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Literarischer Männerverein mit Damenbegleitung - Die Gruppe 47

29. Mai 2009

Ein konspiratives Treffen im September 1947: Geplant wird eine Literaturzeitschrift als Forum für Autoren. Das Heft erscheint nie, aber die wichtigste Autorenvereinigung der Nachkriegszeit ist geboren: die Gruppe 47.

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Der deutsche Schriftsteller Günter Grass (links) mit Dieter Wellershoff bei einer Tagungspause des Jahrestreffens der "Gruppe 47" in der schwedischen Stadt Sigtuna.
Er schätzt die Gruppe 47 als "Inspirationsquelle": Autor Günter Grass (links)Bild: picture-alliance/ dpa

"Die Gruppe war ein Freundeskreis", bilanziert der Schriftsteller Hans Werner Richter. Aber das ist erwiesenermaßen eine Untertreibung, denn die Gruppe 47 entwickelt sich zur einflussreichsten deutschsprachigen Autorenvereinigung der Nachkriegszeit. Sie prägt den Literaturbetrieb der Bundesrepublik Deutschland entscheidend mit. Richter ist ihr Initiator und Spiritus Rector. Er allein lädt per Postkarte zu den Jahrestagungen der Gruppe 47 ein. "Es war wie, wenn Sepp Herberger einen in die Nationalmannschaft beruft", so der Schriftsteller Jürgen Becker.

Der Vorsitzende der Gruppe 47, Hans Werner Richter, steht vor der Pulvermühle in Waischfeld/Oberfranken und zeigt ein Schild, dass Schließung der Gaststätte für das normale Publikum anzeigt, Oktober 1967.
Er entscheidet, wer rein darf und wer nicht: Hans Werner Richter, Leiter der Gruppe 47Bild: picture-alliance/ dpa

Die bekanntesten deutschsprachigen Autoren erleben hier ihr Debüt, etwa Heinrich Böll, Martin Walser oder Siegfried Lenz. Autorinnen gibt es aber nur wenige. Die Gruppe 47 ist ein Männerverein mit Damenbegleitung. Rasch entwickelt sich die Schriftstellervereinigung zur Schnittstelle zwischen "Markt, Kunst und Politik", sagt rückblickend Heinz Friedrich, Gründungsmitglied und ehemaliger Leiter des Deutschen Taschenbuch Verlages. Anfangs gehören zum engeren Kreis ein Dutzend Menschen, um 1960 sind es bereits 200 Schriftsteller, Literaturkritiker, Verleger und Journalisten. Als Richter einmal nach den Mitgliedern der Gruppe gefragt wird, soll er geantwortet haben, dass wisse nur er, und er werde sich hüten, das zu verraten.

Tortur für die Literatur

Während der zwei Mal im Jahr stattfindenden, mehrtägigen Treffen gibt es kein festes Programm. Kritik soll nur an konkreten Texten geübt, jegliche Grundsatzdiskussion und persönliche Auseinandersetzungen vermieden werden. Wer vorliest, muss neben Richter auf dem so genannten "elektrischen Stuhl" Platz nehmen und darf sich anschließend auf die kritischen Einwände des Plenums nicht verteidigen. Für manchen ist das eine Tortur, einige wenden sich von der Literatur ganz und gar ab. Anders sieht das hingegen Günter Grass, für den die Gruppe 47 eine "unschätzbare Inspirationsquelle" wird.

Von links: Heinrich Böll, Ilse Aichinger und Günther Eich 1952 während der Tagung der Gruppe 47.
Er debütiert hier: Heinrich Böll (links) mit Ilse Aichinger und Günther EichBild: picture-alliance/ dpa

Am Ende jeder Tagung steht ein besonderes Ritual. Es wird gemeinsam darüber abgestimmt, wer den Autorenpreis der Gruppe 47 erhalten soll. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die der Preis mit sich bringt, ist enorm. Der Glanz des Preisträgers strahlt in die Öffentlichkeit und von dort auf die Gruppe zurück.

Ende der fünfziger Jahre wird die Professionalisierung der Literaturkritiker unübersehbar. Aus der scharfen, aber kollegialen Kritik ist mittlerweile ein Machtfaktor geworden. Einige Berufskritiker stehen den Schriftstellern in der Gruppe gegenüber, allen voran Marcel Reich-Ranicki und Hans Mayer, die etwas "Sich-Absolut-Setzendes mitbrachten", so der Literaturwissenschaftler Heinz Ludwig Arnold.

Der leise Tod eines Papiertigers

Der deutsche Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki, aufgenommen 1966.
Er steht den Literaten gegenüber: Kritiker-Papst Marcel Reich-RanickiBild: picture-alliance / IMAGNO/Nachlass Otto Breicha

Oft wird der Gruppe 47 Meinungsterror vorgeworfen, ihre Vorstellungen von Literatur seien konservativ, die Exilautoren der NS-Zeit wie Thomas Mann, Alfred Döblin oder Bertolt Brecht nicht erwünscht. Eifersüchteleien, Eigeninteressen und Intrigen stehen an der Tagesordnung. Autoren wie Paul Celan, Luise Rinser oder Walter Mehring fallen bei den Kritikern der Gruppe 47 durch. Nichtwiedereingeladene beschimpfen sie als mafiosen Medienfilz, der Meinungsterror ausübe.

20 Jahre gibt die Gruppe 47 vor, was zum literarischen Kanon der Bundesrepublik gehört. Zur letzten Tagung, 1967 in Erlangen, erscheinen Studenten vom Sozialistischen Studentenbund (SDS). In ihren Augen ist die Gruppe 47 ein Papiertiger, dessen Mitglieder in einem gut gepolsterten Elfenbeinturm sitzen. So ungeplant, wie die Gruppe 47 entstanden ist, so ungeplant löst sie sich 1967 wieder auf. Es gibt sie einfach deshalb nicht mehr, weil Hans Werner Richter keine Einladungskarten mehr verschickt. Ende der sechziger Jahre ist die Gruppe 47 überflüssig geworden, aber sie hat wesentlich zur Professionalisierung des deutschen Literaturbetriebs beigetragen.

Autor: Michael Marek

Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen