Analyse nach dem Parteitag der Linken
16. Mai 2010Andere Parteien wären froh, wenn sie die Probleme der Linken hätten: gute Wahl-Ergebnisse und die Chance zu regieren. Was nach Ironie klingt, ist bei den Linken traditionell bierernst gemeint. Nach dem Einzug in den Landtag des mit 18 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen muss sich die Partei vielleicht schon bald entscheiden, ob sie sich an einer Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen beteiligen will. Es wäre eine zweifache Premiere: das erste rot-rot-grüne Bündnis überhaupt und die erste linke Regierungsteilhabe im Westen Deutschlands.
Ginge es nach dem ehemaligen Parteivorsitzenden Lothar Bisky, sollte die Linke jede sich bietende Macht-Option prüfen, um die Gesellschaft zu verändern. Dass dabei Kompromisse einzugehen sind, versteht sich für einen Politprofi wie den 68-jährigen Bisky von selbst. Im Landesverband Nordrhein-Westfalen sieht das schon anders aus. Neben Pragmatikern wie dem Gewerkschafter und Spitzenkandidaten Wolfgang Zimmermann tummeln sich an der Basis Leute, die ihre Abneigung gegen das Regieren schon im Wahlkampf zum Ausdruck brachten.
Auf Plakaten war dann schon mal zu lesen: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" Mit dieser Losung hatten Kommunisten schon in der Weimarer Republik gegen die SPD Front gemacht. Die Behauptung der SPD, die Linke sei weder regierungswillig noch regierungsfähig, ist also durchaus nachvollziehbar.
Dass es auch anders geht, zeigen die Linken bereits seit 2002 in Berlin, wo sie ebenso mit der SPD regieren, wie im benachbarten Brandenburg seit 2009. In Mecklenburg-Vorpommern, wo die Linken ihren jüngsten Parteitag absolviert haben, gab es sogar schon Ende der 1990er Jahre ein rot-rotes Bündnis. Doch eignen sich die Referenzmodelle aus dem Osten nur bedingt für den Westen des Landes. Das weiß auch das neue Führungsduo Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. Die aus der DDR stammende Berlinerin und der Bayer wollen das Werk Lothar Biskys und Oskar Lafontaines fortsetzen.
Reine Lehre oder Realpolitik?
Das erste Ost-West-Duo hatte auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Die meisten Delegierten und die Partei-Basis insgesamt hätten wohl gerne mit dem 68-järigen Bisky und dem zwei Jahre jüngeren Lafontaine weitergemacht. Denn der Wechsel ist weit mehr als ein Generationswechsel zu Gesine Lötzsch (48) und Klaus Ernst (55). Er birgt auch das Risiko, in einer zwar von Wahl-Erfolgen geprägten Phase vor einer Zerreißprobe zu stehen. Drei Jahre nach dem 2007 erfolgten Zusammenschluss der ostdeutschen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und der westdeutschen Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) ist die neue Linke keinesfalls fest verankert im politischen System.
Wenn Lothar Bisky mit berechtigtem Stolz darauf verweist, nach dem Wahl-Erfolg in Nordrhein-Westfalen nunmehr in 13 von 16 Landesparlamenten vertreten zu sein, schwingt dabei indirekt auch die bange Frage mit, wie lange dieser Zustand andauern wird. Wie flüchtig der Erfolg sein kann, weiß keiner besser als Bisky selbst. Als er im Jahre 2000 den PDS-Vorsitz vorübergehend abgab, stürzte die Partei in ihre tiefste Krise und verpasste zwei Jahre später den Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag. Lediglich zwei Frauen verhinderten damals mit ihren direkt gewonnenen Bundestagsmandaten den Sturz in die absolute bundespolitische Bedeutungslosigkeit: Petra Pau und Gesine Lötzsch.
Die eine ist seit 2006 Vize-Präsidentin des Bundestages, die andere frisch gewählte Vorsitzende der Linken. Nun soll Gesine Lötzsch gemeinsam mit Klaus Ernst dafür sorgen, der Partei ein möglichst homogenes Profil zu verpassen. Dazu wird ganz wesentlich das neue Programm gehören, das als Entwurf seit März vorliegt und Ende 2011 beschlossen werden soll: Gelegenheit für die Linke, ihr Verhältnis zum Regieren und Opponieren grundsätzlich zu klären. Was Befürworter von Regierungsbeteiligungen als große Chance sehen, ist für Vertreter der kompromisslosen reinen Lehre das denkbar größte Risiko.
Wohin die Reise gehen soll, bekräftigte der populärste linke Politiker, Bundestags-Fraktionschef Gregor Gysi. Er appellierte an die Genossinnen und Genossen auf dem Rostocker Parteitag, eines nicht zu vergessen: "Wir leben im Hier, im Jetzt, im Heute." Den banal anmutenden Hinweis wiederholt Gysi auf jedem Parteitag, weil zu viele im linken Milieu noch immer davon träumen, die Gesellschaft einzig aus der Opposition heraus verändern zu können.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Hartmut Lüning