Radioaktive Substanz
24. November 2006Der Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko ist in London mit einer hohen Konzentration der radioaktiven Substanz Polonium 210 getötet worden. Das bestätigten britische Behörden am Freitag (24.11.2006). Scotland Yard intensivierte die Fahndung nach den unbekannten Tätern. Fahnder der Behörde entdeckten Spuren des Strahlungsmaterials unter anderem in der Wohnung Litwinenkos sowie in einem Sushi-Restaurant und einem Hotel, in dem sich Litwinenko aufgehalten hatte.
"Unbegründete Spekulationen"
Der Ex-Agent hatte wenige Tage vor seinem Tod in einer Botschaft, die erst am Freitag veröffentlicht wurde, den russischen Präsidenten Putin für seine Vergiftung verantwortlich gemacht: "Sie mögen Erfolg damit haben, einen Mann zum Schweigen zu bringen, doch die Protestschreie aus der ganzen Welt werden Ihnen, Herr Putin, bis ans Lebensende in den Ohren klingen", erklärte Litwinenko.
Putin wies die Vorwürfe am Rande des EU-Russland-Gipfels in Helsinki zurück: "Solche Spekulationen sind unbegründet." Putin nannte den Tod Litwinenkos eine Tragödie. Er habe Litwinenkos Familie sein Beileid ausgesprochen und sei bereit, der britischen Regierung jede Unterstützung zukommen zu lassen. Es gebe eine Tendenz, auf Morde in Russland zu zeigen, solche Verbrechen in anderen Ländern aber zu ignorieren. Der Tod des 43-jährigen Ex-Offiziers der Geheimdienste KGB und FSB spielte finnischen Angaben zufolge bei dem Gipfel keine Rolle.
Kampf gegen die Zeit
Wieder und wieder hatten Experten das Blut, Hautpartikel, Stuhl und Urin des sterbenden Mannes untersucht. Erst gegen 18 Uhr am Donnerstagabend - knapp dreieinhalb Stunden bevor das Herz des todgeweihten Russen zu schlagen aufhörte - machten Spezialisten in Londons University College Hospital die alarmierende Entdeckung: "Der Urin von Herrn Litwinenko wies eine äußerst hohe Konzentration der gefährlichen radioaktiven Substanz Polonium 210 auf", berichtete am Freitag Roger Cox, der zuständige Direktor der britischen Behörde für Gesundheitsschutz.
Sollte Litwinenko tatsächlich von einem ausländischen Dienst vergiftet worden sein, wäre dies das erste bekannt gewordene Giftattentat im Westen seit dem Ende des Kalten Kriegs. Der britische Innenminister John Reid nannte den Tod einen "beispiellosen Vorgang". Eine Sprecherin des britischen Außenministeriums erklärte, der Tod des Mannes werde als ernste Angelegenheit eingestuft und dies sei Russland auch so übermittelt worden. Sie lehnte eine weitere Stellungnahme unter Verweis auf laufende Ermittlungen ab.
Mysteriöses Treffen
Litwinenko hatte sich am 1. November in einem Hotel mit mehreren Russen getroffen. Der frühere Agent recherchierte im Fall der regierungskritischen russischen Reporterin Anna Politkowskaja, die am 7. Oktober in Moskau erschossen worden war. Am Tag nach dem Treffen mit seinen angeblichen Informanten begab er sich mit Vergiftungserscheinungen in ein Krankenhaus, wo er jetzt starb. "Die Bastarde haben mich erwischt, aber sie kriegen nicht jeden", sagte Litwinenko nach einem Bericht der "Times" seinem Freund, dem Filmemacher Andrej Nekrasow. Auch Alexander Goldfarb, der Litwinenko und seiner Familie im Jahr 2000 bei der Flucht in den Westen geholfen hatte, vermutet Russland hinter dem Tod. Der Ex-Agent sei Opfer eines Komplotts geworden.
In Moskau sagte der Geschäftsmann Andrej Lugowoj der Zeitung "Kommersant", er habe Litwinenko am 1. November mit zwei anderen Russen in einer Londoner Hotelbar getroffen. Sie hätten über Geschäfte geredet. Lugowoj äußerte die Bereitschaft, Fragen der britischen Polizei zu beantworten. Ein Sprecher der britischen Botschaft erklärte, der Geschäftsmann und Ex-Agent Lugowoj habe am Vortag mit Vize-Botschafter Sian MacLeod gesprochen. Über den Inhalt des Gesprächs machte er keine Angaben. (stu)