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Gysi sauer, Wagenknecht schockiert

Marcel Fürstenau, zurzeit Magdeburg28. Mai 2016

Auf dem Parteitag der Linken sorgt einer für Gerede, der gar nicht da ist. Seine Nachfolgerin an der Fraktionsspitze des Bundestages wird Opfer einer Torten-Attacke. Und ein neuer Vorstand wird auch noch gewählt.

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Linken-Chef Bernd Riexinger rexdet auf dem Magdeburger Parteitag.
Bild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Katja Kipping und Bernd Riexinger (im Artikelbild) bleiben für zwei weitere Jahre Vorsitzende der Linken. Das seit 2012 amtierende Duo wurde am Samstag in Magdeburg mit 74 beziehungsweise 78,5 Prozent in seinen Ämtern bestätigt. So absehbar die Wiederwahl der beiden war, so unerwartet waren die Begleitumstände. Für eine Schrecksekunde hatte zum Auftakt während Riexingers Rede ein Unbekannter gesorgt, als er der Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht eine Torte ins Gesicht warf. Der Täter entpuppte sich als Mitglied einer sich "antifaschistisch" nennenden Initiative, die unter dem Motto "Torten für Menschenfeinde" agiert.

Es war nicht die erste Aktion der Gruppe. Die stellvertretende Vorsitzende der Alternativen für Deutschland (AfD), Beatrix von Storch, war schon im Februar Opfer einer Torten-Attacke geworden. Die Angreifer begründeten ihre Attacken in beiden Fällen mit aus ihrer Sicht flüchtlingsfeindlichen Äußerungen der beiden Politikerinnen. Wagenknecht hatte kurz vor den drei Landtagswahlen im März angesichts der hohen Flüchtlingszahlen von "Kapazitätsgrenzen und Grenzen der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung" gesprochen. Damit handelte sie sich viel Kritik aus den eigenen Reihen ein.

Kritik an Wagenknecht weicht einer Welle der Solidarität

Der Ärger über Wagenknechts damalige Äußerungen schlug sich auch in einem Antrag für den Parteitag nieder. Darin wird das "Gerede von Obergrenzen" angeprangert und die "willige Vollstreckung von Abschiebepolitik". Der Antrag ist erkennbar gegen Wagenknecht gerichtet, aber auch gegen Bodo Ramelow. Als Regierungschef in Thüringen muss er im Rahmen von Bundesrecht Flüchtlinge abschieben - auch wenn ihm das nicht gefällt. Ursprünglich wollte der erste und einzige linke Ministerpräsident Deutschlands in Magdeburg eine Rede halten, musste aber krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Den Text stellte er deshalb ins Netz.

Sahra Wagenknecht mit tortenverschmiertem Gesicht.
Schrecksekunde für Sahra WagenknechtBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Derweil zeigte sich Sahra Wagenknecht von der Torten-Attacke schnell erholt - zumindest äußerlich. Nach einem Kleiderwechsel gab sie sich in Begleitung von Personenschützern kämpferisch: Sie würde sich durch solche "saudämlichen Aktionen" nicht davon abhalten lassen, für die Linke Politik zu machen. Mit der AfD-Politikerin von Storch auf eine Ebene gestellt worden zu sein, bezeichnete die linke Fraktionschefin als "Beleidigung". Über eine Strafanzeige gegen den Tortenwerfer denke sie noch nach, sagte Wagenknecht, die sich sichtlich bewegt von der Reaktion der ihr gegenüber oft kritischen Genossen zeigte. Bei ihrer Rückkehr in den Veranstaltungsaal wurde sie mit viel Beifall empfangen. Parteichefin Kipping verurteilte den "Angriff auf Sahra" als "Angriff auf uns alle."

Scharfe Kritik an Merkel und der SPD

Unter dem Eindruck der Torten-Attacke geriet das weitere Geschehen des Parteitags ein wenig in den Hintergrund. Kipping und Riexinger machten in ihren Reden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die mit ihr regierenden Sozialdemokraten für "Abstiegsängste" und "Hoffnungslosigkeit" verantwortlich. Das sei "guter Nährboden" für Rassismus und Rechtspopulismus. Deutschland liefere immer mehr Waffen in Bürgerkriegsgebiete, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen rede einer weiteren Militarisierung das Wort. "Wir müssen dieses sicherheits- und außenpolitische Harakiri stoppen", forderte Kipping.

Katja Kipping auf dem Magdeburger Parteitag der Linken
Bescheidenes Wahlergebnis: 74 Prozent der Delegierten stimmten für Katja KippingBild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Riexinger ließ durchblicken, nicht an eine Ablösung der Regierung Merkel durch ein Bündnis der Linken mit SPD und Grünen zu glauben. Es gebe kein "linkes Lager" mehr, sagte er unter Hinweis auf den Kurs der beiden potentiellen Koalitionspartner für die Zeit nach der Bundestagswahl 2017. Durch die Skepsis der Parteivorsitzenden dürfte sich einer bestätigt fühlen, der seiner Partei fehlenden Machtwillen auf Bundesebene vorwirft: Gregor Gysi.

Gysis Abschied auf Raten

Der frühere Fraktionsvorsitzende im Bundestag hatte die Linke kurz vor dem Parteitag als "saft- und kraftlos" bezeichnet. Eine offene Diskussion über seine heftige Kritik wird es in Magdeburg nicht geben, weil Gysi gar nicht erst erschienen ist. Verständnis für sein Verhalten hat kaum jemand. Der Tenor hinter vor gehaltener Hand: Gysi schmollt, weil er auf dem Parteitag nur eine Nebenrolle hätte spielen können.

Der Ärger um und über die langjährige Gallionsfigur hielt sich dennoch in Grenzen. Anscheinend gewöhnt sich die Linke langsam daran, womöglich schon bald ohne den 68-jährigen Gysi auskommen zu müssen. Ob er im nächsten Jahr nochmals für den Bundestag kandidiert, ist alles andere als sicher. Als Zugpferd im Wahlkampf ist er eigentlich unverzichtbar. Die Chancen, dass er sich dafür zur Verfügung stellt, sind nach Eindrücken vom ersten Tag in Magdeburg zumindest nicht größer geworden.