Linkes Gewissen trifft auf linken Aktionismus
13. Juni 2017Zoe Konstantopoulou war schon immer eine auffallende Erscheinung: Kräftige Statur, ausgeprägte Streitkultur, profunde Rechtskenntnisse. Mit Kampfgeist und Schlagfertigkeit weiß die renommierte Anwältin Zoe Konstantopoulou junge Wähler und Aktivisten zu begeistern. Nach dem Linksruck in Athen im Januar 2015 wurde die damalige Syriza-Politikerin zur Parlamentspräsidentin gekürt - und warnte Regierungschef Alexis Tsipras gleich bei der Eröffnungssitzung in aller Öffentlichkeit, sie werde peinlich genau auf die Einhaltung der Geschäftsordnung im Hohen Haus achten. Scheinbar amüsiert reagierte der Linkspremier mit einem breiten Lächeln. Was daraufhin folgte, war für alle Beteiligten weniger amüsant: Tsipras vollzog seine Wende zum Realismus, ließ Sparmaßnahmen im Wochentakt verabschieden. Mit allen Finessen der Geschäftsordnung konnte die Parlamentspräsidentin das umstrittene Gesetzgebungsverfahren verzögern, aber nicht mehr verhindern.
Auch bei umstrittenen Personalentscheidungen hat sich die streitbare Juristin zu Wort gemeldet: So bei der Bestellung eines neuen Direktors für den Staatssender ERT im Jahr 2015. Konstantopoulou machte deutlich, dass sie mit dem vorgeschlagenen Kandidaten nicht einverstanden war und bat diesen zu einer Anhörung, die zehn Stunden dauerte. Besonders heikel wurde es, als der Medienmanager das (heute immer noch geltende) Verbot der freien Mitarbeit im öffentlichen Hörfunk in Frage stellte.
"Wir brauchten mal jemanden, der das Klavier für das ERT-Orchester stimmt, aber wir konnten leider niemanden finden, da freie Mitarbeiter nicht erlaubt sind. Das bedeutet, wir müssen jemanden für mindestens ein Jahr einstellen, damit unser Klavier gestimmt wird", monierte der Kandidat. "Wenn Sie schon ein ständiges Orchester bei ERT haben, dann brauchen Sie eben auch einen festangestellten Klavierstimmer", gab Konstantopoulou trocken zurück.
Geheimwaffe Ausschuss
Als Parlamentspräsidentin hat die Strafverteidigerin besonders gern auf Angriff umgeschaltet. Ihre Lieblingswaffe war der parlamentarische Ausschuss. Gleich nach Amtsantritt bestellte Konstantopoulou einen Ausschuss, der klären sollte, welcher Teil der griechischen Staatsschulden "illegitim" und "rechtswidrig" war und aus diesem Grund nicht zurückgezahlt werden soll. Zudem sollte ein Untersuchungsausschuss die "Verantwortlichen" für alle Sparzwänge der vergangenen Jahre ausfindig machen und zur Rechenschaft ziehen. Ein weiteres Fachgremium wurde mit den "offenen Reparationsforderungen" gegen Deutschland aus dem zweiten Weltkrieg betraut. Unterstützung bekam Konstantopoulou in dieser Frage nicht zuletzt durch den legendären Widerstandskämpfer Manolis Glezos.
Im Jahr 1941 hatte sich der Mann von der grünen Insel Naxos einen Namen gemacht als er zusammen mit seinem politischen Weggefährten Apostolos Santas die verhasste Hakenkreuzfahne von der Akropolis holte. Nach dem Krieg engagierte sich Glezos zunächst bei den Kommunisten, später auch bei anderen Linksparteien und Gruppierungen - bis er im Jahr 2012 bei Syriza, der aufstrebenden Koalition unter Führung von Tsipras, eine politische Heimat fand. Seitdem verkörpert er das Gewissen der Linken in Hellas.
Für Aufsehen sorgte ein kurzes Gastspiel mit 92 Jahren im EU-Parlament. Immer wieder ergriff Glezos dort das Wort, um an die "Kriegsschulden" Deutschlands und die heutige Wirtschaftsmisere Griechenlands zu erinnern - auch wenn das Thema im Straßburger Plenum ein ganz anderes war. Sein Schulterschluss mit der streitbaren Parlamentspräsidentin währte allerdings nicht lange, da Konstantopoulou die regierende Linkspartei Syriza im Sommer 2015 aus Protest gegen die andauernde Sparpolitik verlassen hat. Wenig später gründete sie ihre eigene politische Bewegung, die "für die Wiederherstellung der Demokratie" im eigenen Land kämpfen soll und nach eigenen Angaben auch die Reparationsansprüche gegen Deutschland im Blick hat. Manche Umfragen sehen die neue Partei nur knapp unter der Drei-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament.
Lob für Glezos von höchster Stelle
Nun treffen sich Glezos und Konstantopoulou wieder. Ausgerechnet bei der Gedenkfeier zum 73. Jahrestag des SS-Massakers im griechischen Ort Distomo. Ihre Reaktionen hätten nicht unterschiedlicher sein können: Mit Hinweis auf nicht befriedigte Reparationsansprüche versperrt Konstantopoulou dem deutschen Botschafter den Weg, Glezos schreitet überraschend ein und führt den Botschafter zur Kranzniederlegung.
Dafür bekommt er Lob von höchster Stelle: "Manolis, du hast uns allen vorgemacht, wie sich ein echter Widerstands-Vertreter verhalten soll", erklärte Griechenlands Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos.
Konstantopoulou rechtfertigt auch im Nachhinein ihr Vorgehen und greift ihren einstigen politischen Weggefährten scharf an: "Mit seinen eigenen Händen hat Manolis Glezos die Flagge des Besatzers am Mahnmal der Opfer niedergelegt", giftet die frühere Parlamentspräsidentin. Es war vermutlich nicht ihre letzte Protestaktion.