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Lula bleibt weit hinter den Erwartungen zurück

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos31. Dezember 2004

Brasiliens Präsident Lula da Silva ist am 1. Januar 2005 zwei Jahre im Amt. Über seine Halbzeitbilanz sprach DW-WORLD mit Barbara Fritz, Ökonomin und Brasilien-Expertin des Instituts für Iberoamerika-Kunde in Hamburg.

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Auf ihn haben viele Brasilianer ihre Hoffnungen gesetztBild: AP

DW-WORLD: Brasiliens Präsident Luis Inazio da Silva, genannt "Lula", und seine Regierung haben die Hälfte ihrer Amtszeit herum. Wie erfolgreich war Lula politisch?

Barbara Fritz: Die Hoffnungen auf Lula waren zu Beginn sehr groß. Die Wähler haben ihm im ersten Jahr zunächst Zeit gegeben, weil er eine sehr schwierige ökonomische Situation geerbt hatte. Im zweiten Jahr, 2004, sind die Erwartungen stark frustriert worden, weil sich die Wirtschaftspolitik nicht geändert hat. Politisch hat Lula die Erwartung vieler, dass er eine dezidiert linke Politik betreiben würde, die auf Umverteilung zielt und die bisher Ausgeschlossenen einbezieht, enttäuscht. Andererseits hat die Regierung einige Reformen in Gang gebracht. Lula als Person hat weiterhin eine hohe Legitimität und es herrscht alles andere als politisches Chaos und Entscheidungsunfähigkeit in Brasilien. Die Außenpolitik ist eines der recht erfolgreichen Felder Lulas. Er hat sich stark profiliert als einer der Anführer der "Emerging Markets" – der aufstrebenden Märkte: In den Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO, bei der Stärkung des regionalen Wirtschaftsverbundes Mercosur, gegenüber den USA in ihren Bemühungen, eine große Freihandelszone für ganz Amerika zu schaffen.

Wie erfolgreich war Lula in den zwei Jahren wirtschaftlich?

Brasiliens Präsident Luiz Inacio lula da Silva
Brasiliens Präsident Lula (r.) und sein Vize Jose Alencar vor dem Präsidentenpalast am Tag ihres Amtsantritts Anfang Januar 2003.Bild: AP

Das erste Regierungsjahr war wirtschaftspolitisch ein sehr hartes Jahr, das Land stand kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Lula und seine Mannschaft sagten von Anfang an, in diesem Jahr können wir nicht regieren, sondern nur versuchen, die Krise in den Griff zu bekommen. 2003 ist das Wirtschaftswachstum eingebrochen und die Reallöhne sind erneut deutlich gesunken. Aber es war innerhalb des Erwarteten. Von Seiten der Finanzwelt wurde der orthodoxe Wirtschaftskurs der Regierung Lula begrüßt. Wider Erwarten hat der Präsident eine klare Priorität darauf gelegt, dass die Schulden des Landes bedient werden. 2004 ist die Wirtschaft wieder gewachsen, über vier Prozent, die Löhne sind seit langem wieder etwas gestiegen, und die Arbeitslosigkeit ist – allerdings von einem sehr hohen Niveau – leicht zurückgegangen. Trotzdem ist die Wirtschaftspolitik weiterhin eine sehr konservative mit hohen Zinsen. Negativ ist die Wirtschaftspolitik vor allem für die Staatsausgaben: Sie gehen in hohem Maße in die Bedienung der Schulden, Investitionen fallen extrem gering aus, sie sind auf dem niedrigsten Stand seit fast 20 Jahren. Gleichzeitig gibt es erhebliche Finanzprobleme bei wichtigen politischen Bereichen wie der Agrarreform, der Bildungsreform, der Armutsbekämpfung, wozu auch das große Null-Hunger-Programm, das Vorzeigeprojekt der Regierung gehört. Es gibt eine große Frustration wegen der konservativen Wirtschaftspolitik der Regierung Lula, die für alle anderen Politikfelder außer dem Schuldenabbau wenig Spielraum lässt, weil kaum Geld dafür da ist.

Welche Probleme stehen in der zweiten Halbzeit an?

Landloser in Brasilien
Ein brasilianischer Landarbeiter auf einem Feld bei Formosa in Brasilien (2003).Bild: dpa

Zunächst mal: Die Wahlen hat die Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) nicht alleine gewonnen, sondern in einer breiten Koalition mit bürgerlichen und teilweise auch rechten Parteien. Das ist keine linke PT-Regierung. Der Einfluss der PT ist nun weiter zurückgegangen aus der Notwendigkeit heraus, neue Koalitionen zu schließen. Um bestimmte Gesetzesvorhaben durchzukriegen, sind nochmals Parteien aufgenommen worden. Vor kurzem hat die größte Koalitionspartei, die konservative PMDB (Partido do Movimento Democratico Brasileiro), die Koalition mit der PT aufgekündigt, so dass es politisch nicht einfacher wird für die Regierung. Sie wird sich wie bisher ihre Mehrheiten im Parlament ad hoc zusammensuchen müssen, und dabei eine Menge politische Zugeständnisse machen. Es gab die Hoffnung, dass es noch einen Links-Ruck gäbe, der wird sicherlich nicht kommen. Wirtschaftlich sieht es ganz entspannt aus. Brasilien hat 2003 und 2004 einen Leistungsbilanzüberschuss produziert, das erste Mal seit 15 Jahren, und mehr exportiert als importiert. Das heißt, es ist derzeit nicht so extrem abhängig von neuen Kapitalimporten. Dieser Überschuss ist aber ein paar Sonderfaktoren geschuldet wie dem hohen Sojapreis oder dem hohen Preis für Erze, weil China einen großen Bedarf hat. Die Frage ist aber, wie lange die Nachfrage Chinas steigen wird. Große Einkommenszuwächse wird es in den nächsten zwei Jahren sicherlich nicht geben, obwohl Brasilien die extrem dringend braucht. Eine Umverteilung im Land ist ebenfalls notwendig, aber auch dafür gibt es keinen Spielraum.

Sind die verlorenen Stichwahlen der PT in Sao Paolo und Porto Alegre Ende Oktober 2004 Vorboten des sinkenden Sterns Lulas?

Man kann das als Denkzettel interpretieren, weil die PT in ihrer Regierungskoalition eine so ähnliche Politik verfolgt wie die PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira), so dass man auch die wählen könnte. Da haben sich zwei Parteien der politischen Mitte angenähert – mit Ablegern nach links – die ein sehr ähnliches Programm verfolgen. Das heißt, das Präsidentschaftsrennen in zwei Jahren wird höchstwahrscheinlich wieder zwischen diesen beiden Parteien stattfinden. Und die PSDB hat durchaus Chancen, zu gewinnen. Die Sao-Paolo-Wahl ist schon ein Denkzettel für Lula.

Trauen Sie Lula derzeit den zweiten Wahlsieg 2006 zu?

Lula arbeitet expliziert darauf hin. Schon seit längerem geht die öffentliche Rhetorik dahin, dass eine Amtsperiode zum Regieren nicht ausreiche, man brauche zwei. Es gibt zunehmend und auch immer offener eine Abkehr der sozialen Bewegungen von der Regierung Lula und der PT. Das ist nicht der einzige Faktor, deutet aber an, dass die PT in ihrer traditionellen Klientel viel verliert. Darum muss sich die PT stärker auf die Wahlklientel der Mitte konzentrieren, wo sie ganz klar in Konkurrenz zur PSDB steht.