Luftfahrtbranche: Nichts ist mehr, wie es war
13. Oktober 2017Die Nachricht, dass Lufthansa die Filetstücke von Air Berlin übernimmt, war in der letzten Woche keine Überraschung. Alles war darauf hinausgelaufen, sogar schon vor der offiziellen Bekanntgabe der Air Berlin-Insolvenz Mitte August. Vom Überbrückungskredit der Bundesregierung bis zum genau geplanten Vorgehen der Lufthansa wurde die Übernahme teilweise seit über einem Jahr vorbereitet.
Die Tatsache, dass Thomas Winkelmann, ein Mann mit Kranich-DNA und enger Vertrauter von Lufthansa-Chef Carsten Spohr, überhaupt Air Berlin-Chef wurde, war bereits Teil einer langen, schleichenden Übernahme. Allerdings ist nichts in der Luftfahrt von Dauer, denn das Umfeld, in dem die sorgfältig implementierte Lufthansa-Übernahme stattfand, hat sich allein in den letzten Wochen dramatisch verändert. Das könnte jetzt sogar die Umsetzung der am Donnerstag (12.10.2017) geschlossenen Vereinbarungen gefährden.
Die Probleme von Ryanair
Bisher gab es zwei unumstößliche Giganten in den beiden wichtigsten Marktsegmenten bei Airlines: Ryanair bei den europäischen Billigfliegern, nach der Zahl beförderter Passagiere inzwischen unter den größten Luftlinien der Welt agierend. Und Emirates, als Speerspitze der allseits als übermächtige Wettbewerber gefürchteten Gesellschaften vom Persischen Golf. Urplötzlich sind beide derzeit in einer Position der Schwäche, und das macht die Lage unübersichtlich.
Bei Ryanair trat die missliche Lage zumindest für die Öffentlichkeit im September quasi über Nacht ein. Akuter Pilotenmangel, der durch interne Planungsfehler und jahrelanges Ausquetschen der Flugzeugführer sowie fragwürdige Anstellungsmodelle in dem Moment zum Desaster wurde, als die irische Luftfahrtbehörde neue Bestimmungen für Urlaubsregelungen einführte. Der grundsätzlich großmäulige Ryanair-Chef Michael O'Leary entschuldigte sich erstmals in der Firmengeschichte öffentlich, weil die Gesellschaft für das Winterhalbjahr Tausende von Flügen streichen muss. Erst nach öffentlicher Intervention der Aufsichtsbehörden ließ sich Ryanair dazu herab, die eigentliche Selbstverständlichkeit anzuerkennen, Passagieren dafür Alternativen zu bieten oder sie sogar zu entschädigen. Die Piloten mucken derzeit öffentlich auf, sehen sie doch die einmalige Chance, ihre oft miserablen Arbeitsbedingungen jetzt zu verbessern. Das alles stellt potenziell Ryanairs Geschäftsmodell in Frage, da jetzt die Kosten des Billigfliegers unweigerlich steigen werden.
Easyjet hat plötzlich andere Optionen
Vor allem aber, und das ist die wichtige Branchendimension des Ryanair-Desasters, fallen die Iren damit aus als potenzielle Investoren in insolvente Firmen. Noch zwei Tage vor dem Bekanntwerden des Piloten-Desasters verkündete Michael O'Leary, Ryanair werde definitiv für die Europa-Strecken von Alitalia bieten, die derzeit auch mal wieder neue Eigner sucht. Dann plötzlich machten die Iren einen Rückzug, nachdem sie mit hausgemachten Problemen bereits überfordert schienen. Auch für Air Berlin galt Ryanair als Interessent, formal erklärt hatte man das Interesse nicht, sondern stattdessen eine Show daraus gemacht, wortreich das Nicht-Bieten zu erklären. Michael O'Leary brach sich dabei wiederholt kamerawirksam beinahe die Zunge ab, um auf Deutsch "abgekartetes Spiel" auszusprechen. Womit er inhaltlich zur Abwechslung mal nicht völlig danebenlag.
Ryanair als Hauptgegner von der Übernahme von Air Berlin-Filetstücken so weit als möglich abzuhalten, war erklärtes Ziel der Strategen bei Lufthansa und in der Bundesregierung. Daher hatte von Anfang an Easyjet allgemeine Unterstützung darin, sich von Lufthansa schon aus Wettbewerbsgründen nicht zu übernehmende Teile von Air Berlin anzueignen. Die britische Gesellschaft braucht wegen der Brexit-Unsicherheiten dringend weitere Verankerung in der EU und hat dafür bereits eine neue Tochter in Wien gegründet. Dazu hätten Air Berlin-Teile aus Österreich gut gepasst, genauso wie Flugzeuge und Besatzungen zur Verstärkung des bestehenden Easyjet-Drehkreuzes in Berlin-Schönefeld.
Schön in der Theorie, doch dann ging überraschend in England der größte Ferienflieger Monarch pleite. Jetzt wurden hier die Karten neu gemischt, und Easyjet kann sich nun aus der Monarch-Konkursmasse viel günstiger bei Personal und Flugzeugen bedienen als bei Air Berlin. Daher ist es kein Wunder, dass Easyjet zuletzt sowohl Anzahl als auch Preis von Air Berlin-Flugzeugen drücken wollte, die sie möglicherweise weiterhin übernehmen würde. Die Verhandlungen gehen vorerst weiter.
Lektion aus den Emiraten für Merkel?
Damit der nun besiegelte Lufthansa-Deal die Kartellwächter der EU ohne größere Auflagen passieren kann, ist es entscheidend, dass mindestens ein anderer potenter Mitbewerber bei der Aufteilung von Air Berlin auch zum Zuge kommt. Nachdem Ryanair dafür nicht mehr bereitsteht und Easyjet möglicherweise auch einen Rückzieher macht, würde das neue Chancen für die eigentlich unterlegenen Bieter wie Condor/Thomas Cook bedeuten. Lufthansa hatte sich zuletzt auch einem anderen Erzfeind angenähert, der strauchelnden Etihad aus Abu Dhabi. Auch das, um sich bei Air Berlin in eine bessere Position zu bringen. Zumindest bevor Etihad plötzlich und gegen vorherige Zusagen bei Air Berlin im August den Stecker zog.
Dafür soll es politische Gründe gegeben haben, verlautet vom Golf, den Emiratis hat die angebliche Unterstützung Katars durch Angela Merkel missfallen und man wollte ihr vor den Bundestagswahlen eine Lektion erteilen. Doch auch am Golf ist nichts mehr wie es war: In dieser Woche hat Emirates-Chef Tim Clark erstmals eine Zusammenarbeit zwischen Emirates und Etihad in Aussicht gestellt. Beides Airlines aus dem gleichen Land: Aber angesichts der mauen Geschäfte scheint sogar eine Kooperation konkurrierender Scheichtümer im Bereich des Möglichen.