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Politik

"Wir brauchen einen Bundessicherheitsrat!"

2. September 2021

Christian Lindner wirft Bundeskanzlerin Merkel vor, sich nie wirklich um Afghanistan gekümmert zu haben. Die künftige Regierung müsse zudem gegenüber China "weniger samtpfötig" auftreten, so der FDP-Chef im DW-Interview.

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DW Interview BTW Christian Lindner
FDP-Parteichef Christian LindnerBild: R. Oberhammer/DW

Im Interview: Christian Lindner von der FDP

Für den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner mangelt es in der derzeitigen deutschen Bundesregierung schon lange an wirklicher Aufmerksamkeit für den Konflikt und die Menschen in Afghanistan. Im Spitzenkandidaten-Interview mit der DW zur Bundestagswahl sagte Lindner, in der Vergangenheit hätten sich das Kanzleramt, das Außenministerium und das Verteidigungsressort zu wenig abgestimmt, etwa wenn es um den Einsatz der Bundeswehr in dem Land am Hindukusch ging.

"Wir brauchen jetzt einen Bundessicherheitsrat"

Das müsse sich ändern, meint Lindner: "Wir müssen also für die Zukunft andere Strukturen in Deutschland schaffen. Ich bin überzeugt, wir brauchen so etwas wie einen Bundessicherheitsrat, wo sich die in der Außenpolitik tätigen Resorts auch institutionell koordinieren, Daten austauschen auf höchster Ebene."

Auch die Bundeskanzlerin selbst habe bei der Afghanistan-Politik Fehler gemacht. Angela Merkel, so Lindner, habe die Mission in Afghanistan von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder "quasi geerbt" und nie wirklich zu ihrer Angelegenheit gemacht. "Wann war denn Frau Merkel das letzte Mal dort?", so lautete Lindners rhetorische Frage dazu. Tatsächlich liegt ein Besuch der Kanzlerin bei der Bundeswehr in Afghanistan schon acht Jahre zurück.

"Ich beklage sehr, dass keine frühere Evakuierung möglich war"

Bei der Frage, wie Deutschland den nun von den neuen Taliban-Machthabern bedrängten Menschen in Afghanistan helfen könne, unterscheidet Lindner zwischen den Ortskräften, der Bundeswehr und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die dort lange unterstützt hätten. Für diese Gruppe und dazu für besonders gefährdete Menschen, etwa Menschenrechtsaktivisten, trage Deutschland besondere Verantwortung und müsse alles tun, um sie nach Deutschland zu holen.

Christian Lindner im DW-Studio
FDP-Chef Lindner im DW-Studio: Scharfe Kritik an der Kanzlerin in der AfghanistanpolitikBild: R. Oberhammer/DW

Auch Gespräche mit den Islamisten der Taliban seien dafür nötig. Lindner: "Ich beklage sehr, dass es nicht gelungen ist, in den vergangenen Monaten rechtzeitig eine Evakuierung zu ermöglichen. Daneben gibt es sicherlich viele andere, die jetzt auf der Flucht sind, weil sie fürchten, dass sie ein Leben in Freiheit nicht führen können. Hier sollte es sehr rasch einen Sondergipfel der EU-Regierungschefinnen und Chefs geben, für eine gemeinsame Afghanistan-Politik, um auch in der unmittelbaren Nachbarschaft des Landes menschenwürdige Unterbringungen zu ermöglichen." Anders als etwa nach dem Bürgerkrieg in Syrien und der Fluchtbewegung Richtung Europa 2015 sollte die EU den meisten Menschen aus Afghanistan lange Fluchtwege ersparen, so Lindner.

Gegenüber China weniger "samtpfötig" auftreten

Sollte die FDP nach der Bundestagswahl an der Regierung beteiligt werden, strebt Lindner auch Änderung der Politik gegenüber Russland und China an. Lindner berichtete, er habe bei einer Reise nach China 2019 bewusst vorher auch Hongkong besucht, was den Machthabern in Peking sichtlich nicht gefallen habe. Eine künftige Politik gegenüber China, so Lindner, müsse "entschlossener und weniger samtpfötig sein als das, was wir in den vergangenen Jahren von Frau Merkel und ihren Regierungen erlebt haben."

Konkret regte Lindner an, das Ende 2020 zwischen der Europäischen Union und China in Grundzügen vereinbarte Investitionsabkommen so nicht zu ratifizieren. Kurz vor Silvester 2020 hatte die damalige deutsche EU-Ratspräsidentschaft mit Hilfe Frankreichs eine politische Einigung mit China über das Abkommen verkündet, vor allem Bundeskanzlerin Merkel hatte darauf gedrungen.

Lindner im DW-Interview: "Ein Staat wie die Volksrepublik China, der das Völkerrecht bricht, der bei den Menschenrechten nicht den Mindeststandards genügt, die wir haben müssen, der übrigens auch im Welthandel geradezu imperial mit Dumping auftritt, mit einem solchen Staat sollte es kein 'Weiter so' geben." Beim Thema Russland forderte Linder, die Sanktionen, die die westlichen Staaten nach der Annexion der Krim gegenüber Moskau verhängt hätten, künftig noch stärker auf Personen zu richten, die das "System Putin"" unterstützten. 

Lindner will die FDP zurück in die Regierung führen

Christian Lindner ist 42 Jahre alt und von Beruf Unternehmensberater. Seit Dezember 2013 ist er Vorsitzender der "Freien Demokratischen Partei", der FDP, und im Bundestag auch deren Fraktionschef. Im November 2017 ließ er nach wochenlangen Gesprächen über ein mögliches Bündnis mit den Konservativen von CDU und CSU und den Grünen die Verhandlungen überraschend platzen. Daraufhin kam es zur Bildung der jetzigen Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten. Lindner gilt als wirtschaftsnah. Wiederholt hat er betont, ab jetzt am liebsten mit CDU und CSU regieren zu wollen. Eine solche Mehrheit ist im Moment aber sehr unwahrscheinlich. Lindner hat aber auch gute Kontakte zu den Sozialdemokraten und den Grünen. Ihm wird nachgesagt, in einer möglichen Regierung das Amt des Finanzministers anzustreben.