Linke will Aufbruchstimmung erzeugen
12. Juni 2012"Hass, Intrigen, Denunziation" – dieses Vokabular beherrschte den Bundesparteitag der Partei Die Linke Anfang Juni in Göttingen. Es war Gregor Gysi, der diese Worte in den Mund nahm. Der Fraktionschef im Bundestag ist die bekannteste und profilierteste Figur in den Reihen der 2007 aus Ost- und Westsozialisten entstandenen politischen Kraft. Der 64-Jährige sorgt sich um sein Lebenswerk. Ihm gelang nach der europäischen Zeitenwende 1989, die Konkursmasse der DDR-Staatspartei SED ins vereinigte Deutschland zu retten. Er war erster Vorsitzender der aus der SED entstandenen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Und gemeinsam mit dem ehemaligen Sozialdemokraten (SPD) Oskar Lafontaine schuf Gysi die neue Linke.
Fünf Jahre nach dem spektakulären Zusammenschluss der ostdeutschen PDS mit der westdeutschen Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) stand das Projekt kurz vor dem Zusammenbruch. Noch ist die Gefahr nicht endgültig gebannt, denn in Göttingen sind die Gräben zwischen orthodoxen und reformorientierten Linken noch tiefer geworden. Das lag vor allem am Scheitern des stellvertretenden Fraktionschefs im Bundestag, Dietmar Bartsch, der gemeinsam mit der keinem Flügel zugerechneten Katja Kipping die Partei aus ihrer Krise führen wollte. Doch der Ostdeutsche Bartsch unterlag dem weithin unbekannten westdeutschen Gewerkschaftsfunktionär Bernd Riexinger.
(K)eine Marionette Lafontaines?
Dem neuen Mann an der Spitze haftet nun der Verdacht an, er sei der verlängerte Arm Lafontaines. Diesen Eindruck versucht er gemeinsam mit Kipping zu zerstreuen. Seite an Seite sitzt das Duo am Dienstag (12.06.2012) erstmals bei einer Pressekonferenz in der Berliner Parteizentrale. In Erwartung vieler neugieriger Journalisten haben sich die beiden für den großen Saal entschieden, der nach der ermordeten Kommunistin Rosa Luxemburg benannt ist. Meistens finden solche Veranstaltungen in einem kleineren Konferenzraum statt, weil das mediale Interesse an der Linken sonst geringer ist.
Einen ersten Achtungserfolg hat die nach einer Niederlagenserie bei Landtagswahlen und miserablen Umfragewerten tief verunsicherte Partei also erzielt. Positive Schlagzeilen über den Tag hinaus versprechen sich Kipping und Riexinger von ihrem ersten Strategie-Papier. Es ist ein Mix aus nach innen gerichteten Einheitsappellen und für die Öffentlichkeit bestimmten politischen Akzenten. In der Kommunikation untereinander soll die "Kunst des Zuhörens" ein neues Wir-Gefühl zwischen Ost und West erzeugen und inhaltliche Differenzen überwinden helfen.
"Schutzfaktor gegen Prekarisierung"
Im Dialog mit Wählern, Sympathisanten und politisch Interessierten setzt die Linke kurzfristig auf ein klares "Nein" zum europäischen Fiskalpakt. Dass ihre Stimme am Ende wohl keine Rolle spielen wird, davon geht die neue Führung aus. Kipping und Riexinger rechnen mit der Zustimmung von SPD und Grünen, auf deren Unterstützung die konservative Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen der nötigen Zwei-Drittel-Zustimmung setzt. Langfristig und grundsätzlich versteht sich die Linke als "Schutzfaktor gegen Prekarisierung", und sie plant eine "Offensive für das Öffentliche". Darunter versteht die frisch gewählte Führungsspitze, sich für die Belange von Arbeitslosen und schlecht bezahlten Lohnabhängigen ebenso einzusetzen wie für ein Ende der Privatisierung von Nahverkehrs- oder Energieunternehmen.
Diese Forderungen sind alles andere als neu, denn sie stehen neben vielen anderen schon längst im 2011 mit großer Mehrheit beschlossenen ersten Parteiprogramm. Kipping und Riexinger wollen diesen linken Selbstverständlichkeiten aber wieder mehr Gehör und Widerhall verschaffen. Denn während die Linke andernorts in Europa eine Renaissance erlebt - siehe Frankreich und Griechenland - kämpft sie in Deutschland ums Überleben. Und das liegt neben der vergleichsweise stabilen Wirtschaftslage vor allem an der zerstrittenen Partei selbst. Mit dem seit zehn Tagen amtierenden neuen Duo soll der Burgfrieden von Göttingen mittelfristig in neue Harmonie und Einigkeit münden.
"Massentelefonkonferenz Ost-West"
Vier Monate Zeit will sich die Linke lassen, um den "Aufbruch" zu organisieren, wie es im gemeinsam von Kipping und Riexinger verfassten Papier heißt. Darin finden sich so ungewöhnliche Wörter wie "Massentelefonkonferenz Ost-West" oder "Bewegungsratschlag". Hinter dieser Terminologie steckt der Versuch, Mitglieder ins Gespräch zu bringen und intensivere Kontakte zu außerparlamentarischen Bewegungen zu knüpfen. Dass es daran zuletzt stark gehapert hat, bestreitet niemand in der neuen Führung. Um mit gutem Beispiel voran zu gehen, verkneifen sich Kipping und Riexinger jedes kritische oder gar böse Wort über ihre Amtsvorgänger Klaus Ernst und Gesine Lötzsch.
Auch die anderen Hauptfiguren der vergangenen Monate sollen sich eingeladen fühlen, die Linke nach ihrem 11,9-Prozent-Erfolg bei der Bundestagswahl 2009 zu neuen Erfolgen zu führen. Gemeint sind Fraktionschef Gregor Gysi, der Göttinger Wahlverlierer Dietmar Bartsch, Ex-Parteichef Oskar Lafontaine und dessen Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht. Wie tragfähig der neue Kurs ist, wird sich in den kommenden Wochen an zwei Fronten zeigen. Im Karl Liebknecht-Haus, so heißt die Parteizentrale, und in der Bundestagsfraktion.
Wer wird Spitzenkandidat für die Bundestagswahl?
Katja Kipping muss als Parlamentarierin auf beiden Bühnen bestehen, Bernd Riexinger kann sich ganz auf seine Rolle als Parteivorsitzender konzentrieren. Für den Bundestag will er im kommenden Jahr nicht kandidieren. Schon wird gerätselt, wer die Linke dann als Spitzenkandidat anführen soll. Eine schnelle Antwort auf diese Frage wird es nicht geben. Denn die Linke will sich ja zunächst 120 Tage Zeit lassen.