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Lynndie England: Sündenbock oder Brutalo?

Daniel Scheschkewitz, Washington4. August 2004

Die Fotos aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib haben weltweit Abscheu ausgelöst. Jetzt wird entschieden, ob sich die US-Soldatin Lynndie England dafür vor einem Gericht verantworten muss.

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Bild: AP

Auf der Militärbasis in Fort Bragg im US-Bundesstaat North Carolina hat am Dienstag (3.8.2004) die Anhörung der US-Soldatin Lynndie England begonnen. Die 21-Jährige war zu Beginn dieses Jahres zum Symbol für die Folterungen an irakischen Kriegsgefangenen im Abu Ghraib–Gefängnis in Baghdad geworden. Fotos zeigten die junge Frau, wie sie nackte irakische Gefangene an einer Hundeleine führte.

Lynndie England
Lynndie England vor der Anhörung in Fort BraggBild: AP

Lynndie England erschien zu ihrer Anhörung in den Tarnfarben ihrer Uniform, das khakifarbene Hemd deutlich über dem Bauch gespannt als Zeichen einer Schwangerschaft im sechsten Monat. Anders als auf den Folterfoto aus Abu Ghraib, auf denen die junge Frau aus der tiefen Provinz sich lächelnd über die gekrümmten Körper nackter irakischer Gefangener beugt, war ihr Blick beim Gang in den Gerichtssaal ernst.

England ist des Missbrauchs an Gefangenen in 13 Fällen angeklagt. Außerdem muss sie sich wegen pornographischer Aufnahmen während ihres Militärdienstes im Irak verantworten, die sie mit ihrem damaligen Freund Charles Graner zeigen, der ebenfalls wegen Missbrauchs an Gefangenen angeklagt ist.

Nur Befehlsempfänger?

Lynndie England selbst bezeichnet sich als unschuldig. "Ich hatte niemals die Absicht, auf irgendwelchen Fotos zu erscheinen." In Interviews vor ihrer Anhörung hatte England behauptet, die Demütigungen der Gefangenen seien Teil einer Strategie gewesen, mit der die Gefangenen für ihre Vernehmung durch Angehörige der Geheimdienste psychologisch weich geklopft werden sollten. Ihre Anwälte, die sie kostenlos verteidigen, behaupten, ihre Mandantin habe auf höheren Befehl gehandelt.

Rechtsanwalt Rick Hernandez sagte über die Folterungen im Abu Gharib-Gefägnis: "Die US-Regierung möchte glauben machen, dass es sich um eine Clique von gut ausgebildeten aber gewissenlosen Soldaten handelte, die außerhalb der Befehlsstrukturen agierten und taten, wozu sie Lust hatten. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Diese Regierung weiss, dass die Missbräuche systematischer Natur waren und auf die Initiative der militärischen Geheimdienste zurückgingen. Das sagen die Berichte des Roten Kreuz, von Amnesty International und sogar der von der US-Armee selbst in Auftrag gegebene Taguba-Bericht."

Von zentraler Bedeutung bei der Frage, ob es zu einem Prozess gegen England kommt, sind auch die internen Rundschreiben des US-Justizministeriums und aus dem Pentagon, in dem die Anwendung begrenzter Folter-Maßnahmen von Gefangenen im so genannten Krieg gegen den Terror als rechtskonform bezeichnet wurden. Auch wenn Soldaten wie England diese Schreiben wohl selbst niemals gelesen haben dürften, werden sich ihre Anwälte auf sie berufen. So zum Beispiel Mary O’Donnel, Militärrechtsexpertin an der Ohio State University: "In diesen Folter-Rundschreiben steht doch drin, dass die Befehle zur Anwendung bestimmter Foltermaßnahmen nicht unbedingt einen Rechtsbruch darstellen. Wie soll man da noch von einem einfachen Soldaten erwarten, dass er diese Handlungen als Vergehen begreift."

Ende offen

Auf der Zeugenliste der Verteidigung stehen so prominente Namen wie Donald Rumsfeld oder Dick Cheney. Dass es zu ihrer Vernehmung kommen wird, erscheint jedoch unwahrscheinlich.

Die Anhörung Englands in Fort Bragg wird voraussichtlich die ganze Woche andauern. Am Schluss muss der Untersuchungsrichter eine schriftliche Empfehlung aussprechen, ob die Beweisaufnahme überhaupt einen Prozess rechtfertigt oder nicht.