke Mediengruppe für den Einkauf und die Nachhaltigkeit zuständig ist. "Wir haben für unsere Druckerfarbe Gott sei Dank einen Lieferanten, der sehr offen ist und wir wissen jetzt auch, wo die Pigmente herkommen - aus Indien. Aber weiß ich, ob da Kinderarbeit drin ist? Weiß ich nicht."
Anzeigenkunden würden den Nachweis aber fordern, so Ullah. Sie hingegen könne nur versichern, dass sie wisse, woher die Farbe komme und sie könne ihren Lieferanten "verpflichten, mir zu bestätigen über seinen Vorlieferanten, dass es so ist". Aber ihr Arm reiche nicht bis nach Indien, sagt Ullah. "Wir unterliegen einer Illusion, wenn wir denken, wir können mal eben so die Lieferketten transparent machen."
In Deutschland kommt die Feuerwehr
In vielen Fällen fühlen sich Unternehmer mit dem Lieferkettengesetz alleingelassen. "Wir haben oft den Eindruck, dass uns die Dienstmütze des Staates aufgezogen wird, wir aber die Möglichkeiten einzugreifen nicht in dieser Form haben", sagt Gero Furchheim, Präsident des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland.
Beispiel Brandschutz: In Deutschland gebe es Berufsgenossenschaften, Bauämter, die Feuerwehr und viele Instrumentarien, um Regeln mit Nachdruck durchzusetzen. "Beim besten Willen, das werden wir als Nachfrager in den Lieferketten weltweit so nicht auf die Beine stellen können."
Furchheim fordert mehr "echte Unterstützung der staatlichen Stellen bei den gemeinsamen Zielen". Wenn Zwangsarbeit nachgewiesen werde, könne Deutschland ein Importverbot für entsprechende Produkte erlassen. Ein Wunsch der Unternehmen sei auch, die Berichtspflichten in Deutschland so lange auszusetzen, bis die EU ihr Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht habe.
Es reicht, sich glaubhaft zu bemühen
Torsten Safarik, Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), kennt die Wünsche und Beschwerden der Wirtschaft zur Genüge. Sein Amt kontrolliert mit rund 65 Mitarbeitern, dass das LKSG in Deutschland eingehalten wird.
"Wir erwarten nichts Unmögliches", versucht Safarik, die Wogen zu glätten. Im Gesetz sei ausdrücklich von einer "Bemühenspflicht" die Rede. "Wir prüfen im Einzelfall, hat das Unternehmen sich bemüht, die Sorgfaltspflichten einzuhalten, ja oder nein. Die Fragebögen sollten dazu dienen, Missstände festzustellen und aufzudecken. "Es geht darum, sich ehrlich und nachvollziehbar zu bemühen, dass man dazu beiträgt, dass es eben besser wird in der Lieferkette", betont der BAFA-Präsident.
Kein Rückzug aus dem globalen Handel
Das heiße aber auch, dass es Grenzen gebe. "Was wird denn passieren, wenn wir die Anforderungen zu hochschrauben würden? Dann würden sich deutsche Unternehmen aus den globalen Weltmärkten zurückziehen müssen." Das wäre schlecht für die Wirtschaft, die Arbeitsplätze in Deutschland und auch schlecht für das Thema der Menschenrechte, so Safarik.
"Wer würde denn in diese Lücken vorstoßen, die dann entstehen würden, wenn die deutschen Unternehmen rausgehen? Dann würden Unternehmen wahrscheinlich aus Staaten vordringen, wo die Menschenrechte mit Füßen getreten werden."
Hungerstreik an der Autobahn
Safarik versichert, dass sein Amt "mit Augenmaß" kontrolliere. Wie das aussehen kann, exerziert die BAFA gerade am Beispiel eines polnischen Transportunternehmens durch, dessen usbekische und georgische Lastwagenfahrer auf einer deutschen Autobahnraststätte in den Hungerstreik traten, weil sie keinen Lohn bekamen. Als die BAFA die Lieferscheine der Fahrer kontrollierte, stellte sie fest, dass 58 große deutsche Unternehmen, die unter das Lieferkettengesetz fallen, Waren in den betroffenen LKWs hatten.
Das seien "verdammt viele", sagt Safarik, der nun bei den Unternehmen nachfragt, ob sie von den Missständen in dem polnischen Unternehmen wussten. Wenn sie glaubhaft versichern könnten, das nicht gewusst zu haben, hätten sie keine Konsequenzen zu befürchten. "Aber wenn es dann wieder so einen Fall gibt und das Unternehmen hat seine Waren wieder auf so einem LKW, dann hat das natürlich Folgen."
Schwarze Schafe sollen das Fürchten lernen
Viele deutsche Unternehmen seien vorbildhaft unterwegs, sagt der BAFA-Präsident und bemüht das Bild von einer Schafherde. "Die meisten sind weiße Schafe, sie werden kaum mit uns zu tun haben. Es gibt einige graue Schafe, denen helfen wir, die Farbe zu wechseln. Aber dann gibt es auch einige schwarze Schafe. Ja, und die schwarzen Schafe dürfen uns gern langsam fürchten lernen."