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Lokalpolitiker gegen TTIP

Michael Knigge26. September 2014

In Ottawa haben Kanada und die EU das Verhandlungsende für das Handelsabkommen CETA verkündet. Es gilt als Blaupause für TTIP, den Handelspakt zwischen USA und EU. Gegen TTIP macht nun eine neue Koalition mobil.

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Europafahne und US-Flagge - Foto: Soeren Stache dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Rund 6000 Kilometer oder 3700 Meilen trennen Boris Palmer und Virginia Lyons. Das ist die Entfernung zwischen der süddeutschen Universitätsstadt Tübingen und Montpelier, der Hauptstadt des kleinen US-Bundesstaates Vermont. Palmer ist Oberbürgermeister von Tübingen, Lyons Senatorin in Vermont. Die beiden sind sich nie begegnet. Aber sie haben ein gemeinsames Anliegen. Palmer und Lyons befürchten, dass bald ihr politischer Handlungsspielraum eingeschränkt wird. Und zwar durch das umstrittene Handelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), das derzeit zwischen der EU und den USA verhandelt wird.

Beide kritisieren die mangelnde Transparenz und die fehlende Beteiligung lokaler und regionaler Regierungsvertreter bei den transatlantischen Verhandlungen. Aber der Kern ihrer Kritik lässt sich mit vier Buchstaben ausdrücken: ISDS.

Das Kürzel steht für "Investor State Dispute Settlement" und bezeichnet einen umstrittenen TTIP-Mechanismus zum Investorenschutz. ISDS soll es Unternehmen ermöglichen, gegen Regierungsentscheidungen zu klagen - allerdings nicht vor ordentlichen Gerichten in der EU oder den USA. Stattdessen sollen spezielle Schiedsstellen zuständig sein. Streitigkeiten, die vor diesen Schiedsstellen verhandelt werden, sind normalerweise bindend und können nicht vor ordentlichen Gerichten angefochten werden.

Ungleiche Verhältnisse

"Wir fürchten, dass Investoren uns vor Schiedsstellen bringen, wo wir keine Chance haben, uns zu verteidigen. Denn wir haben nicht das Geld und die Anwälte, die man für eine ernsthafte Verteidigung in so einem Verfahren braucht", sagte Palmer der DW. Für eine Stadt mit 85.000 Einwohnern wie Tübingen sei es schlicht unmöglich sich, juristisch gegen milliardenschwere multinationale Konzerne mit Milliardenumsätzen zu wehren.

Virginia Lyons - Foto: Virginia Lyons
Senatorin Lyons: "Ausgeschlossen von jeder Mitsprache"Bild: Virginia Lyons

"Vor Ort Entscheidungen treffen zu können, ist ein unglaublich wichtiger Aspekt, wonach Bürger ihre Lebensqualität beurteilen", sagte Lyons der DW. "Der Investorenschutzmechanismus schließt Bundesstaaten und Kommunen komplett von jeder Mitsprache aus."

Virginia Lyons und Boris Palmer sehen ihre Zuständigkeit in Gefahr, bestimmte Angelegenheiten auf kommunaler Ebene zu regeln. Mithilfe von ISDS könne dieses Recht stark eingeschränkt werden, weil Unternehmen dagegen wegen potenzieller Gewinneinbußen klagen könnten.

Bedrohung für lokales Regierungshandeln

Als Beispiel nennt Senatorin Lyons, die auch Kovorsitzende von Vermonts Kommission für internationalen Handel und Staatssouveränität ist, die strengen Richtlinien des Bundesstaats für die Verwendung giftiger Chemikalien in Kinder- und Verbraucherprodukten. Die sind in Vermont schärfer als die nationalen US-Bestimmungen. Lyons fürchtet, dass Firmen wegen dieser Gesetze gegen Vermont vor ein ISDS-Schiedsgericht ziehen könnten.

Der geplante Investorenschutz könnte Lokalpolitik auch im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs und beim staatlichen Wohnungsbau beeinträchtigen. Privatunternehmen, so Tübingens Oberbürgermeister Palmer, könnten argumentieren, dass Subventionen für Busse und Bahnen nicht zulässig sind, außer der Auftrag ist international ausgeschrieben.

"Wir haben in der Region Busunternehmen, die pleitegehen, wenn sie diese Subventionen verlieren”, sagt Palmer. "Das bedeutet, dass wir unsere Fähigkeit verlieren würden, Standards zu definieren und öffentlichen Personennahverkehr für unsere Stadt anzubieten."

Etablierte Rechtssysteme

Viele Städte und Gemeinden in Deutschland besitzen zudem öffentliche Wohnungsbaugesellschaften. Diese könnten ebenfalls von den TTIP-Auswirkungen betroffen sein. "Wenn man einem solchen kommunalen Unternehmen Subventionen geben will, könnte eine global tätige Immobilienfirma argumentieren, dass dies ihren Profit schmälert und es deshalb verboten werden sollte", sagt Palmer.

Boris Palmer - Foto: Christoph Schmidt (dpa)
Oberbürgermeister Palmer: "Keine Chance zur Verteidigung"Bild: picture-alliance/dpa/Christoph Schmidt

Der Oberbürgermeister von Tübingen und die Senatorin aus Vermont sind gegen die Aufnahme von Investorenschutzklauseln in das Handelsabkommen TTIP, weil sie die wichtigste Aufgabe von Kommunal-Politikern beinträchtigen könnten: im Sinne der Bürger zu handeln, die sie gewählt haben.

Außerdem, so Lyons, gibt es keinen Grund für die USA und die EU eine außergerichtliche Schiedsstelle einzurichten. "Wir haben ein Rechtssystem. Ich weiß nicht, warum wir erlauben sollten, dass drei Leute in einer Schiedsstelle Entscheidungen treffen, wenn diese Leute von Wirtschaft und Bundesbehörden bestimmt werden. Es widerspricht gänzlich der lokalen Entscheidungsbefugnis."

Wachsender Widerstand

Lyons und Palmer sind nicht die Einzigen, die den Investorenschutz ablehnen. Zwar haben sich Kommunal- und Regional-Politiker bislang wenig zu TTIP geäußert. Doch dies scheint sich nun zu ändern. In den USA haben sich inzwischen weitere Abgeordnete aus den Neu-England-Staaten und aus Kalifornien gegen das geplante Handelsabkommen ausgesprochen. In Europa warnte kürzlich der Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, Sitz der Weltkonzerne Daimler und Bosch, vor den geplanten Investorenschutzklauseln.

Und nun hat sich auch der Rat der Gemeinden und Regionen Europas in Brüssel (CEMR) des Themas angenommen. Das Gremium ist ein Zusammenschluss von Gemeinden, Landkreisen und Bezirken aus 41 Ländern Europas. "Wir verfügen über funktionierende Rechtssysteme", sagt Angelika Poth-Mögele vom CEMR. Deshalb seien besondere Regelungen zum Investorenschutz zwischen den USA und Europa nicht nötig.

Wie Lyons und Palmer betont auch Poth-Mögele, dass sie nicht gegen ein transatlantisches Handelsabkommen insgesamt ist, sondern gegen die Aufnahme des Investorenschutzmechanismus: "Europa sollte stark genug sein, um zu sagen, wir wollen das nicht und dann sollten wir so verhandeln, dass es nicht Teil des Vertrages wird."

Egal, wie der Streit um das transatlantische Handelsabkommen schließlich ausgehen mag - TTIP hat schon jetzt etwas Positives erreicht: Es hat kommunale Interessensvertreter aus so unterschiedlichen Orten wie Tübingen, Montpelier und Brüssel näher zusammengebracht.