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Lithiumabbau in Chile - Fluch oder Segen?

29. April 2018

Für die Energiewende braucht Europa Elektroautos und die brauchen für ihre Batterien Lithium. Der Abbau aber führt zu sozialen und ökologischen Problemen in Herkunftsländern, wie etwa in Chile. Von Sophia Boddenberg.

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Chile Lithium Abbau Salar de Atacama
Bild: DW/S. Boddenberg

Hunderte Menschen protestieren bei Sonnenuntergang in den Straßen von Santiago de Chile. Auf ihren Schildern steht "Chilenen gegen die Privatisierung des Reichtums der Nation" oder "Lithium für Chile, nicht für Soquimich". Der chilenische Bergbaukonzern Soquimich (Sociedad Quimica y Minera de Chile, US-Börsenkürzel SQM) ist einer der weltgrößten Lithium-Produzenten.

Lithium gehört inzwischen zu den begehrtesten Rohstoffen auf dem Weltmarkt. Nicht nur Elektroautos, auch Notebooks und Mobiltelefone brauchen Lithium-Ionen-Akkus. Entsprechend steigt die Nachfrage nach Lithium auf dem globalen Markt rasant an. Der globale Bedarf an Lithium wird sich bis zum Jahr 2025 mindestens verdoppeln, schätzt die Deutschen Rohstoffagentur. Das silbrig-weiße Leichtmetall hat neben einer hohen Wärmekapazität auch eine geringe Dichte und eignet sich deshalb bestens für kompakte und langlebige Batterien. Manche sprechen schon vom"neuen Öl" oder "weißem Gold".

Chile Lithium Abbau  Anti Soquimich Protest
Lithium fürs VolkBild: DW/S. Boddenberg

Unter den Demonstranten in der chilenischen Hauptstadt sind viele Gewerkschaften, aber auch Studentenorganisationen und gewöhnliche Bürger. Der Anlass für ihren Protest ist ein Abkommen zwischen der chilenischen Organisation zur Wirtschaftsförderung CORFO und dem Chemiekonzern SQM über den Lithiumabbau bis 2030, das Anfang des Jahres unterschrieben wurde. Die chilenische Regierung will die Lithiumproduktion steigern und auch die Möglichkeit, die Batterien in Chile zu produzieren, wird diskutiert. So könnte das Land mit der altbekannten Abhängigkeitsstruktur brechen, dass die Rohstoffe in Lateinamerika abgebaut werden, aber die Produkte nicht dort produziert werden.

Lithium-Abbau nicht allein in privater Hand

"Für uns ist der Vertrag illegal", sagt Miguel Soto, Vorsitzender der Bewegung "Litio para Chile ("Lithium für Chile"), die zu dem Protestmarsch aufgerufen hat. "Der Staat kann keine Verträge mit einem Unternehmen abschließen, das die Arbeiterrechte missachtet. Außerdem widerspricht der Vertrag dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption, das Chile unterschrieben hat. SQM ist das korrupteste Unternehmen des Landes", so Soto.

Chile Lithium Abbau  Anti Soquimich Protest
Bild: DW/S. Boddenberg

Er ist Mitglied der Industriegewerkschaft Constramet, die zur Globalen Gewerkschaftsföderation IndustriALL Global Union gehört. "Wir wollen das SQM verstaatlicht wird. Das heißt nicht, dass keine privaten Unternehmen am Lithiumabbau teilnehmen dürfen. Aber der Staat muss die Kontrolle haben", findet Soto.

Der große private Akteur: SQM

SQM war einst ein staatliches Unternehmen unter dem Namen Soquimich. Es wurde während der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet in den 1980er Jahren privatisiert. Seitdem befindet sich ein Großteil der Anteile in Besitz der Familie des verstorbenen Diktators. Pinochets ehemaliger Schwiegersohn Julio Ponce Lerou ist einer der reichsten Chilenen und konnte sich laut Schätzungen des Forbes-Magazin ein knappes Drittel des Bergbaukonzerns SQM sichern, als der Staatskonzern privatisiert wurde. Die Geschäftsführung soll er zwar mit dem neuen Abkommen abgeben, aber er bleibt trotzdem Hauptaktionär.

In den vergangenen Jahren wurde mehrfach wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und illegaler Wahlkampffinanzierung gegen SQM ermittelt. Politiker hatten hohe Geldbeträge für ihre Wahlkampfkassen erhalten, um Industriewünsche in Gesetzesvorhaben einfließen zu lassen und entsprechend im Parlament abzustimmen. Aktuell läuft ein Gerichtsprozess gegen den ehemaligen Wirtschaftsminister Pablo Longueira, der illegale Zahlungen von SQM erhalten haben soll, um Wasserregulierungen zu modifizieren und die Lithium-Industrie zu stimulieren. 

Unerwünschte Folgen der Lithium-Gewinnung

Etwa 1500 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Santiago entfernt befindet sich der Salar de Atacama. Inmitten der Atacamawüste, einem der trockensten und einsamsten Orte der Welt. Der Wüstensand schimmert rötlich unter der weißen Salzkruste. Umliegende Naturreservate mit Geysiren, Vulkanen und Flamingos locken Touristen aus aller Welt. Aber nicht nur Touristen werden von der Region angezogen, sondern auch Chemiekonzerne wie SQM und Rockwood, das zum US-Unternehmen Albermarle gehört. Denn tief unter Erde werden die größten Lithium-Vorkommen der Welt vermutet. Der Atacama-Salzsee gehört zum sogenannten "Lithium-Dreieck" zwischen Bolivien, Argentinien und Chile.

Salar de Atacama Chile
Salar de AtacamaBild: DW/B. Gräßler

Lithium ist ein Alkali-Metall, das in einem Verdunstungsprozess gewonnen wird. Dafür wird das mineralhaltige Grundwasser in riesige Becken gepumpt. Unter der heißen Wüstensonne verdunstet es dann, wodurch sich unterschiedliche Salze nach und nach im Becken absetzen. Diese Salzlösung wird dann in einem chemischen Prozess in Lithiumkarbonat verwandelt.

Durch den Verdunstungsprozess wird extrem viel Wasser verbraucht. Der Grundwasserspiegel sinkt, Flussläufe und Feuchtgebiete trocknen aus. In den umliegenden Gemeinden kommt es zu Wasserknappheit, Bodenkontaminierung und verseuchtem Trinkwasser, da das Abwasser aus dem Abbauprozess oft ungeklärt abgeleitet wird. Das stellt nicht nur ein Problem für die Flora und Fauna dar, sondern auch für die ansässige, zum Großteil indigene Bevölkerung.

Indigene Völker nicht einbezogen

Chile ist das einzige Land der Welt, in dem Wasserressourcen und Wassermanagement zu 100 Prozent privatisiert sind. Das heißt, der Staat vergibt Wasser-Konzessionen an private Unternehmen. SQM besitzt aktuell die Wasserrechte in der Region um den Salar de Atacama, wo Lithium abgebaut wird.

"Der Vertrag verletzt unsere Rechte auf Territorium und Umweltschutz, die in internationalen Abkommen festgeschrieben sind", sagt Ana Ramos. Sie ist Präsidentin des "Consejo de Pueblos Atacameños", des Rats der indigenen Völker der Region. "SQM garantiert keine Nachhaltigkeit für den Salar de Atacama. Das Unternehmen stielt unser Wasser, weil es Lithium enthält", beklagt sie bei einer Straßenblockade am Eingang der Wüstengemeinde San Pedro de Atacama.

Der chilenische Staat ist durch ein Übereinkommen mit der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zum Schutz der indigenen Völker verpflichtet und muss die betroffenen Völker mit einbeziehen, wenn durch Großprojekte in ihr Umfeld eingegriffen wird. Das sei im Rahmen des Lithiumabbaus aber nicht geschehen, sagt Ana Ramos.

Chile Lithium Abbau  Universidad de Santiago
Domingo Ruiz im LaboratoriumBild: DW/S. Boddenberg

Folgen des Lithium-Abbaus zu wenig erforscht

Zurück in Santiago de Chile öffnet Domingo Ruiz die Tür zu dem Laboratorium, im dem er Lithium-Ionen-Batterien entwickelt. Er ist Biochemiker an der Universidad de Santiago. "Es gibt keine Studien über die Auswirkungen des Lithiumabbaus auf das fragile Ökosystem", beschwert auch er sich. Er leitet eines der wenigen Laboratorien in Chile, in denen Lithium-Batterien entwickelt werden. Es besteht aus gerade mal drei Mitarbeitern.

"Wir sind der größte Exporteur von Lithium-Karbonat. Aber das ist ein Rohstoff. Wir exportieren den Rohstoff, aber haben keine Industrie zur Weiterverarbeitung. In dieser Hinsicht sind wir immer noch ein Dritte-Welt-Land", sagt Ruiz. Der Staat investiere viel zu wenig in die Forschung und technologische Entwicklung, meint er.

Das Abkommen mit SQM enthält zwar eine internationale Ausschreibung, die sich an Investoren richtet, die das Lithiumkarbonat innerhalb Chiles zu Kathodenmaterialien weiterverarbeiten sollen. Ausgewählt wurden ein chinesisches, ein südkoreanisches und eine chilenisches Unternehmen. 25 Prozent der Lithiumproduktion von SQM soll diesen Unternehmen zur Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt werden.

"Diese Firmen verarbeiten zwar das Material weiter, aber tragen nichts zur Entwicklung unseres Landes bei. Wir brauchen einen Staat, der eingreift, Universitäten, die Wissen produzieren und private Unternehmen, die investieren", sagt Ruiz. "Diese drei Akteure müssen gemeinsam arbeitet. Und das passiert momentan nicht."