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Politik

Maaßen geht an die Grenzen

7. September 2018

Der Präsident des Inlandsgeheimdienstes bezweifelt, dass es in Chemnitz "Hetzjagden" auf mutmaßliche Ausländer gegeben hat. Es ist nicht das erste Mal, dass seine Einlassungen für Diskussionen sorgen – und Empörung.

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Hans-Georg Maaßen
Bild: Reuters/A. Schmidt

"Im Verborgenen Gutes tun!" Mit diesem Slogan buhlt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Internet um geeignetes Personal. Und gleich darunter steht: "Jetzt auf eine von vielen freien Stellen bewerben!" Kritiker des BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen hätten jetzt die Gelegenheit zu spotten, auch der Chefsessel werde schon bald frei sein. Ob es dazu wirklich kommen wird, sei dahingestellt. Fest steht: Noch nie gab es so heftige Kritik an der Amtsführung des 55-Jährigen. Und Kritik ist der Jurist seit seinem Amtsantritt 2012 gewohnt.

Auslöser der aktuellen Debatte um seine Person sind Äußerungen im Boulevard-Blatt "Bild". An prominenter Stelle heißt es da auf Seite zwei der Freitagsausgabe: "Keine Informationen über Hetzjagden" – das Zitat stammt von Maaßen. Er begründet seine Behauptung damit, nach seiner vorsichtigen Bewertung sprächen gute Gründe dafür, "dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken".

"Der Herr ist untragbar für eine Sicherheitsbehörde"

Damit meint der promovierte Jurist jenes Tötungsdelikt, das Ende August Demonstrationen und Tumulte auslöste, bei denen die Grenzen zwischen friedlichem Protest und gewaltsamen Auseinandersetzungen anscheinend fließend waren. Der Streit um die Deutungshoheit der Ereignisse und ihre Verursacher hat mit Maaßens Spekulationen einen neuen Höhepunkt erreicht. Seine Kritiker halten ihm vor, keine Belege für seine "ziemlich steile These" zu haben. So bezeichnet der sozialdemokratische Innenpolitiker Burkhard Lischka die umstrittenen Behauptungen.

Deutschland Demonstration der rechten Szene in Chemnitz
"Keine Informationen über Hetzjagden" in Chemnitz will Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen habenBild: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer

Mit Ausnahme der Alternative für Deutschland (AfD) verlangen alle politischen Lager Aufklärung vom Verfassungsschutz-Chef. Die Linke fordert sogar seinen Rücktritt: "Der Herr ist untragbar für eine Sicherheitsbehörde", findet Innenausschuss-Mitglied Martina Renner. Maaßen verbreite gezielt die Fake News der AfD weiter und mache sich zum "Anwalt der Rassisten". Er hätte vorher vor dem rechten Mob warnen müssen, meint Renner.

Worte aus dem Jahr 2015, die wie eine Prophezeiung klingen

Dass der Verfassungsschutz in Chemnitz und bei anderen rechtsextremen Vorfällen versagt habe, müssen sich die Bundes- und Landesämter immer wieder anhören. Allerdings wäre es wohlfeil zu behaupten, sie würden das Phänomen in der alltäglichen Arbeit bagatellisieren. In ihren jährlich vorgelegten Berichten nimmt der Bereich Rechtsextremismus stets einen breiten Raum ein – nebst Linksextremismus und Islamistischen Gefahren.

Maaßen selbst warnt in Hintergrundgesprächen mit Journalisten, aber auch öffentlich schon lange vor Verfassungsfeinden aus dem rechten Milieu. Parteien wie die NPD, "Der III. Weg" oder "Die Rechte" versuchten, die Sorgen und den Unmut, den es in Teilen der Bevölkerung gebe, zu instrumentalisieren. "Durch ihre Hetze tragen sie eine Mitschuld daran, wenn einige zur Gewalt greifen." Die Sätze klingen wie ein Kommentar auf die Ausschreitungen in Chemnitz, sie stammen aber aus einem Interview vom September 2015. 

Flüchtlinge Opatovac Kroatien Serbien
Über die sogenannte Balkan-Route gelangten 2015 und danach hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland Bild: picture-alliance/PIXSELL

Maaßen klingt fast wie ein Verschwörungstheoretiker

Damals kamen innerhalb weniger Monate rund eine Million Flüchtlinge mehr oder weniger unkontrolliert nach Deutschland. Darunter waren, wie man heute weiß, auch getarnte Terroristen und Asylbewerber, die später Kapitalverbrechen begingen. Auch die Tatverdächtigen des Todesfalls in Chemnitz gehören dazu. Maaßens Befürchtungen haben sich also bestätigt – nicht zum ersten Mal. Wie aber passen diese tragischen Ereignisse und seine zutreffenden Einschätzungen  mit den umstrittenen Äußerungen dieser Tage zusammen? Denn die hören sich fast schon wie eine Verschwörungstheorie an.

Eine klare Antwort müsste schon vom ihm selbst kommen. Das erwarten auch die Abgeordneten des Innenausschusses im Bundestag und das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste (PKGr). Beiden musste Maaßen schon oft Rede und Antwort stehen. Zuletzt hatte das besonders mit seinem Agieren im Zusammenhang mit dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zu tun. Der Vorwurf, der Verfassungsschutz wisse mehr über die Terrorgruppe, als er zugibt, steht auch nach zwei Untersuchungsausschüssen und dem im Juli zu Ende gegangenen NSU-Prozess im Raum.

Edward Snowden ist in den Augen des BfV-Chefs ein "Verräter"

Als die für eine beispiellose rassistische Mordserie verantwortliche Terrorgruppe 2011 aufflog, war Maaßen noch im Bundesinnenministerium tätig. Dort war er in wechselnden Funktionen für Themen wie Zuwanderung, Ausländerrecht und öffentliche Sicherheit zuständig. Mit diesen Arbeitsschwerpunkten qualifizierte er sich 2012 in den Augen des damaligen christlich-sozialen Innenministers Hans-Peter Friedrich für das höchste Amt beim Verfassungsschutz. Vorgänger Heinz Fromm musste zurücktreten, als bekannt wurde, dass Akten mit NSU-Bezug vernichtet worden waren.

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NSA-Whistleblower Edward Snowden ist in den Augen des deutschen Verfassungsschutz-Chefs ein "Verräter" Bild: Reuters/B. McDermid

Zur Ruhe kam die Behörde unter Maaßens Führung aber auch nicht – im Gegenteil. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt geriet er in den Sog der transatlantischen Spionage-Affäre um die National Security Agency (NSA) und den Bundesnachrichtendienst (BND). Als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestages bezeichnete er den Whistleblower Edward Snowden, der den Skandal publik gemacht hatte, als "Verräter". Mit dieser Wortwahl löste er sogar unter konservativen Politikern Erstaunen aus.

Die "netzpolitik.org"-Affäre brachte Justizminister Maas in Bedrängnis

Für eine handfeste Krise zwischen Exekutive und Judikative sorgte Maaßen 2015 mit seiner Strafanzeige gegen Unbekannt wegen der Veröffentlichung vertraulicher Behördenunterlagen unter anderem zum Ausbau der Internet-Überwachung. Die Bundesanwaltschaft ermittelte daraufhin wegen Landesverrats gegen zwei Journalisten des Internetportals "netzpolitik.org". Den Vorwurf eines Angriffs auf die Pressefreiheit konterte der BfV-Präsident mit dem Hinweis, den "Durchstechern" das Handwerk legen zu wollen.

Bestimmte Kreise versuchten, "die deutschen Nachrichtendienste sturmreif zu schießen", empörte sich Maaßen seinerzeit. Auf der politischen Ebene sorgte die Affäre für gravierende Dissonanzen zwischen dem damaligen Justizminister Heiko Maas (SPD) und dem inzwischen verstorbenen Generalbundesanwalt Harald Range, der seinen Posten räumen musste. Das Verfahren gegen die Journalisten wurde schließlich eingestellt.

Shirt mit Beschriftungvon Netzpolitik.org
Die Journalisten von "netzpolitik.org" nahmen Maaßens Anzeigen wegen Landesverrats sportlich Bild: DW/K.-A. Scholz

Treffen mit AfD-Politikern sorgen für Wirbel

Ungemütlich ist es für Maaßen auch im Zusammenhang mit dem Terror-Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt 2016 geworden. Medienberichten zufolge soll der Verfassungsschutz entgegen seiner Behauptung einen Spitzel (V-Mann) im Umfeld des aus Tunesien stammenden Attentäters Anis Amri platziert haben. Dieser Tage ist in einem "Tagesspiegel"-Artikel davon die Rede, Maaßen habe mit Hilfe von Anwälten Druck auf Journalisten ausgeübt, denen er "Falschberichterstattung" vorwerfe. Eine offizielle Bestätigung dieser Behauptung gibt es weder von Seiten des Verfassungsschutzes noch von Seiten vermeintlich Betroffener.

Widersprüchliche Aussagen gibt es auch darüber, welchen Charakter Maaßens Kontakte zu Politikern der rechtspopulistischen AfD haben. Die Partei-Aussteigerin Franziska Schreiber behauptet in ihrem Buch, der BfV-Chef habe der früheren AfD-Vorsitzenden Frauke Petry persönlich Tipps gegeben, wie die Partei einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen könne. Maaßen und Petry bestreiten diese Darstellung. Dass sich der von Amts wegen höchste deutsche Verfassungsschützer mit AfD-Politikern getroffen hat, stellt er keineswegs in Abrede. Allerdings sind solche Begegnungen mit Vertretern aller Parteien üblich.

Deutschland Pressekonferenz mit Dr. Frauke Petry
Was die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry Hans-Georgen Maaßen besprochen hat, wissen nur die beiden Bild: picture-alliance/Eventpress

Auch Journalisten führen vertrauliche Gespräche mit Maaßen

Ähnlich geartete Treffen gibt es auch regelmäßig mit Journalisten. Hintergrundgespräche, über die Stillschweigen verabredet wird, sind weit verbreitet – und umstritten. Denn wer in solche Kreise eingeladen wird, setzt sich fast schon automatisch dem Verdacht aus, mit hochrangigen Politikern, Behördenleitern oder Wirtschaftsbossen zu kungeln. Und natürlich kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass Einladende und Eingeladene interessengeleitet sind. Die eine Seite erhofft sich Berichterstattung in ihrem Sinne, die andere exklusive Informationen.

Wie seriös Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen mit seiner Machtposition umgeht, darüber wird nun mehr denn je spekuliert. Diese Frage müssen sich aber auch Journalisten stellen, die von einer Vorzugsbehandlung profitieren. Dass Medien über angebliche oder tatsächliche Verfehlungen des Verfassungsschutzes oft früher informiert sind als Politiker, ärgert vor allem das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr). Ihm und dem Innenausschuss des Bundestages soll der in Bedrängnis geratene Maaßen schon bald Bericht erstatten. Er muss sich auf viele kritische Nachfragen einstellen.