Linkspartei bringt SPD und Grüne in Bewegung
27. August 2005Oskar Lafontaine, der ehemalige Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), sprach von einem "historischen Tag". Sein Auftritt beim Parteitag der Linkspartei/PDS stehe in der Tradition der Arbeiterbewegung. Er sei stolz darauf, sich an der freiwilligen Vereinigung der demokratischen Linken in Deutschland zu beteiligen. Denn darum geht es: den Zusammenschluss der ostdeutschen, aus der DDR-Staatspartei SED hervorgegangenen Linkspartei/PDS mit der von enttäuschten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern gegründeten westdeutschen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG).
Keine europäische Normalität
Lafontaines Schlüsselbegriff war das Wort "freiwillig". Denn die erste Vereinigung zwei linker Parteien erfolgte vor knapp 60 Jahren unter Zwang. In der damals sowjetisch besetzten Zone, der späteren DDR, wurde die ostdeutsche Sozialdemokratie mit der Kommunistischen Partei (KPD) zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) verschmolzen. Eine historische Tragödie, ein historischer Irrtum, an dem die Linke noch heute zu knabbern hat. Denn es ist keineswegs nur europäische Normalität, wie die neue Linke gerne behauptet, was sich gerade in Deutschland anbahnt. Denn nur in Deutschland errichteten Linke eine Mauer. Eine Grenze, an der Tausende Menschen bei dem Versuch starben, in den freien Westen zu flüchten.
Zwei unter vielen
Dieses dunkle Kapitel wird immer zur Geschichte dieser deutschen Linken gehören und ist die Erklärung dafür, warum es in diesem Land noch lange Vorbehalte, ja sogar Angst vor ihr geben wird. Aber natürlich verliert dieses Kapitel an Bedeutung, je länger die Ereignisse zurückliegen. Und den heute in der Linkspartei/PDS Aktiven die Vergangenheit vorzuhalten, ist in den meisten Fällen unredlich.
Natürlich waren ihre Protagonisten, Parteichef Lothar Bisky und Spitzenkandidat Gregor Gysi, in der SED. Zwei von Millionen Mitgliedern, aber keine verantwortlichen Funktionäre. Zwei gelernte DDR-Bürger, denen es nach dem Mauerfall unter großen Mühen gelungen ist, die SED-Nachfolgerin PDS zu demokratisieren. Was ihnen nicht gelang: aus der PDS eine gesamtdeutsche Linke zu machen. Im Westen blieb sie fremd. Mit dem ehemaligen SPD-Chef Lafontaine soll das nun anders werden. Ein gewagtes Projekt, dessen Erfolgsaussichten gemessen an den Umfragen groß zu sein scheinen. Um die zehn Prozent werden der Linkspartei bei der Bundestagswahl vorausgesagt.
Freiheit des Andersdenkenden
Die Bewährungsprobe wird aber erst nach der Wahl kommen, wenn im Deutschen Bundestag etwa 60 Abgeordnete aus West und Ost sitzen werden, die auf der offenen Linkspartei-Liste kandidieren. Es war kein Zufall, dass der westdeutsche Lafontaine auf dem Linkspartei-Parteitag seine Rede mit den Worten der ermordeten linken Ikone Rosa Luxemburg beendete: "Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden." Eine Empfehlung an all jene, die an dem geplanten Zusammenschluss von ostdeutscher Linkspartei/PDS und westdeutscher WASG zweifeln oder ihn sogar verhindern wollen.
Darauf setzt die politische Konkurrenz, und sie sie tut es aus guten Gründen. Denn so harmonisch, wie sich die neue Linke unter dem Druck des kurzfristigen Wahl-Termins gebärdet, ist sie natürlich bei weitem nicht. Aus dem Osten werden überwiegend routinierte, disziplinierte PDSler kommen. Aus dem Westen neben Lafontaine fast nur unbeschriebene Blätter ohne große Erfahrung und ohne gewachsene Partei-Strukturen im Rücken. Das kann frischen Wind in eine bunte Truppe bringen, aber auch schnell für Wirbel sorgen, der den ganzen Laden mit sich reißt.
Wünschenswerte Veränderung
Eines hat die Linkspartei aber jetzt schon erreicht: dass sich Sozialdemokraten und Grüne mit kleinen Schritten aus der politischen Mitte wegbewegen, zu der sie sich selbst seit Jahren zählen. Plötzlich, den Verlust der Macht vor Augen, plädieren die Grünen für eine Vermögenssteuer. Und die Sozialdemokraten sind gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die von führenden SPD-Politikern vor kurzem noch in Erwägung gezogen wurde. Ob diese zaghaften Veränderungen mehr sind als Wahlkampf-Rhetorik, wird wesentlich davon abhängen, wie professionell und glaubwürdig die künftige Linkspartei-Fraktion im Bundestag agieren wird. Sollte sie scheitern, dürfte es auf lange Sicht die letzte bemerkens- und wünschenswerte Veränderung der politischen Landschaft in Deutschland gewesen sein. Es sei denn, die Enttäuschten wendeten sich dann verstärkt den Rechtsextremen zu. Was natürlich nicht wünschenswert wäre.