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Politik

S-400: Der lachende Dritte heißt Putin

14. Juni 2019

Die Türkei kauft russische Hightech-Waffen und verärgert damit ihre NATO-Partner. Obwohl der lange angekündigte Deal nun perfekt ist, hofft die Bundesregierung weiterhin auf ein Einlenken Erdogans.

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Russland Moskau Treffen Wladimir Putin und Tayyip Erdogan
Der türkische Präsident Erdoğan (l.) und Russlands Präsident Putin verstehen sich anscheinend bestens (Archivbild)Bild: Reuters/Kremlin/A. Nikolsky

Es war also kein Bluff des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, als er in der vergangenen Woche wieder einmal über den geplanten Kauf russischer Luftabwehrraketen spekulierte: Man habe nicht vor, "einen Rückzieher zu machen", betonte er. Trotz angedrohter Sanktionen durch die USA meldet er nun Vollzug - und stürzt das Nordatlantische Verteidigungsbündnis (NATO) endgültig in ein Dilemma. Mit Hilfe der hochmodernen Waffen vom Typ S-400 könnte Russland an Informationen über Flugzeuge des westlichen Militär-Bündnisses gelangen. Denn alle innerhalb der NATO eingesetzten Waffensysteme müssen miteinander kommunizieren können. Sollte aber das NATO-Mitglied Türkei künftig russische S-400 einsetzen, könnte das den Russen in die Hände spielen. Das befürchten die USA und andere NATO-Staaten.

Am Freitag reagierte die Bundesregierung auf den umstrittenen Deal. Man würde es begrüßen, "wenn die Türkei ihre Entscheidung vor dem Hintergrund ihrer Stellung in der NATO noch mal überprüfen würde", sagte eine Sprecherin in Berlin. Aufmerksamen Zuhörern in der regelmäßig stattfindenden Regierungspressekonferenz kam dieser Satz bekannt vor. Und tatsächlich: Bereits am 22. Mai war exakt die gleiche Erklärung abgegeben worden - am selben Ort.

Die Bundesregierung fabuliert über "Interoperabilität der Streitkräfte"

Mehr noch: Die Sprecherin wiederholte fast wortgetreu den gesamten Text, der schon vor gut drei Wochen zu hören war. Demnach sei die Anschaffung russischer Flugabwehrraketen durch die Türkei innerhalb der NATO ein "fortlaufend und sehr kontrovers diskutiertes Thema". Es stellten sich "schwierige Fragen". Damit meint die deutsche Regierung - ganz im Jargon der Militärs - die "Interoperabilität der Streitkräfte aller Alliierten". 

S-400 Flugabwehrraketenregiment auf der Krim im eingesetzt
Die Luftabwehrrakete S-400 kommt auch auf der von Russland annektierten Krim zum EinsatzBild: picturealliance/A. Pavlishak/TASS/dpa

Ulrich Kühn vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik hält das Szenario für realistisch, dass die Russen von dem Kauf der Türken profitieren könnten, wie er im DW-Gespräch durchblicken lässt. Wenn beispielsweise S-400 für Trainingszwecke zum Einsatz kämen, müsse man Raketen oder Flugzeuge anpeilen. Das könnte der US-Kampfjet F-35 sein. Und dann erfahre das Raketenabwehrsystem "natürlich einiges über die Fähigkeiten des F-35". Kann der Jet ausweichen? Wie reagiert er? Die NATO befürchte, derlei Daten könnten vielleicht heimlich an Russland weitergegeben werden. "Und das wäre ein massives Problem für das US-Militär."

Das Gegenteil einer Win-win-Situation

Militär-Experte Kühn verweist aber auch auf einen anderen Aspekt, der selten erwähnt werde: "dass die Türkei natürlich auch Einblick in das Raketenabwehrsystem der Russen bekommt." Und diese Informationen könne sie theoretisch wiederum an die NATO weitergeben. Was nach einer Art Win-win-Situation klingt, hält Kühn eher für das Gegenteil: Die Beteiligten schätzten es eher als "Lose-lose-Situation" ein. Also lauter Verlierer auf beiden Seiten statt Gewinner.

F-35 Kampfjet
Der US-Kampfjet F-35 soll auch an die Türkei geliefert werden, dieser Deal steht jetzt aber auf der KippeBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Ob das auch die deutsche Regierung so sieht, blieb am Freitag offen. Der ehemalige Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit, Jürgen Hardt, hatte sich schon vorher deutlicher geäußert. Es wäre "katastrophal", wenn Russland durch die S-400 geheime Daten über moderne NATO-Kampfflugzeuge bekommen würde, sagte der Christdemokrat dem Südwestrundfunk (SWR). Russlands Präsident Putin versuche derzeit alles, um westliche Bündnisse wie die NATO und die Europäische Union auseinanderzubringen. "Und das ist ihm möglicherweise mit diesem Rüstungsdeal gelungen", befürchtet der CDU-Außenpolitiker.  

Militär-Experte Kühn: Putin in der "bequemsten Position"

Experte Kühn hält es trotz schwieriger Ausgangslage für möglich, dass noch Bewegung in den türkisch-russischen Waffendeal kommen könnte. Auch wenn Putin, Erdogan und US-Präsident Donald Trump drei "sehr von sich überzeugte Führer" seien, gehe es nun darum, eine "gesichtswahrende Lösung" zu finden. An der werde "hinter den Kulissen gestrickt", mutmaßt Kühn, dessen Forschungsschwerpunkte Rüstungskontrolle und neue Technologien sind.

Sollte die Situation aber weiter eskalieren, wäre Putin in der "bequemsten Position". Denn die USA hätten bereits damit gedroht, die F-35-Kampfjets nicht an die Türkei auszuliefern. Das wiederum könnte nach Kühns Einschätzung unmittelbare Auswirkungen auf die militärischen Fähigkeiten der NATO auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik haben. Dort haben die USA auch Nuklearwaffen gelagert. "Damit würde dieser Teil der sogenannten erweiterten Abschreckung erst mal ausfallen." Und dann stelle sich die Frage, was für ein Bündnismitglied die Türkei für die NATO noch sein könne.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland