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LNG: Retter in der Gas-Not oder Klimakiller?

Stuart Braun
19. Februar 2023

Um russisches Gas zu ersetzen, importiert die EU jetzt mehr Flüssigerdgas (LNG) aus den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Was genau ist LNG? Und sind die Klimaziele in Gefahr?

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Ein LNG-Tanker fährt auf dem Meer
Ein Schiff soll kommen: LNG-Tanker liefern künftig Flüssiggas in die EUBild: E.on-Ruhrgas/dpa/picture-alliance

Um den Ausfall der russischen Gaslieferungen zu kompensieren, will allein Deutschland vier neue Terminals für Flüssiggas-Tanker in Betrieb nehmen. Der Einsatz von LNG ist nur als kurzfristige Zwischenlösung gedacht, doch Experten fürchten, dass die EU das Flüssiggas langfristig nutzen könnte - schließlich wird Europa jetzt der größte LNG-Importeur der Welt.

Während die ersten Schiffe mit Flüssiggas in Norddeutschland anlanden - an diesem Mittwoch (15.02.2023) kam die erste Lieferung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten im LNG-Terminal Brunsbüttel an -, sprechen Klimaaktivisten von einem großen Rückschlag im Kampf gegen den Klimawandel. Klimawissenschaftler gehen davon aus, dass der Fokus auf Flüssiggas aller Voraussicht nach die Einhaltung der Klimaziele gefährden wird. Denn das importierte LNG verursacht fast zehnmal mehr Treibhausgasemissionen als Erdgas, das per Leitung transportiert wird. Außerdem gibt es Zweifel, ob die LNG-Infrastruktur später - wie angekündigt - tatsächlich für grünen Wasserstoff genutzt werden kann.

Ein Hafenarbeiter betrachtet die schwimmende Speicher- und Wiederverdampfungsanlage "Neptune", die in den deutschen Industriehafen Lubmin einfährt
Die schwimmende Speicher- und Wiederverdampfungsanlage "Neptune": Deutschland investiert massiv in die LNG-Infrastruktur Bild: IMAGO/BildFunkMV

LNG-Importe sind für den Energieplan der Europäischen Union - REPowerEU - von zentraler Bedeutung. Dennoch gehen Analysten davon aus, dass sie die aktuelle Gasknappheit erst nach 2024 ausgleichen.

Doch um die potenziellen Klimarisiken im Zusammenhang mit LNG zu verstehen: Wie genau wird es eigentlich verflüssigt, transportiert und verteilt? 

Was ist LNG?

LNG ist Erdgas, das durch starke Abkühlung auf etwa minus 161 Grad Celsius (minus 259 Grad Fahrenheit) in einen flüssigen Zustand gebracht wird. Dieses Flüssiggas ist 600-mal kleiner als das ursprüngliche Volumen und wiegt halb so viel wie Wasser. 

Der komprimierte fossile Brennstoff, der fast vollständig aus Methan besteht - einem starken Treibhausgas -, kann per Schiff um die Welt transportiert werden. Am Zielort angekommen, wird die Ladung in einem schwimmenden Terminal wieder verdampft und über Pipelines weiterverteilt.

Flüssiggas: Pipelinebau in Rekordzeit

Doch trotz des Exportpotenzials von Flüssiggas ist der Markt für LNG wegen der hohen Kosten für die Verflüssigung und die Produktion begrenzt. In Deutschland haben sich die geschätzten Kosten für den Bau schwimmender LNG-Terminals schnell verdoppelt, was zum Teil auch auf die Inflation zurückzuführen ist. Auch brauchen die Kühlung, die Verflüssigung und der Transport sowie die Wiederverdampfung nach dem Transport sehr viel Energie.

"Zwischen 10 und 25 Prozent der Energie gehen dem Gas während des Verflüssigungsprozesses verloren", so Andy Gheorghiu, ein deutscher Anti Fracking-Aktivist und Berater für Klima- und Energiepolitik. 

Welche Auswirkungen hat Flüssiggas aufs Klima?

Die Förderung von Erdgas aus einer Lagerstätte, der Transport vom Gasfeld zur Verarbeitung, die Abkühlung des Gases und die Aufrechterhaltung dieser Temperaturen, bevor das LNG nach einer langen See- oder Zugfahrt erwärmt und wieder verflüssigt wird, erfordern einen hohen Energieaufwand. Der Methanverlust in der gesamten Lieferkette trägt zusätzlich zu den hohen Emissionen von LNG bei.

"Aufgrund des komplexen Produktions- und Transportprozesses von LNG ist das Risiko von Methanleckagen während Produktion, Transport und Wiederverdampfung sehr hoch", so Gheorghiu. Letztendlich stößt LNG "etwa doppelt so viel Treibhausgas aus wie gewöhnliches Erdgas", so die in den USA ansässige gemeinnützige Organisation Natural Resources Defence Council (NDRC).

Farbig dargestellte Methanfahne über Teheran im Iran - aufgenommen von einem NASA Bildspektrometer - auf einem Satellitenfoto von Teheran
Auch Mülldeponien setzen Methan frei - hier eine 4,8 Kilometer lange Methanfahne, die aus einer großen Mülldeponie südlich von Teheran (Iran) aufsteigt Bild: Google Earth/Maxar/NASA/JPL-Caltech/Handout/REUTERS

Die norwegischen Energieanalysten von Rystad Energy erklären im Gespräch mit der DW, dass die Verarbeitung von LNG so energie- und kohlenstoffintensiv ist, dass sie fast zehnmal mehr Kohlendioxidemissionen verursachen kann als Erdgas aus Pipelines. dort sind Emissionen auf den vorgelagerten Bereich, den Transport und die Verarbeitung beschränkt. Pipelinegas aus Norwegen habe eine Emissionsintensität (vom Bohrloch bis zum Markt), die fast zehnmal kleiner sei als die durchschnittlichen LNG-Emissionen, erklärt Kaushal Ramesh, LNG-Energieexperte bei Rystad.

Im Vergleich mit Solarenergie emittiert LNG bei Erzeugung derselben Energiemenge 14-mal so viel CO2, und sogar 50-mal so viel CO2 verglichen mit Windenergie.

Können LNG-Terminals später für grünen Wasserstoff genutzt werden?

Das erste deutsche Flüssiggas-Terminal, das Ende 2022 in Wilhelmshaven bei Bremen eröffnet wurde, kann nach dem LNG-Beschleunigungsgesetz bis Ende 2043 betrieben werden - etwa acht Jahre, nachdem die gesamte deutsche Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt werden soll.

Doch die schwimmenden LNG-Terminals, die jetzt in Deutschland in Betrieb genommen werden und bereits etwa in den Niederlanden, Frankreich und Belgien bestehen, können nach Ansicht von Klimaaktivisten nicht zu einer Infrastruktur für grünen Wasserstoff umgebaut werden.

"Anders als oft behauptet, sind schwimmende LNG-Terminals nicht auf Wasserstoff umrüstbar", sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). "Das Narrativ der Wasserstoff-Bereitschaft ist schlicht falsch. Es handelt sich um klassische fossile Kraftwerke, die nichts für den Klimaschutz taugen." 

Alle neuen LNG-Terminals müssten dagegen so gebaut werden, dass sie leicht auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden können, um die saubere Energiewende zu beschleunigen, fordert Bandt.

Sorgt Flüssiggas für niedrige Gaspreise?

Bis zum Ende des Jahrzehnts könnten sich die zusätzlichen Kosten für die deutschen Gasimporte auf bis zu 200 Milliarden Euro belaufen und die Gasrechnungen für Verbraucher verdoppeln, so eine Studie deutscher Forscher, auch von der in Berlin ansässigen Klima-Denkfabrik E3G.

Ein Flüssigerdgastanker fährt auf dem Atlantik vor der Küste der Kanarischen Inseln
Auch andere europäische Länder investieren in Flüssiggas, so dass die EU zum weltweit größten Importeur von Flüssiggas wirdBild: Michael Weber/Imagebroker/picture alliance

Darum besteht die Befürchtung, dass Überkapazitäten in der LNG-Infrastruktur und langfristige Verträge in deutschen LNG-Häfen zu sogenannten "stranded assets" - also verlorenen Investitionen - führen und gleichzeitig den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen verzögern.

Einem Bericht der deutschen Denkfabrik New Climate Institute zufolge könnten die neu geplanten Terminals nach ihrer Fertigstellung eine Kapazität aufweisen, die um zwei Drittel höher liegt als der derzeitige Gasverbrauch in Deutschland. Ein derart gesteigerter Verbrauch stünde nicht nur im Widerspruch zu den nationalen Klimazielen Deutschlands sondern würde auch "einen Verstoß gegen die nationale Gesetzgebung und die internationalen Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens darstellen", heißt es in der Studie. 

Stattdessen könnten billigere nachhaltige Energiequellen das derzeitige Defizit an russischem Gas ausgleichen. Dazu gehörten eine umfassende Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden und die Installation von elektrischen Wärmepumpen, die die Energiewende ebenfalls beschleunigen würden, so Maria Pastukhova, leitende Politikberaterin bei E3G.

Und Energiepolitikberater Andy Gheorghiu rechnet vor: "Allein durch Investitionen in die Gebäudeeffizienz kann Deutschland mehr Gas einsparen, als neue LNG-Terminals bieten."

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.